Soll die Stadt St.Gallen dem unbequemen Mieter im Palace-Gebäude kündigen?

St. Galler Tagblatt. Die Meinungen zum «arischen» Künstler, der in den oberen Stockwerken des Palace-Gebäudes am Blumenbergplatz ein Atelier gemietet hat, gehen auseinander. Ja, die Stadt St.Gallen soll das Mietverhältnis mit dem 69-jährigen Künstler auflösen, urteilt Stadtredaktor Sandro Büchler. Journalistenkollege Reto Voneschen hält dagegen.

Ein 69-jähriger deutscher Künstler, der im Palace ein Atelier gemietet hat, bezeichnet seine Kunst online als «arisch». Mehrfach äussert er sich in den sozialen Meiden zudem abschätzig über Juden, Schwarze und Migranten, verharmlost den Holocaust. Er verunglimpft das Begegnungsfest der Kulturen in der St.Galler Innenstadt und äussert sich ausfällig zum gemalten Konterfei einer schwarzen Frau an der Fassade der Offenen Kirche am Unteren Graben.

Zu viel, finden elf Mieterinnen und Mieter im Palace und fordern den Stadtrat auf, dem Künstler das Atelier zu kündigen. Der Stadtrat gibt dem 69-Jährigen nach einem Gespräch im Frühjahr nochmals eine Chance, prüft aber aktuell auch weitere Vorkommnisse.

Pro: «Die Duldung eines Rassisten im Schafspelz schadet dem Ansehen der Stadt St.Gallen.»

Nur um das klarzustellen: Der Mann, um den es hier geht, malt keine Hakenkreuze im Palace. Seine Bilder sind unverfänglich, bunt, ja wohltuend. Im Atelier und im Treppenhaus ist er freundlich, allenfalls etwas verschroben. Doch die Gedankenergüsse aus seinem Kopf, denen er online freien Lauf lässt, sind verstörend – und mit grosser Wahrscheinlichkeit strafrechtlich relevant.

Jeder und jede darf denken und sagen, was er oder sie will. Wo die Grenzen des Sagbaren sind, darüber urteilen Staatsanwaltschaft und Gerichte. Selbst wenn ein verurteilter Rassist neben mir wohnt, kann man ihm deswegen nicht einfach die Wohnung kündigen. So ist das in einem Rechtsstaat.

Anders sieht das aus, wenn die öffentliche Hand Räume vermietet – wohlgemerkt Ateliers und keine Wohnräume. Da kann die Stadt durchaus darüber befinden, wen sie in einem Atelier haben will oder nicht. Ein Mietvertrag kann zu jeder Zeit gekündigt werden. Das ist rechtens.

Es geht hier auch um das öffentliche Ansehen der Stadt. Das ist nicht einfach ein Querkopf, sondern ein Rassist im Schafspelz, dem die Stadt hier günstig ein Atelier vermietet. Klar ist ein Rauswurf eines langjährigen Mieters aufgrund von privaten Äusserungen drastisch für ihn und nicht gerade die feine Art. Aber bei Rassismus und Antisemitismus darf die Stadt kein Pardon kennen – und muss handeln.

Will der Stadtrat eine Kündigung nicht ohne stichhaltige Begründung aussprechen, dann muss er die Aussagen des Künstlers von Profis abklären lassen – sprich der Staatsanwaltschaft. Bisher hat Stadtrat Markus Buschor aber eher ungelenk und ratlos gehandelt. Das darf gerade bei diesem Thema nicht passieren.

Contra: «Mobbing lässt sich auch nicht durch gut gemeinte Empörung rechtfertigen.»

Es ist völlig unbestritten: Rassismus und Antisemitismus dürfen in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Es ist aber nicht Sache eines Vermieters, zu entscheiden, wo die Grenze zwischen einem Spinner und einem Rassisten oder Antisemiten im Sinn der Anti-Rassismus-Strafnorm liegt. Das gilt auch, wenn die Vermieterin die Stadt ist und sich das Mietobjekt im Haus des alten Kino Palace befindet.

Wenn andere Mieterinnen und Mieter im linken Biotop gegen den, den sie als «Nazi» in ihrer Mitte empfinden, Stimmung bei der Vermieterin machen und eine Kündigung des Mietvertrags verlangen, ist das der falsche Weg. Mobbing unter Mieterinnen und Mietern wird nicht besser, weil es sich gegen krudes Gedankengut und nicht gegen das Nicht-Einhalten des Waschplans richtet. Auch Mobbing darf in unserer Gesellschaft keinen Platz haben. Mobbing lässt sich auch nicht durch gut gemeinte Empörung rechtfertigen.

Das, was der 69-Jährige aus dem Palace-Atelier im Internet verbreitet hat, ist schwer verdauliche Kost. Der Verdacht, dass dadurch die Anti-Rassismus-Strafnorm verletzt wurde, ist nicht von der Hand zu weisen. Es gibt in einer solchen Situation aber nur einen korrekten Weg, um gegen den Mann vorzugehen: eine Anzeige bei den Strafverfolgungsbehörden. Es ist deren Aufgabe, Schuld oder Unschuld bei einem vermuteten Verstoss gegen Rechtsnormen festzustellen und zu ahnden.

Jedes andere Vorgehen öffnet der Willkür Tür und Tor. Der gleichen Willkür übrigens, die linke Aktivistinnen, junge Autonome oder anderswie nicht ganz konforme Personen bis heute bei der Wohnungssuche zu spüren bekommen. Auch das müsste man sich überlegen, bevor man gegen einen Mitmieter vorgeht.

Also, wen schmeissen wir jetzt als nächstes raus? Den Impfnörgler oder doch lieber den PS-Verrückten, der seinen Boliden immer aufs Trottoir vors Haus stellt? Aber wieso eigentlich nicht den Junggesellen, der nach Lust und Laune wäscht und sich nie an den Plan in der Waschküche hält?