Rechtsextreme stören Kinder-Event: «Dahinter steckt eine menschenfeindliche Orientierung»

Watson. Eine rechtsextreme Gruppe hat in Zürich einen Kinder-Event gestört. Dies hat für viele Diskussionen gesorgt. Experte Dirk Baier ordnet die Ereignisse für watson ein.

Rechtsradikale haben vergangene Woche eine Vorlesung von Dragqueens für Kinder gestört und sich jetzt per Video geoutet. Dabei sind zwei Mitglieder der Gruppierung «Junge Tat» unvermummt zu sehen. Sind solch rechtsextreme Aktionen wieder so salonfähig, dass man sich mit Gesicht in der Öffentlichkeit zeigen kann?
Dirk Baier: Personen aus rechtsextremen Gruppierungen mussten in der Vergangenheit immer damit rechnen, aus der Anonymität herausgeholt zu werden. Dies hat beispielsweise die Antifa immer wieder getan. Auch bei der Aktion in Zürich war mittlerweile mehr oder weniger bekannt, wer von dieser Gruppierung dabei gewesen ist. Der Schritt an die Öffentlichkeit zeigt nun, dass sie nicht mehr nur im Geheimen agiert. In der Vergangenheit war eine häufiger zu hörende Einschätzung zum Rechtsextremismus in der Schweiz, dass er klandestin sei. Die «Junge Tat» geht hier einen anderen Weg, was wir bereits bei Corona-Demonstrationen oder anderen Videos im Netz feststellen konnten – man versteckt sich nicht.

Weshalb wagt die Gruppierung jetzt diesen Schritt?
Erklärbar ist dieser Schritt aus meiner Sicht damit, dass sie ihr Wirken als legitime politische Aktivität, als legitimen Protest darstellen will. Dass eine menschenfeindliche Orientierung hinter den Aktionen steckt, wird dann nicht weiter thematisiert.

Würden Sie die Mitglieder dieser Gruppierung als Neonazis bezeichnen?
Ob Begriffe wie «Neonazi» geeignet sind, um Mitglieder dieser Gruppierung zu verorten, bezweifle ich. Dieser Begriff weckt bestimmte Vorstellungen vom Springerstiefel tragenden, glatzköpfigen Extremisten. Dies entspricht dem Bild des gegenwärtigen Rechtsextremismus nicht. Die Ideologien, die von der «Jungen Tat» verfolgt werden, sind aber zweifellos als rechts einzustufen: So wird beispielsweise Bevölkerungsgruppen das Existenzrecht abgesprochen und man ist bereit, auch mit Gewalt gegen diese vorzugehen. Dies widerspricht klar demokratischen Grundprinzipien.

Das Video von der Störaktion wirkt ziemlich professionell gedreht. Überrascht Sie das?
Die Gruppierung hat bereits in der Vergangenheit über Social Media Videos verbreitet, die zeigen, dass sie mit diesem Medium umzugehen versteht. Extremistische Gruppierungen setzen auf die sozialen Netzwerke, auf audiovisuelle Medien, weil sie wissen, dass sie darüber junge Menschen ansprechen können. Sie sind, was die Form solcher Videos anbelangt, meist professioneller unterwegs, als es Akteure der Zivilgesellschaft oder Behörden sind. Junge Menschen brauchen daher ein hohes Mass an Medienkompetenz, um nicht die hochproblematischen Inhalte solcher Videos aus den Augen zu verlieren.

Haben Rechtsextreme derzeit mehr Zulauf oder sind sie einfach nur lauter? Und weiss man, aus welchen Schichten die Mitglieder der rechtsextremen Gruppen kommen?
Es gibt derzeit keine sozialwissenschaftliche Studie zu den Rechtsextremen der Schweiz, sodass man etwas über deren soziale Zusammensetzung aussagen könnte. Sympathien für solche Gruppierungen wird es quer durch die Gesellschaft geben. Grundsätzlich denke ich, dass der Rechtsextremismus vielleicht nicht unbedingt mehr Zulauf erhält – wobei dies nicht ausgeschlossen ist. Er ist aber jünger und aktionsorientierter geworden. Dadurch wird er tatsächlich sichtbarer.

Wieso rutschen Jugendliche in solch extreme Kreise ab?
Die Zuwendung zu solchen Gruppierungen hat verschiedene Ursachen. Wir können nicht die eine zentrale Ursache benennen. Aus meiner Sicht hat ein Anschluss an solche Gruppierungen in erster Linie keine ideologischen Motive, also dass man überzeugt von autoritären, nationalistischen, fremdenfeindlichen Haltungen wäre. Für junge Menschen spielt eher das Moment der Zugehörigkeit, des Erlebens von Bedeutsamkeit und damit letztlich der Identität eine Rolle. In solchen Gruppierungen erfährt man all dies. Durch gemeinsame Aktionen rückt man dann noch enger zusammen und dann wird die Orientierung an gemeinsamen ideologischen Positionen auch wichtiger, die als Legitimation des Gewalteinsatzes dienen.

Welche präventiven Massnahmen kann man da ergreifen?
In der Prävention muss es darum gehen, junge Menschen, die eine Krise durchleben und eine Offenheit für solche Gruppen haben, frühzeitig zu identifizieren und andere Wege der Identitätsentwicklung aufzeigen.

Das SRF hat in einem Beitrag davon gesprochen, dass sowohl Links- als auch Rechtsextremisten am Erstarken seien. Kritikerinnen behaupten nun, dass das SRF damit die unnütze Hufeisentheorie bemüht habe. Was halten Sie davon?
An der Hufeisentheorie wird meist kritisiert, dass sie Linksextremismus und Rechtsextremismus gleichsetzt. Dies tut sie aber nicht. Sie macht darauf aufmerksam, dass beide Extremismusformen gewisse strukturelle Gemeinsamkeiten haben, sich also beide gegen die demokratische Grundordnung stellen und diese – auch mit Gewalt – überwinden möchten, dass sie hierfür in starren Freund-Feind-Mustern denken, verschwörungstheoretische Narrative bemühen und so weiter. Ich denke, dass es zum Verständnis der Radikalisierung der Gruppierungen wichtig ist, diese Gemeinsamkeiten zu kennen.

Die übergeordneten Ziele der Extremisten sind aber komplett anders …
Ja, und das ist auch wichtig zu betonen. Linksextremismus ist in erster Linie systemfeindlich, möchte den Kapitalismus überwinden und eine anarchistische Ordnung einführen. Rechtsextremismus ist menschenfeindlich, richtet sich explizit gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen und möchte eine national homogene, autoritär geführte Ordnung einführen.

Und was sagen Sie zur Kritik, dass das SRF die Linksradikalen und Rechtsradikalen gleichsetze?
Das SRF sagt, dass beide Extremismen erstarken – dies ist noch keine Gleichsetzung. Linksextremismus und Rechtsextremismus schaukeln sich tatsächlich gegenseitig hoch, das hat sich in der Vergangenheit gezeigt. Ziele von Angriffen der einen Gruppe ist nicht selten die andere Gruppe. Die Zahlen der letzten Jahre des Nachrichtendienstes zeigen allerdings für den Bereich des Linksextremismus eher eine Stabilität als einen Anstieg. Grundsätzlich macht es wahrscheinlich aber wenig Sinn, über Anstieg oder Stabilität zu streiten. Die verschiedenen Extremismen sind in der Schweiz präsent und aktiv – hier schliesse ich den Islamismus auch mit ein. Und extremistische Gruppierungen stellen, wenn sie gewaltbereit sind, eine Gefahr für die Bevölkerung der Schweiz dar. Hierauf hinzuweisen finde ich wichtig.