Politiker fordern eine Holocaust-Gedenkstätte in Bern

Der Bund.

Es darf niemals vergessen gehen, was der Nationalsozialismus angerichtet hat. In der Landeshauptstadt solle deshalb ein Erinnerungsort geschaffen werden. Das verlangen eidgenössische Politiker in ungewohnter Einigkeit.

Selten haben sich die Politiker so gefetzt wie in den letzten Tagen. Das Klima unter der Bundeshauskuppel war in dieser Frühlingssession vergiftet, Bundesräte wurden als Diktatoren beschimpft, Kontrahenten etwa in den AHV-Debatten wahlweise als Verhinderer, Bremser oder Falschspieler betitelt. Dass sich in dieser Atmosphäre Vertreter aller Parteien zusammenraufen, ist für Alt-Nationalrat Remo Gysin (SP) einfach «toll». Sie verhelfen einem Herzensprojekt des Präsidenten der Auslandschweizer-Organisation zum Durchbruch: der Errichtung einer nationalen Holocaust-Gedenkstätte.

Ein Mahnmal gegen das Vergessen

Gysin ist eine der treibenden Kräfte, die in der Schweiz einen offiziellen Erinnerungs- und Vermittlungsort für die Opfer des Nationalsozialismus errichten wollen. Zusammen mit der christlich-jüdischen Arbeitsgemeinschaft, dem Archiv für Zeitgeschichte, dem Zentrum für jüdische Studien der Universität Basel und dem Schweizerischen Israelitischen Bund kämpft die Auslandschweizer-Organisation seit mehreren Jahren für ein solches Mahnmal. Dass es bisher keinen nationalen Ort der Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus gab, ist jetzt im Parlament angekommen. Und wie! Über 100 Nationalrätinnen und Nationalräte haben eine Motion des Zürcher SVP-Nationalrates Alfred Heer unterschrieben, inklusive aller Fraktionspräsidentinnen und Fraktionspräsidenten. Im Ständerat wurde von Daniel Jositsch (SP) ein gleichlautender Vorstoss eingereicht. «Die Katastrophe, die der Nationalsozialismus in Europa angerichtet hat, darf nicht in Vergessenheit geraten, gerade bei jungen Leuten», mahnt Heer.

Und wie soll die Gedenkstätte konkret aussehen? Für Gysin und seine Mitstreiter ist klar, dass sie in Bern stehen muss. Die Hauptstadt sei zentral und stehe symbolisch für die offizielle Schweiz. Zum möglichen Kostenrahmen wollen sich die Verantwortlichen nicht äussern. Wie der Schweizerische Israelitische Gemeindebund auf seiner Website aber schreibt, soll die neue Gedenkstätte vom Bund finanziert und getragen werden, allenfalls mit der Unterstützung der Kantone und Gemeinden. Wie gross die Gedenkstätte werden soll, wie diese architektonisch in Erscheinung treten soll, ist laut Gysin noch offen. Einzig beim Bildungsangebot habe man schon konkrete Vorschläge erarbeitet. Dieses Konzept soll im Mai der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Auch viele Schweizer waren damals direkt betroffen

Die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen und Ursprüngen des Holocausts soll nach Ansicht von SP-Ständerat Daniel Jositsch einen zentralen Stellenwert einnehmen, wie er in der Motion schreibt: «Auch künftige Generationen müssen wissen, was geschah, damit sie ein Bewusstsein dafür entwickeln können, wie fragil Demokratie und Rechtsstaat sind und wozu Rassismus und Diskriminierung führen können.» Beide Vorstösse stellen einen starken Bezug zu Schweizerinnen und Schweizern her, die Opfer dieser «menschenverachtenden Politik» wurden.

Damit ist unter anderem auch der grosse Einsatz der Auslandschweizer-Organisation zu erklären. Gegen 1000 Schweizerinnen und Schweizer wurden in Konzentrationslagern inhaftiert, weil sie jüdisch, homosexuell, nicht sesshaft, psychisch krank oder körperlich behindert waren. Über 450 von ihnen haben laut dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund den Holocaust nicht überlebt. Bisher gibt es in der Schweiz rund fünfzig kleinere Erinnerungsorte, die primär den jüdischen Opfern oder einzelnen Retterinnen und Rettern gewidmet sind.

Bundesrat ist «aufgeschlossen»

Und wie ist die Haltung des Bundesrates? Die beiden Motionäre erinnern in ihren Vorstössen an die Worte von Bundespräsident Guy Parmelin. Dieser sagte am 27. Januar dieses Jahres in der offiziellen Botschaft der Landesregierung zum internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts: «Der Opfer gedenken, neuen Gräueltaten vorbeugen.» Die zuständigen Bundesstellen würden einem solchen Vorschlag aufgeschlossen gegenüberstehen, betonte der Bundesrat bereits vor drei Jahren. Sobald die Projektidee konkreter ausgestaltet sei, werde der Bund seine Unterstützung präziser bestimmen können. Das dürfte demnächst der Fall sein, wenn die Initianten einer Gedenkstätte ihr Konzept vorstellen.