«Diese Entwicklung bereitet mir Sorgen».

Der Bund.

Im Kapern der Corona-Kundgebung vom Samstag durch Rechtsradikale sieht der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause eine neue Bedrohungsstufe erreicht.

An der Kundgebung gegen die Corona-Massnahmen marschierten rund 40 Neonazis aus verschiedensten rechtsextremen Gruppierungen vorn mit. Wussten Sie, dass am Samstag die Neonaziszene nach Bern kommt?

Aufrufe zur Teilnahme an Kundgebungen der Massnahmenkritiker wurden zwar schon früher in rechten Kreisen weit verbreitet. Doch dass sie nun derart breit mobilisieren konnten, davon hatten wir keine Kenntnis. Und auch wie die Kundgebung selbst ablief, war völlig neu.

Inwiefern?

Der Teilnehmerkreis der Corona-Demonstrationen ist sehr heterogen, der Protest gegen die Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie reicht von ganz links bis ganz rechts. Doch dass sich die Rechtsextremen an die Spitze der Demonstranten setzen und die Kundgebung kapern, das sahen wir noch nie zuvor.

In Wien werden die Demonstrationen der Massnahmengegner schon seit längerem von Neonazis angeführt. Rechnen Sie damit, dass das nun auch in Bern die Regel wird?

Da werden wir in Zukunft ein Auge darauf halten und ganz genau hinsehen müssen. Diese Entwicklung bereitet mir tatsächlich Sorgen. Allerdings muss man sagen, dass das nun in Bern zum ersten Mal passiert ist. Frühere Versuche von rechtsextremen Kreisen, ganz vorn an den Kundgebungen mitzumischen, blieben vor Samstag erfolglos.

Erst als sich der Demo-Zug aufspaltete, wurden die Neonazis am Bahnhof von der Polizei gestellt und kontrolliert. Warum nicht schon früher?

Die Polizei kann nicht einfach so einschreiten, wenn die Demo-Teilnehmer noch gar keine strafbaren Handlungen begangen haben.

Dann war dieses Vorgehen von der Polizei so geplant?

Über Details der polizeilichen Taktik kann ich keine Auskunft geben. Es ist aber entscheidend, ob es an einer Kundgebung zu strafbaren Handlungen kommt, ganz gleich, ob die Demo-Teilnehmer der linksextremen oder der rechtsextremen Szene angehören. Wenn das der Fall ist, dann greift die Polizei sofort ein. Wenn nicht, dann ist das Eingreifen wie am letzten Samstag eine Frage der Verhältnismässigkeit.


Über 2000 Demonstrierende – Polizei kontrolliert Rechtsextreme

Nach mehrmonatiger Pause ist es in Bern am vergangenen Samstagnachmittag zu einer grösseren Corona-Demonstration gekommen. Der Aufmarsch zur unbewilligten Kundgebung war grösser als erwartet. Zuletzt hatten die donnerstäglichen Corona-Kundgebungen jeweils höchstens noch eine Handvoll Leute auf den Plan gerufen.

Mit Zaun und Wasserwerfer

Die grösste Demonstration der Schweizer Geschichte – wie im Aufruf angestrebt – wurde es aber bei weitem nicht. Um 14 Uhr versammelten sich die Massnahmengegner beim Baldachin auf dem Bahnhofplatz. Nach etwa 20 Minuten setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung.

Die Kantonspolizei markierte mit einem grösseren Aufgebot Präsenz, liess die Demonstrierenden aber gewähren. Diese zogen durch die Hauptgassen zum Münsterplatz und retour zum Bundesplatz. Die Polizei hatte zuvor den Schutzzaun vor dem Bundeshaus aufgestellt, die Bundesgasse abgesperrt und dort Wasserwerfer in Stellung gebracht.

Die Demonstranten skandierten «Liberté», forderten auf Plakaten und in Sprechchören ein Ende der Corona-Schutzmassnahmen oder den Rücktritt der Regierung. Sie machten Lärm mit Trillerpfeifen und Glöckchen, andere schwangen Schweizer Fahnen, eine Gruppe trug Massvoll-Banner.

Vergleich mit Naziverbrechen

Viele reisten aus anderen Kantonen nach Bern. Junge und ältere Menschen nahmen teil, ebenso Familien mit Kindern. Zu sehen waren aber auch nicht zitierwürdige Vergleiche der Corona-Schutzmassnahmen und der Impfkampagne mit Naziverbrechen. Angeführt wurde der Demozug offenbar von der rechtsextremen Gruppierung «Junge Tat». Gleichzeitig mit dem Massnahmenprotest startete vom Falkenplatz aus eine Velodemo unter dem Motto «Velo Ride gegen Rechts» mit etwa zwei- bis dreihundert Teilnehmenden. Sie skandierten «Bern bleibt Nazi-frei».

Die beiden Demozüge kamen einander beim Kornhausplatz nahe, wie ein Video zeigt. Die Polizei war aber bemüht, ein direktes Aufeinandertreffen zu verhindern. Später gab es beim Zytglogge nochmals eine brenzlige Annäherung. Zur Konfrontation kam es aber nicht.

Bei der Gegendemonstration trugen alle Teilnehmenden Schutzmasken, im Gegensatz zu den Massnahmengegnern. Diese machten schliesslich vor dem Bundeshaus halt. Die Polizei war vor Ort und beobachtete die Lage, hielt sich aber zurück.

Nach gut einer halben Stunde räumten die ersten Demonstrierenden den Bundesplatz und kehrten zum Bahnhof zurück. Ab 16 Uhr lichteten sich die Reihen zusehends.

Kontrollen am Bahnhof

Die rund drei Dutzend rechtsextremen Anführer der Demo eilten dann in den Bahnhof, wo sie schliesslich von der Polizei auf der Welle angehalten wurden. Dabei wurden Personalien festgestellt. Einige der Rechtsextremen wurden weggewiesen, eine Person wurde angezeigt. Etwa 200 Demonstrierende verblieben derweil am Bundesplatz und liessen den frühlingshaften Samstagnachmittag ausklingen. Die Kunsteisbahn, welche am Nachmittag geschlossen blieb, hatte in der Zwischenzeit wieder geöffnet.

Kurz nach 18 Uhr wurden die letzten Demonstrierenden vor dem Bundeshaus aufgefordert, den Platz zu verlassen. Kurze Zeit später räumte dann auch die Polizei das Feld.

Während der Demonstrationen kam es zu Verkehrsbehinderungen in der ganzen Stadt. Bernmobil musste zahlreiche Linien zeitweise umleiten oder den Betrieb gar unterbrechen. Andere nennenswerte Zwischenfälle sind bislang aber nicht bekannt. (jw/ske/mb/jsp)