Zuger SVP zieht die Reissleine

Neue Luzerner Zeitung

Ein umstrittener Kandidat für einen frei werdenden Richtersitz hat die Partei in arge Nöte gebracht. Nun muss schnell ein Ersatz her.

 Von Freddy Trütsch:

Bisher wurden die Nominationen von Richtern meistens in Hinterzimmern der Parteizentralen getroffen und interessierten die Öffentlichkeit kaum. Doch vor gut einem Jahr hat sich dies im Kanton Zug geändert. Seit bekannt ist, dass das Kantonsgericht ein zerstrittenes Gremium ist, das sich sogar einen Verhaltenskodex («Ich darf nicht mobben») verpassen lassen musste, seit alt Bundesrichter Niccolò Raselli mit einer Administrativuntersuchung betraut und Kantonsrichter Michael Beglinger suspendiert ist, laufen die Uhren bei den Parteien anders.

Man ist sich der Verantwortung zumindest bewusster. Und dies wird auch nötig sein, denn nach dem Rücktritt von Kantonsrichterin Christine Arndt – sie verlässt das Gericht per Ende Januar 2014 und macht sich selbstständig – gibt es eine Vakanz. Anspruch auf diesen Sitz hat die SVP. Keine andere Partei macht ihr diesen strittig – es sei denn, die Volkspartei nominiere einen Kandidaten, der nicht über die nötige Sozialkompetenz, über persönliche Integrität und Unabhängigkeit verfügt.

Doch genau diese Qualifikationen erfüllte ein Zuger Jurist offenbar nicht – wie sich im Verlaufe des gestrigen Tages herausstellte. Vorgeschlagen worden war er von Kantonsrat und Fraktionschef Manuel Brandenberg. Die SVP der Stadt Zug hatte den nebenamtlich tätigen Verwaltungsrichter bereits an einer Vorversammlung nominiert.

Eskalation an Weihnachtsfeier

Aus Schwyz waren in den letzten Tagen grosse Vorbehalte gegenüber dem fraglichen Kandidaten durchgesickert. Dort war er von 2011 bis 2013 als Abteilungsleiter bei der kantonalen Steuerverwaltung tätig. Von verschiedenen Seiten wird er als politischer Hardliner und extrem rechtsbürgerlich beschrieben. Er habe sich immer wieder zu extremen Aussagen hinreissen lassen. Offensichtlich das Fass zum Überlaufen brachte die letztjährige Weihnachtsfeier, die auch ins Restaurant Tübli in Schwyz führte. «Dort eskalierte es», sagt jemand, der selber an der Feier dabei gewesen war, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Der Zuger Jurist habe erneut rechtsextreme Sprüche von sich gegeben und sogar den Hitlergruss zelebriert. Dafür sei er auf die Theke gestiegen. Er habe, so die Informanten, auch sexistische Sprüche gemacht. Übereinstimmend wird betont, dass er damit als Vorgesetzter nicht mehr akzeptiert worden sei. Im Anschluss hat er jedoch selber seine Stelle gekündigt. «Im gegenseitigen Einvernehmen» hat man sich dann Anfang 2013 getrennt.

Gestern Nachmittag hat der Zuger Jurist diese Aussagen gegenüber der «Neuen Zuger Zeitung» kategorisch bestritten. «Das ist eine perfide Intrige gegen mich», hat er betont. Dass sich verschiedene ehemalige Mitarbeiter heute über ihn beschweren würden, könne er sich nur so erklären, «weil ich halt auch unpopuläre Entscheide fällen musste». Möglicherweise seien einige nicht befördert worden, und jetzt versuchten sie, sich auf diese Weise an ihm zu rächen. «Es gibt keine Beweise für diese Vorwürfe. Auch in meinem Zeugnis wird davon nichts erwähnt. Ich habe gute Noten erhalten.» Allerdings sagte er auch, dass er sämtliche Entscheide der Parteileitung selbstverständlich akzeptieren werde. Wenn es sein müsse, ziehe er seine Nomination auch zurück.

Tännler handelt

Nachdem die «Neue Zuger Zeitung» Regierungsrat Heinz Tännler mit den vorliegenden Fakten konfrontiert und ihn zu einer Stellungnahme aufgefordert hatte, liefen die Telefone heiss. Für Tännler stand sofort fest: «Sollten diese Vorwürfe nicht hieb- und stichfest widerlegt werden, ist eine solche Kandidatur untragbar.» Für die SVP wäre es verantwortungslos, unter diesen Voraussetzungen in einen Wahlkampf zu steigen.

Aus diesem Grunde verlangte Tännler gestern Nachmittag eine ausserordentliche Sitzung der erweiterten Parteileitung – die am Abend dann auch stattfand. «Wir müssen die Lage klären, bevor unsere Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit leidet», so Tännlers Forderung. Dieser Meinung schloss sich auch Nationalrat Thomas Aeschi an. «Grundsätzlich muss man über die Bücher, wenn nun Fakten vorliegen, welche zum Zeitpunkt der Vornomination nicht bekannt waren.» Und Tännler ergänzte: Die Parteileitung müsse jetzt Verantwortung übernehmen und alles dafür tun, einen guten Kandidaten zu präsentieren.

Das hat sie in der Folge dann offensichtlich auch getan. Der Entscheid ist gestern Abend relativ schnell gefallen. Dem Vernehmen nach haben die Mitglieder der erweiterten Parteileitung eine Auslegeordnung gemacht und sind dann zum Schluss gekommen, dass sich die Vorwürfe nicht entkräften lassen. Darum hat sie von dieser Kandidatur Abstand genommen. Dazu willigte auch der Zuger Jurist ein.

Schon heute will die Parteileitung mit einem anderen Kandidaten Kontakt aufnehmen. Es eilt: Die definitive Nomination findet übermorgen in Baar statt.

Gericht stellt klare Bedingungen

Kanton ft. Das Obergericht erachtet es als äusserst wichtig, «dass die Parteien Kandidaten vorschlagen, die für ein solch wichtiges Amt geeignet sind» und habe dies schon mehrmals betont. Dies teilt das Gericht auf Anfrage mit. Voraussetzungen seien Sozialkompetenz, persönliche Integrität und Unabhängigkeit, Einfühlungsvermögen, Lebenserfahrung, Ausgeglichenheit, Verschwiegenheit, Effizienz und Entscheidungsfreudigkeit, Offenheit im Umgang, Fähigkeit zu einer eigenen Meinung sowie Teamfähigkeit. Ein Gericht sei eine Art Zwangsgemeinschaft, weshalb gerade Teamfähigkeit von besonderer Bedeutung sei, betont das Obergericht weiter.

Bei einem Richteramt handle es sich um eine wichtige Funktion im Staat. Richter würden auf Vorschlag von politischen Parteien vom Volk gewählt. «Deshalb tragen die politischen Parteien bei der Kandidatenauswahl eine grosse Verantwortung. Nachdem offenbar Vorwürfe an den Kandidaten der SVP im Raume stehen, erachten wir es als unumgänglich, dass die Parteien auch in diesem Fall ihre Verantwortung übernehmen, den Vorwürfen nachgehen und einen Kandidaten vorschlagen, welcher die Voraussetzungen erfüllt», betont das Obergericht.