Rassisten mit Minderheitenschutz

Ostschweiz am Sonntag

In St. Gallen tauchen derzeit gehäuft Sprayereien der sogenannten «Grauen Wölfe» auf. Eine kurdische Familie wurde direkt bedroht. Die türkischen Ultranationalisten sind in der Schweiz gut organisiert – und in der moslemischen Gemeinde integriert.

 Von Sarah Schmalz:

Die beiden Männer, die sich im Coop-Restaurant Lerchenfeld eingefunden haben, sind mit der Ideologie der «Grauen Wölfe», auf Türkisch Bozkurt, vertraut. Sie engagieren sich beide im Kurdischen Kulturverein St. Gallen, organisieren Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, Filmabende. Man kennt sie, und das hat einer von ihnen auf unangenehme Weise zu spüren bekommen: Im September ist sein Treppenhaus mit rassistischen Parolen verschmiert worden. Auch eine seiner Wohnung gegenüberliegende Wand wurde voll gesprayt. (St. Galler Tagblatt vom 19. September). Sprayereien der Bozkurt-Türken (Kasten) prangen auch an anderen Orten der Stadt, etwa bei der Coop-Tankstelle an der Fürstenlandstrasse (Bild).

Friedensprozess als Auslöser

Der bedrohte Kurde glaubt nicht, dass die Türken ihre Provokationen in Taten umsetzen. Ein diffuses Gefühl der Angst haftet dennoch an ihm: «Ich bin wachsam, blicke auf dem Weg zur Arbeit ständig um mich.» Dass die Parolen der «Grauen Wölfe» in St. Gallen derzeit gehäuft auftauchen, verwundert weder ihn noch seinen kurdischen Freund: Das Phänomen stehe in Zusammenhang mit dem Friedensprozess in der Türkei, sind sich die beiden einig. Verhalte sich die PKK ruhig, würden die Bozkurt-Türken lauter. «Weil sie keine Vergeltung fürchten.»

In sogenannten Idealisten-Vereinen sind die «Grauen Wölfe» in der Diaspora gut organisiert. Der Dachverband der Schweizer «Idealisten» nennt sich «Türkisch-islamische idealistische Föderation der Schweiz» (ITF) und hat seinen Sitz in Zürich.

Polemische Diskussion

Taucht die PKK regelmässig im Lagebericht des Nachrichtendienst des Bundes (NDB) auf, wird die Diskussion um die Bozkurt-Türken höchstens polemisch geführt: Während die SVP die «Grauen Wölfe» für ihren Kampf gegen die Islamisierung instrumentalisiert – beispielsweise in ihrer Abstimmungskampagne zur Minarett-Initiative – wiegelt die Politik regelmässig ab: «In der Ostschweiz existieren keine Ableger der ITF», hielt die St. Galler Regierung 2007 etwa in einer Antwort auf eine Anfrage von SVP-Politiker Lukas Reimann fest.

«Kenne ihre Ideologie nicht»

In der Kluft zwischen Polemik und Bagatellisierung haben sich die «Grauen Wölfe» gut eingerichtet. So ist die ITF unter anderem Mitglied der Vereinigung der Islamischen Organisationen Zürich (Vioz). Deren Präsident Mahmoud El Guindi wiederum vertritt die Moslems in der Gesellschaft für Minderheiten Schweiz (GMS). Darauf angesprochen gibt sich Vioz-Vizepräsidentin Blekis Osman Besler, obwohl selber Türkin, ahnungslos: «Ich weiss nicht, was die Idealisten-Vereine für eine Ideologie vertreten.» Ob das stimmt oder nicht: Aufgenommen hätte der Vioz die Idealisten ohnehin. «Als GMS-Mitglieder vertreten wir die Moslems der Schweiz, unabhängig von ihrer Ethnie.» Eine Überwachung einzelner Organisationen sei für den ehrenamtlichen Dachverband weder machbar noch dessen Aufgabe. «Das ist die Sache unserer rechtsstaatlichen Behörden.»

Laut der Internetseite der Vioz hat die ITF 13 Mitglieder. Verifizieren lässt sich das nicht: Telefonisch ist die ITF nicht zu erreichen, E-Mail- und Facebook-Anfrage bleiben unbeantwortet. Die Dachorganisation der «Idealisten» will sich offenbar nicht als solche zu erkennen geben: Auch dass der Verein nur auf der Vioz-Seite gemeldet ist, weist darauf hin. Im Telefonbuch findet sich unter besagter Adresse der Türkische Kulturelle Verein Zürich, auf seiner Homepage nennt sich die ITF Türkisch-Islamischer Kulturverein.

Ableger in Wil

Der Türkisch Kulturelle Kreis Olten und der Türkische Kulturverein Basel sind als Hochburgen der «Grauen Wölfe» bekannt. Ein Basler Vereinsmitglied bestätigt, dass beide Mitglied der Zürcher Dachorganisation sind. Als weitere Ableger nennt er Kulturvereine in Aarau, Bern und Zug. In der Ostschweiz seien die «Grauen Wölfe» im Türkischen Kulturverein Wil organisiert – die Frage, ob auch der Türkische Kulturverein Rheintal zur ITF gehört, bleibt unbeantwortet. Das junge Basler Vereinsmitglied will nicht in die rechtsextreme Ecke gestellt werden. Sein Kulturverein distanziere sich klar von Extremismus und Gewalt, sagt er. «Über uns wird viel diskutiert, ohne dass man uns wirklich kennt. Dabei ist jeder, der Fragen hat, herzlich willkommen.»

Nicht alle sind extrem

Christoph Peter Baumann, Religionswissenschafter und Leiter des Vereins Information Religion, hat in den vergangenen 30 Jahren über 800 Besuche in verschiedenen ITF-Gemeinden unternommen. Im Auftrag des Bundes hat er dazu einen 100seitigen Bericht verfasst, der allerdings nie veröffentlicht wurde und deshalb nicht zugänglich ist. Baumann bestätigt, dass viele der ITF-Mitglieder harmlos seien. Einige wüssten nicht einmal, welche Gesinnung ihre Moschee habe. «Sie beten einfach in dem Gebetsraum, der ihrem Wohnort am nächsten liegt.»

Zum harten Kern der Bozkurt-Türken zählt Baumann 20 bis 30 Prozent der Mitglieder. Das mag im Verhältnis wenig sein. An der Präsenz der «Grauen Wölfe» ändert es nichts.

Graue Wölfe: Der Traum vom Grossreich

In der Türkei sind die ultranationalistischen «Grauen Wölfe» für Hunderte von Morden an Kurden, Aleviten, Armeniern, Juden oder Sozialisten verantwortlich. Ihre Partei, die MHP, kam 1975 dank eines Bündnisses mit der konservativen Gerechtigkeitspartei an die Regierung. Heute hat die MHP 71 der 549 Parlamentssitze inne. Die Gewaltwelle, die zwischen 1974 und 1980 ihren Höhepunkt erreicht hatte, ist abgeebbt. Der Traum der «Grauen Wölfe» ist derselbe geblieben: ein Grosstürkisches Reich, das alle turkstämmigen Völker vereint.