«Wir kennen keine rote Liste»

NeueLuzernerZeitung

«Wir kennen keine rote Liste»

Die Polizei rechtfertigt ihr Vorgehen vor der 1.-August- Feier auf dem Rütli.

Parteien und Politiker wollen dennoch einige Fragen geklärt haben.

Die Polizei soll am 1. August in Brunnen mit einer «roten Liste» gearbeitet haben, sagen Betroffene. Die Sicherheitskräfte bestreiten dies.

von Michael Widmer

Verwirrung um die so genannte «rote Liste». Abgewiesene hatten berichtet, sie seien am 1. August in Brunnen von der Polizei mit der Begründung abgewiesen worden, sie stünden auf einer «roten Liste». Hatten die Polizisten Zugriff auf eine geheime Datenbank? Florian Grossmann, Mediensprecher der Kantonspolizei Schwyz, betonte gestern auf Anfrage: «Es gibt keine rote Liste.»

Daten aus Isis-System

«Wir kennen keine rote Liste», sagt auch Jürg Siegfried Bühler, stellvertretender Chef des Dienstes für Analyse und Prävention (DAP) des Bundesamtes für Polizei. Die vertrauliche Liste, welche jährlich dem Bundesrat und der Geschäftsprüfungsdelegation vorgelegt werde, heisse Beobachtungsliste. Diese enthalte Namen von Gruppierungen und Organisationen, bei welchen der konkrete Verdacht bestehe, dass sie die innere oder äussere Sicherheit gefährden könnten. Diese Liste sei ein politisches Instrument und in Brunnen mit Sicherheit nicht verwendet worden.

Es sei jedoch möglich, dass die Polizei auf Daten des Informatisierten Staatsschutz-Informationssystems (Isis) zurückgegriffen habe. Darin bearbeite der DAP gemäss geltendem Recht die für seine Tätigkeit notwendigen Daten, darunter auch solche über gewalttätige rechtsextreme und gewalttätige linksextreme Personen.

Erfasst wird, wer klare Kriterien erfüllt: Der Bund muss Gefährdungen durch Terrorismus, verbotenen Nachrichtendienst und gewalttätigen Extremismus, aber auch Vorbereitungen zu verbotenem Handel mit Waffen und radioaktiven Materialien sowie zu verbotenem Technologietransfer erkennen und verhindern.

Namen auf Liste rot eingefärbt

Bei der 1.-August-Feier auf dem Rütli ging es primär darum, Gewaltbereite vom Festgelände fernzuhalten. Die Organisatorin und Ticketverteilerin Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft (SGG) und die Polizei versuchten darum, bereits im Vorfeld verdächtige Personen herauszufiltern.

Die SGG entschied in einem ersten Schritt, wer ein Ticket erhält und wer nicht. Sie übergab die Liste der Karteninhaber und der Abgewiesenen der Polizei. Diese überprüfte die Angaben unter anderem aufgrund von Isis-Daten und ergänzte das Verzeichnis. Die Polizei durfte ihre Erkenntnisse aus Datenschutzgründen nicht an die Organisatorin weiterreichen. So kam es, dass am 1. August Personen abgewiesen wurden, die im Besitz eines Tickets waren. Passiert sind auch Missverständnisse, wie die Polizei bereits gestern einräumte. Unbescholtenen Bürgern wurde der Zutritt zum Rütli verweigert.

Wie ist aber zu erklären, dass vor Ort von einer «roten Liste» gesprochen wurde? Offenbar wurden Namen auf der von der Polizei ergänzten Liste rot markiert.

Kritik wird lauter

Die 1.-August-Feier gibt weiter zu reden. Der Luzerner Grossrat Damian Meier (FDP) reichte zu Handen des Regierungsrates eine Dringliche Anfrage ein. Es sei fragwürdig, ob «die Rütlifeier noch einem echten Bedürfnis breiter Bevölkerungsschichten entspricht und weiter unterstützt werden muss».

Die SVP des Kantons Luzern zeigte sich entsetzt darüber, dass die Bundesfeier auf dem Rütli Kosten von über 1 Million Franken verursacht habe. «Dieser enorme Aufwand rechtfertigt eine solche Feier auf keinen Fall.» Die Partei kritisierte auch die Einladung von Festredner Markus Rauh. SGG-Präsidentin Judith Stamm solle so bald wie nur möglich zurücktreten.

«Eine apolitische Rede ist nicht möglich»

Die 1.-August-Feier auf dem Rütli gibt weiter zu reden. Judith Stamm, Präsidentin der Rütlikommission, zieht ein positives Fazit.

Sie haben eine turbulente Woche hinter sich. Was für Lehren ziehen Sie?

Judith Stamm: Mit der diesjährigen Rütlifeier haben wir unser Ziel erreichen können. Es war wichtig, auf dem Rütli einen Anlass durchführen zu können, an dem den Besuchern nicht die Furcht im Nacken sitzt. Und es war wichtig, dass der Redner nicht niedergeschrieen wurde.

Sie nannten das eine würdige Feier. Aber ist es das wirklich, wenn die Redefreiheit vor einem handverlesenen Publikum mit 1 Million Steuerfranken durchgesetzt werden muss?

Stamm: Wieso nicht? Es geht darum, dass der Redner auf dem Rütli frei reden kann. Zudem war das Publikum nicht handverlesen. Es deckte das ganze politische Spektrum ab, von rechts bis links.

War dem wirklich so?

Stamm: Ja, denn die Leute haben sich an den unterschiedlichen Stellen der Rede von Markus Rauh gefreut oder gestört. Aber es stimmt. Auch für mich war das riesige Sicherheitsaufgebot nicht befriedigend. Das hatte aber nicht nur mit der Rütlifeier zu tun, sondern auch damit, dass die Polizei eine Konfrontation in Brunnen verhindern wollte.

Also geht 2007 alles gleich weiter?

Stamm: Beschlossen ist nichts. Aber ich gehe davon aus, dass auch nächstes Jahr eine Rütlifeier stattfinden wird.

Weder das Ende der Rütlifeiern noch eine eventuell mehrjährige Pause sind für Sie eine Option?

Stamm: Darüber haben wir uns bereits im letzten Jahr, als Bundespräsident Samuel Schmid am Reden gehindert wurde, viele Gedanken gemacht. Wir sind zum Schluss gekommen, dass wir an der Feier festhalten.

Weshalb?

Stamm: Weil wir sonst die Rütliwiese den Rechtsextremen überlassen würden. Sie würden eine eigene Feier organisieren, deren Bilder wohl um die Welt gingen. Selbst wenn wir keine Feier machten, müssten wir das Rütli also mit einem grossen Sicherheitsdispositiv abriegeln.

Es wird gefordert, künftig nur noch eine Grundsatzrede zu halten oder ein apolitisches Fest zu machen.

Stamm: Das sehe ich nicht so. Es gibt in der ganzen Schweiz genügend solche Anlässe. Zudem ist es doch gar nicht möglich, am 1. August eine apolitische Rede zu halten.

Mit der Wahl von Redner Markus Rauh haben Sie bewusst provoziert.

Stamm: Ich habe ein Interview mit ihm gelesen und gesehen, dass er ein engagierter Bürger ist.

Es war klar, dass er gegen die Verschärfungen im Asylbereich ist.

Stamm: Darf ich denn aufs Rütli nur noch Befürworter einladen? Es gibt ja nichts anderes als Befürworter oder Gegner.

Genau deshalb wäre eine Vereinbarung sinnvoll, nicht über Abstimmungsthemen zu reden.

Stamm: Das haben wir noch nie gemacht. Ich habe auch dem damaligen Bundesrat Kaspar Villiger oder den Zentralschweizer Parlamentariern Bruno Frick, Edi Engelberger oder Franz Steinegger keine Vorschriften gemacht.

Die Asylabstimmung ist aber hoch emotional. Mit dem Redner Rauh wurde unnötig Öl ins Feuer gegossen.

Stamm: Ich habe im Voraus immer gesagt, dass Markus Rauh keine Abstimmungsrede hält. Und das hat er auch nicht gemacht. Er hat viele unterschiedliche Themen angesprochen. Von der ganzen Rede umfasste der Asylteil nur einen Zwölftel.

An Rücktritt denken Sie nicht?

Stamm: Nein, sicher nicht. Jetzt müssen wir erst einmal analysieren und dann entscheiden, wie es weitergehen soll.
INTERVIEW JÜRG AUF DER MAUR

Polizeichef: «Opfer unvermeidbar»

Laut dem Urner Polizeikommandanten Reto Habermacher war es unvermeidbar, dass unbescholtene Bürger nicht zur Bundesfeier auf dem Rütli zugelassen wurden. Dies sei bei einem solchen Sicherheitssystem unumgänglich, sagt Habermacher in einem Interview mit dem «Urner Wochenblatt». Er räumte ein, dass die Entscheide «ein Stück weit Gefühls- und Bauchentscheide» seien.