«Wir haben kein Sprachrohr»

Der Bund

BURGDORF / Unlängst wurde eine anonyme Schrift namens «Reflektor» in 2000 Briefkästen gesteckt. Bei den Autoren handelt es sich um eine Gruppe junger Leute, die sich von Skinheads bedroht fühlen. Viele ihrer Altersgenossen hätten dasselbe Problem, sagen sie.

* STEFAN VON BELOW

«Eigentlich bin ich der Meinung, dass man für seine Überzeugungen offen einstehen sollte», sagt Anna M.* im Gespräch mit dem «Bund». Trotzdem wollen die junge Burgdorferin und ihr Kollege Martin P.* ihre richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen. Andernfalls hätten sie «schwerwiegende Probleme» mit Skinheads zu befürchten, sagt M. – «von Drohungen bis hin zu physischer Gewalt». Und davon wollen die beiden nichts wissen. Schon heute werde er «regelmässig angemacht», sagt P. «Und das sogar beim Einkaufen in der Migros», fügt M. hinzu. Schweigen wollen die beiden dennoch nicht. Zusammen mit rund einem halben Dutzend Altersgenossen aus Burgdorf und Umgebung haben sie unter dem Titel «Reflektor» eine mehrseitige Schrift verfasst und in 2000 Burgdorfer Briefkästen verteilt. Auch die Mitglieder des Stadt- und Gemeinderates wurden beliefert. In ihrem Blatt warnen die jungen Leute eindringlich vor dem Rechtsextremismus und kritisieren die Art und Weise, wie Behörden und Öffentlichkeit bis anhin damit umgingen. Lange Zeit sei das Problem überhaupt nicht erkannt worden, sagt M. «Ich fühlte mich völlig ungeschützt.»

«Es kann alle treffen»

Vielen jungen Burgdorferinnen und Burgdorfern gehe es ähnlich wie ihr. «Wenn die Skins keine Linken oder Ausländer provozieren können, kann es alle treffen», sagt P. Dazu brauche man nicht auszusehen wie ein Punk. «Ein Kapuzenpulli reicht vollkommen – in ihren Augen gilt man schnell einmal als Linker.» Auch Drogenabhängige seien in letzter Zeit vermehrt Opfer rechter Gewalt geworden. Doch die, so P., «würden nie Anzeige einreichen». Die Sicht der Betroffenen sei bisher in der Öffentlichkeit viel zu wenig zum Zug gekommen, sagen die Initianten von «Reflektor». Politiker, Polizei und Medien hätten das Problem zu wenig ernst genommen oder als «Grabenkampf» zwischen links- und rechtsgerichteten Jugendlichen abgetan. «Wir fühlten uns verarscht», sagt M. Mit dem «Reflektor» wolle man Gegensteuer geben. «Sonst haben wir kein Sprachrohr.» Künftig, so P., möchten die Autorinnen und Autoren aber auch «andere gesellschaftliche Themen» aufgreifen.

Lob für «Courage»

Dass der Gemeinderat mit der in diesen Tagen lancierten Kampagne «Courage» (siehe unten) nun von sich aus etwas unternimmt, stösst bei M. und P. grundsätzlich auf Zustimmung – auch wenn sie bezweifeln, dass dabei «etwas Griffiges» herauskommt. «Ich wünsche mir vor allem, dass das Problem endlich als solches erkannt und nicht weiter heruntergespielt wird», sagt P. Dazu sei Selbstkritik auf allen Seiten nötig, fügt M. hinzu – «auch bei uns». Was die aktuelle Situation angeht, so seien die öffentlichen Auftritte von Skinheads zurzeit eher selten. Regelmässig in der Stadt anzutreffen sei nur ein harter Kern von rund fünf Leuten, sagt M. In grösseren Gruppen seien die Skins in letzter Zeit allenfalls am Wochenende aufgetreten. Wie lange die momentane Ruhe anhält, ist allerdings offen. «Gegenwärtig kommen sie langsam wieder hervor», sagt P.

*Namen von der Redaktion geändert.

«Courage»: Erfolgreicher Start

bwb. Mit einem Informationsabend zum Thema Rechtsextremismus startete der Burgdorfer Gemeinderat am Dienstag die Kampagne «Courage: Für Menschen – gegen Gewalt», mit der er gegen destruktives Verhalten antreten will. Das Thema scheint zahlreichen Burgdorferinnen und Burgdorfern am Herzen zu liegen: Rund 150 Personen versammelten sich in der Gsteighof-Aula. In einem engagierten Referat rief Jürg Wegmüller, Rektor des Gymnasiums, die Anwesenden dazu auf, der Ideologie des Rechtsextremismus entschieden entgegenzutreten. Das eigentliche Problem ortet er allerdings nicht bei den Skins, sondern in einer gesamtgesellschaftlichen Stimmung, die zunehmend von Fremdenfeindlichkeit und Entsolidarisierung geprägt sei. Darin sieht Wegmüller eine Art «präfaschistisches Syndrom», das den Erfolg der Skins erst ermögliche.

Lob vom Skinhead-Experten

Auch Rechtsextremismus-Experte Jürg Frischknecht wies auf den Zusammenhang zwischen der «Brutalisierung der Wirtschaft, der «Demagogisierung der Politik» und dem Entstehen einer Glatzen-Szene hin. Eine Kampagne im Stil von «Courage» sei das «beste Gegenmittel», sagte er. «Wir brauchen ein offenes Bekenntnis zum Zusammenstehen», so Frischknecht. «Es kann uns nicht egal sein, wenn Junge auf Hitler stehen, als ob er ein Popstar gewesen wäre.» Die Psychologin Agnes Berger Bertschinger rief in ihrem Referat dazu auf, die betroffenen Jugendlichen trotz klarer Stellungnahme gegen den Rechtsextremismus «nicht fallen zu lassen». Vielmehr sei es wichtig, mit ihnen im Gespräch zu bleiben. Wenn ein Jugendlicher zum Skin werde, sei in vielen Fällen auch «Vereinsamung» im Spiel. In der anschliessenden Diskussion äusserten mehrere jugendliche Votanten Zweifel an der Möglichkeit von Diskussionen mit Skins. «Das einzige Argument, das sie verstehen, ist eine Faust in die Fresse», machte einer von ihnen seinem Ärger Luft. In anderen Voten wurde die Haltung von Justiz und Polizei kritisiert, die das Problem verharmlosten. «Wenn man bei der Polizei Anzeige erstatten will, wird man nicht ernst genommen», sagte ein Jugendlicher. «Für die Polizisten ist man lediglich eine Last.»