Wieso Internet-Hater für die Justiz kaum zu fassen sind

Neue Zürcher Zeitung. Der Fall der Neonazi-Band Mordkommando ist beispielhaft: Zwar werden illegale Inhalte heute rascher gelöscht, doch vor der Justiz sind die Täter noch immer sicher. Jetzt sucht die Politik nach Lösungen.

Mit blankem Hass, rassistischen Parolen und Drohungen überzieht die anonyme Neonazi-Band Mordkommando Youtube-Konsumenten – und die Strafverfolgungsbehörden sind machtlos. Die Abwehr von widerrechtlichen Inhalten ist ein Kampf gegen Windmühlen, der Justiz und Politik schon seit Jahren auf Trab hält. Internet-Giganten wie Google und Facebook haben ihr Instrumentarium in den letzten Jahren zwar aufgerüstet, damit solche Inhalte möglichst rasch wieder vom Netz verschwinden. Facebook, Twitter oder Youtube prüfen inzwischen 89 Prozent der gemeldeten Inhalte innerhalb von 24 Stunden und entfernen 72 Prozent, wie die EU-Kommission für Justiz- und Verbraucherschutz vor zwei Wochen erklärte. Vor drei Jahren waren diese Werte nicht einmal halb so hoch.

Fedpol hat bei Youtube einen Sonderstatus

Auch das Bundesamt für Polizei (Fedpol) in Bern konstatiert, dass die Zusammenarbeit mit Google, Facebook und Co in den letzten Jahren insbesondere bei Verbrechen gegen Leib und Leben und in der Terrorismusbekämpfung besser geworden ist. Bei Youtube verfügt Fedpol beispielsweise über den Status eines Trusted Flagger. Meldungen von Trusted Flaggers über widerrechtliche Inhalte bearbeitet Youtube priorisiert, so dass entsprechende Filme oft innert Stunden vom Netz verschwunden sind. Facebook biete ein spezielles Meldeformular für Strafverfolgungsbehörden an, erklärt die Fedpol-Sprecherin Lulzana Musliu auf Anfrage.

Doch die Löschung ist nur der erste Schritt – als weit schwieriger erweist sich die Strafverfolgung, wie der Fall der Neonazi-Band Mordkommando beispielhaft zeigt. Für Strafverfolger und Justizbehörden stellt dieses Problem ein Dauerärgernis dar, zumal in den USA, wo die meisten Internetfirmen sitzen, eine andere Auffassung von Recht auf freie Meinungsäusserung besteht. Geht es um Leib und Leben oder terroristische Aktivitäten, funktioniert die Zusammenarbeit via Rechtshilfe gut. Doch wollen die Justizbehörden Informationen über Urheber von rassistischen oder gewaltdarstellenden Inhalten, beissen sie rasch auf Granit. Rechtshilfe bleibe dennoch wichtig, sagt Musliu: «Wir nutzen auch den FBI-Attaché in der Schweiz für das Erleichtern der Rechtshilfe mit den grossen amerikanischen Internetunternehmen.»

National- und Ständerat verlangen nun, dass soziale Netzwerke in der Schweiz in Zukunft über eine Geschäftsstelle oder zumindest über ein Zustelldomizil verfügen. Auf diese Weise wollen sie die Rechtsdurchsetzung im Internet stärken. Klagen oder Massnahmenbegehren gegen grosse Internetplattformen würden so erleichtert und beschleunigt, meinte der Zürcher Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne), auf den der Vorstoss zurückgeht.

Der Bundesrat unterstützt dieses Anliegen. Im Nationalrat warnte die damalige Justizdirektorin Simonetta Sommaruga jedoch vor übertriebenen Hoffnungen: «Wenn sich ein Unternehmen im Ausland weigert, der Pflicht zur Bezeichnung eines Zustelldomizils nachzukommen, dann haben die schweizerischen Behörden aufgrund des Territorialitätsprinzips kaum Möglichkeiten, dies zwangsweise durchzusetzen.» Der Fall Mordkommando zeigt ausserdem, dass die Herausgabe der Daten selbst dann scheitern kann, wenn sich der betreffende Anbieter kooperativ zeigt.

50 Millionen Euro für strafbare Inhalte

Verschiedene Staaten gehen sogar einen Schritt weiter und versuchen, Hate Speech und illegale Inhalte mittels neuer Gesetze auszuhebeln. So haben die USA die Clarifying Lawful Overseas Use of Data Act (Cloud Act) erlassen. Auf diese Weise soll die Herausgabe von Daten erzwungen werden, und zwar unabhängig davon, ob diese sich in den USA befinden. In Deutschland ist vor einem Jahr das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz – umgangssprachlich: Facebook-Gesetz – in Kraft getreten. Offensichtlich strafbare Beiträge müssen von Facebook, Youtube und anderen Firmen künftig innert 24 Stunden entfernt werden. Falls sich ein Betreiber weigert, drohen Bussgelder von bis zu 50 Millionen Euro. Doch das Gesetz ist stark umstritten: Kritiker meinen, die Firmen löschten aus Angst vorsorglich zu viel – und schränkten so die Meinungsäusserungsfreiheit ein.

In künftigen Fällen will die Zürcher Staatsanwaltschaft die Herausgaben über das revidierte Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Büpf) erzwingen. Simon Schlauri, Anwalt für Technologierecht, zeigt sich allerdings skeptisch, dass dieser Weg zuverlässig funktioniert. Das Büpf gelte nur für Anbieter mit Sitz in der Schweiz, erklärt er auf Anfrage.