Berner Zeitung. Ein Satz aus der Welt der Nazis, dazu das N-Wort – mit ihrem «Päng» sorgen die Langenthaler Fasnächtler für Aufsehen. Experte Giorgio Andreoli ordnet ein.
Dieser Satz sollte lustig sein. Immerhin war Fasnacht, und in diesen Tagen gehört es dazu, die Welt für einmal nicht so tierisch ernst zu nehmen. «Arbeit macht frei», schrieben also die Langenthaler Narren in ihre Fasnachtszeitung «Päng» – eigentlich wollten sie sich darüber mokieren, dass ihre Stadt ohne Budget ins neue Jahr gestartet ist und somit vorläufig nur noch bezahlen darf, was für ihr Funktionieren wirklich nötig ist.
Das Wegwischen der Konfetti, sinnierten die Fasnächtler, gehöre sicher nicht zu diesen zwingenden Aufgaben. Also sahen sie sich bereits mit Besen bewehrt durch Langenthals Gassen ziehen und die Hinterlassenschaften der Fasnacht beiseiteschaffen. Eben, ganz nach dem Motto «Arbeit macht frei».
Nur – just dieser Satz hing in den dunklen Zeiten des Zweiten Weltkriegs über den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Für die Inhaftierten, die dort schufteten, dabei erniedrigt, gequält und in den Tod getrieben wurden, musste er wie blanker Hohn tönen. Ihn zu benützen, verbietet sich seither. Das wissen eigentlich auch die Macherinnen und Macher von «Päng», wie sie im Nachhinein versicherten. Womöglich, erklärten sie weiter, habe der Verfasser der verhängnisvollen Zeile diese Hintergründe einfach nicht gekannt.
Ob das wirklich sein kann? Giorgio Andreoli, Leiter der Berner Beratungsstelle gggfon – «Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus» – sucht nach Antworten.
Giorgio Andreoli, kann man heute wirklich nicht mehr voraussetzen, dass die Hintergründe von «Arbeit macht frei» jedem und jeder geläufig sind?
Diese Frage kann man nicht mit einem klaren Ja oder Nein beantworten. Deshalb würde ich als Berater die Autorinnen und Autoren des fraglichen Artikels auch nicht von vornherein verurteilen. Sondern mit ihnen in einen Dialog treten und herauszufinden versuchen, ob dieser Satz wirklich ihrer Haltung entspricht. Sie sollen sich erklären.
Das macht die Sache nicht besser. Zumal in der «Päng»-Redaktion Leute sitzen, die sehr wohl über ein Sensorium für rassistisches Gedankengut verfügen und auch schon gegen rechtsextreme Machenschaften aktiv geworden sind.
Umso mehr lohnt es sich, in einem solchen Fall genau hinzuschauen. Bei meiner Arbeit stelle ich fest, dass das Wissen um den Nationalsozialismus und seine Symbole in der Tat mehr und mehr verblasst.
Weil der Abstand zur Nazizeit und zum Zweiten Weltkrieg immer grösser wird? Und andere Probleme wie Corona, Ukraine-Krieg und Klimakrise viel akuter sind?
Das spielt eine Rolle, trotzdem können Äusserungen und Symbole aus dieser Zeit noch immer verletzen. Man kann nun sagen, in dieser Situation sei in erster Linie die Schule gefordert. Wir stehen aber als Gesellschaft insgesamt in der Pflicht.
Wie genau soll die Gesellschaft mit solchen Entgleisungen umgehen?
Nehmen wir die Hakenkreuze, die in letzter Zeit gerade bei den Jugendlichen wieder vermehrt auftauchen. Auch hier gehen wir zuerst der Frage nach: Warum benutzen sie solche Symbole? Aus reiner Lust am Provozieren? Oder steckt doch mehr dahinter? Regelrecht in Mode gekommen ist übrigens das Erika-Lied. Es geht in den sozialen Medien viral.
Erika-Lied? Das müssen Sie erklären.
«Erika» ist ein Heimatlied aus den 1930er-Jahren, das ursprünglich rein gar nichts mit den Nationalsozialisten zu tun hatte. Später wurde es von ihnen aber vereinnahmt als Stück, das die Liebe zum Vaterland und die traditionelle Rolle der Frau als treue Gefährtin im Haus und am Herd besingt. Es wurde zu einem Stück Nazi-Propaganda.
Wieso hören junge Leute von heute ein solches Lied? Sein zackiger Marschmusikrhythmus wirkt jedenfalls alles andere als modern.
Wenn ich Schülerinnen und Schülern diese Frage stelle, bekomme ich zur Antwort: «Es fägt einfach, es ist lustig.» Umso wichtiger ist es, den Jugendlichen die Nazi-Hintergründe aufzuzeigen und Verständnis dafür zu wecken, dass man sich ein solches Lied besser nicht anhört. Weil jeder Klick einen Algorithmus füttert und der Song dann beim Surfen umso eher wieder vorgeschlagen wird – jeder Klick trägt so zur Verbreitung eines problematischen Gedankenguts bei. Von den rechten Kreisen, die das Lied im Internet lanciert haben, ist das genau so gewollt.
Trägt Ihre Aufklärungsarbeit Früchte? Verzichten die Jungen nun wirklich darauf, das Lied zu hören?
Wir haben den Prozess in einer Klasse angestossen, und er läuft im Moment noch. Deshalb muss ich die Antwort im Moment offenlassen.
Manchmal begibt man sich auch völlig unversehens aufs Glatteis. Wissen Sie, was hinter dem Ausdruck «die Polizei, Dein Freund und Helfer» steht?
Nein.
Der Satz wurde Ende der 1920er-Jahre von einem preussischen Minister geprägt und später ebenfalls von den Nazis vereinnahmt. Sie wollten ihre Ordnungshüter in ein gutes Licht rücken.
Das hätte ich so nicht eingeordnet.
Dieses Beispiel zeigt, wie rasch ein scheinbar harmloser Ausdruck einen problematischen Beigeschmack bekommen kann. Weit eindeutiger liegt die Sache bei der zweiten Entgleisung, die sich die Langenthaler Fasnachtszeitung geleistet hat.
In einem kleinen Beitrag spotten die «Päng»-Macherinnen und -Macher über einen Gewerbler, der zum letzten Jahreswechsel nur Schokoküsse verteilt habe. Bei diesem Geschenk komme sich der Kunde selber ein Stück weit als N … vor, frotzeln sie – und haben unversehens das N-Wort in die Tasten gehauen. Jenes diskriminierende Wort also, das dunkelhäutige Menschen jahrhundertelang als minderwertige Rasse brandmarkte und deshalb schon länger auf dem Index steht.
Giorgio Andreoli, mit Nichtwissen wird man einen solchen Fauxpas kaum entschuldigen können, oder?
Da bin ich völlig gleicher Meinung. Für das N-Wort gibt es keine Entschuldigung. Es gehört definitiv aus dem Vokabular gestrichen.
Nun könnte man sagen, es ist Fasnacht, und an der Fasnacht geht es lustig zu und her. Deshalb ist mehr erlaubt als im normalen Alltag.
Die Frage ist: Was darf Comedy und was nicht? Für mich ist klar, dass auch Comedy die Menschenwürde achten soll. Es geht nicht an, jemanden mit einem Wort oder einer scheinbar witzigen Bemerkung herabzusetzen und letztlich auch zu verletzen. Die ethischen Massstäbe, die sonst im Leben gelten, treten an der Fasnacht nicht einfach ausser Kraft.
Wer so argumentiert, darf die Reaktion nicht scheuen. Schnell heisst es dann, eine studierte Elite wolle den Leuten verbieten, so zu reden, wie ihnen der Schnabel gewachsen sei. Über die Stränge zu schlagen, gehöre nun mal zur fasnächtlichen Tradition.
Wir kommen nicht weiter, wenn wir uns gegenseitig mit Vorwürfen und Kritik eindecken. Deshalb ist mir das Miteinander-Reden so wichtig. Ich will meinem Gegenüber auf Augenhöhe aufzeigen, was hinter einem problematischen Ausdruck steht. Die Menschen sind durchaus offen für solche Diskussionen und passen ihre Ausdrucksweise entsprechend an. Das geschieht zwar nicht von heute auf morgen, die Veränderung passiert in einem längeren Prozess. Dieser ist beim N-Wort noch nicht abgeschlossen, bei anderen Wörtern dagegen schon.
Gibt es dafür ein Beispiel?
Ich denke an das Fräulein. Noch vor ein paar wenigen Jahrzehnten wurde eine ledige Frau ganz selbstverständlich als Fräulein bezeichnet. Heute ist dieser herablassende Begriff aus dem Alltag fast gänzlich verschwunden. Die Frauenbewegung hat schon einiges erreicht.
Die Diskussionen darüber, was politisch noch korrekt ist und was nicht, sorgen generell für Verunsicherung. Sich als Schwarzer zu verkleiden und das Gesicht entsprechend anzumalen, ist heute verpönt.
Zu Recht. Das sogenannte Blackfacing geht zu weit, weil es untrennbar mit der rassistischen Unterdrückung der Schwarzen in den USA des 18. und 19. Jahrhunderts verbunden ist. Deshalb ist es generell sehr problematisch, sich an der Fasnacht als Schwarzer zu verkleiden.
Andere Verkleidungen sorgen für weit weniger Aufruhr. Nonnen etwa waren auch dieses Jahr an den Fasnachten zu sehen. Dabei können sich gläubige Menschen an einer solchen Aufmachung genauso stören.
Muss es denn stets eine Volksgruppe oder eine religiöse Gemeinschaft sein? Es gibt doch viele andere kreative und lustige Kostüme. Man kann Filmcharaktere, Tiere, Kunstwerke oder gar Gegenstände darstellen. Ein Nonnenkostüm erachte ich als ähnlich problematisch wie generell jede Verkleidung, die herabsetzend oder menschenfeindlich ist. Verstehen Sie mich nicht falsch, mir geht es nicht um Verbote. Auch ein fasnächtlicher Auftritt sollte die Menschen und ihre Geschichten wertschätzen.
In Langenthal suchen die «Päng»-Macher derweil nach einer Erklärung dafür, wieso die beiden problematischen Passagen bei allen Kontrollmechanismen durchrutschen konnten. Man sei unter Zeitdruck gestanden, zudem seien die Texte samt und sonders von Laien in der Freizeit verfasst worden. Aber klar, man werde in Zukunft sicher sensibilisiert sein und noch mehr auf die politische Korrektheit achtgeben.
Giorgio Andreoli, wenn man bei den Fasnachtstexten so viel überlegen muss – besteht da nicht die Gefahr, dass sich am Schluss überhaupt keine Autorinnen und Autoren mehr finden und die Tradition kaputt geht?
Nochmals, es geht nicht darum, Hürden aufzubauen, sondern darum, die Leute im Gespräch ins Boot zu holen und zu sensibilisieren. Es muss Mittel und Wege geben, die verhindern, dass sich eine solche Entgleisung wiederholt.
Welche Möglichkeiten sehen Sie konkret?
Die «Päng»-Redaktion könnte zum Beispiel Hilfe von aussen holen. Wieso nicht auf einer Zeitungs- oder Onlineredaktion nachfragen, wie die Profis mit all diesen Themen umgehen?