Wenn sich der nette Nachbar als Nazi entpuppt

Der Bund

Spanien / Den Neonazis Europas ist es in den Städten offenbar zu eng geworden. Um sich dem Zugriff der Polizeifahnder zu entziehen, hat sich eineGruppe Rechtsradikaler aus Grossbritannien in aller Stille in Spanien einen Unterschlupf aufgebaut, in einem Weiler, der seit Jahren verlassen ist. Nunhaben die spanischen Behörden davon Wind bekommen, und die Neonazis sind untergetaucht.

Autor: Reiner Wandler, Los Pedriches

Der Landwirt José kann es noch immer nicht fassen. «Gefährliche Neonazis? Dabei waren das ordentliche Nachbarn», sagt er. Verdächtige Aktivitätenhabe er nie beobachtet. Im Sommer kommt José fast täglich hinauf nach Los Pedriches – ein verlassener Weiler, umgeben von Wald und Rebbergen, gut70 Kilometer entfernt von der Stadt Valencia.

Vor etwas mehr als drei Jahren, erinnert sich José, kauften die «Ausländer» vier der zwanzig Häuser, aus denen der Weiler besteht. Ein fünftes Hauswurde ihnen zur Miete überlassen. Die «Ausländer», das waren mehrere Briten und zwei Polen. «Seit einer Woche, als TV und Zeitungen die erstenBerichte brachten, sind sie verschwunden», sagt der Bauer.

Hatz gegen Schwule
Über das, was er in den Medien vernahm, staunte José nicht schlecht. Die britische Neonazigruppe International Third Position (ITP) habe aus demverlassenen Weiler einen Unterschlupf und ein Schulungszentrum machen wollen, berichtete die Zeitung «El Pais».

Die ITP soll zu den aktivsten rechtsradikalen Gruppen Grossbritanniens gehören. Sie kämpfe für die Ausweisung der Homosexuellen, Immigranten undJuden. Laut «El Pais» hat die britische Polizei die ITP mit den Bombenanschlägen auf Homosexuellen-Bars in London in Verbindung gebracht, dafüraber nie Beweise erbringen können.

Luis Beltran, der bis vor kurzem Gemeindepräsident war von Venta del Moro und damit auch zuständig für den Weiler Los Pedriches, erinnert sich nochgenau an den «freundlichen Herrn», der im Mai 1996 das Rathaus betrat. «Es war ein Anwalt aus Valencia. Er kaufte im Auftrag von zwei Italienern vierHäuser und das dazugehörende Land», erzählt Beltran. «Angeblich wollten die Käufer einen landwirtschaftlichen Lehrbetrieb gründen.»

Inzwischen hat sich der «freundliche Herr» als Fernando Pazos entpuppt, ein Anwalt, der enge Verbindungen hat zur spanischen Rechtsradikalenszene.Bei den beiden Italienern handelt es sich um Roberto Fiore und Massimo Morsello, Mitglieder der italienischen Gruppe Bewaffneter Revolutionärer Kern(ARN), die mit dem Bombenanschlag von 1980 auf den Bahnhof von Bologna in Verbindung gebracht wird. Das Geld zum Kauf und zum Aufbau derverwahrlosten Häuser in Los Pedriches stammt von der rechtskatholischen britischen Vereinigung Heiliger Erzengel Michael.

Auch die Besucher, die sich an Wochenenden und Feiertagen im Weiler einfanden, waren keine harmlosen Ausflügler. «Kameraden aus Spanien, Polen,Frankreich und England hören begeistert Worte der Weisheit», steht in einem internen Rundbrief der britischen Neonaziszene unter einem Fotogeschrieben. Es zeigt eine Gruppe junger Männer in Los Pedriches, «in der Kommune der freiwilligen Soldaten».

Idealer Schlupfwinkel
Die Gegend um Los Pedriches ist für solche zwielichtigen Gestalten geradezu ideal. Der Weiler ist abgelegen, aber doch gut erschlossen. Er liegt am Endeeiner holprigen Landstrasse, die in nur zehn Minuten auf die Autobahn führt. Polizisten und Staatsbeamte sind hier selten anzutreffen.

Seit Anfang der Siebzigerjahre ist der Weiler verlassen. «Die Bewohner sind alle in die grossen Städte oder ins Ausland gezogen. Ein paar Bauern undHirten kommen gelegentlich vorbei. Über Nacht bleibt aber keiner», sagt Ex-Gemeindepräsident Beltran.

Hakenkreuze am Rathaus
Die Zuwanderer aus dem Ausland sind nur einmal auffällig geworden. Letztes Jahr während des Karnevals wurden zwei der Briten von einem Festausgeschlossen, weil sie betrunken waren. Verärgert schlugen sie die Fenster des Rathauses ein. Später wurde die Fassade des Rathauses mitHakenkreuzen beschmiert.

«Der Presserummel hat sie erst einmal vertrieben», so freut sich Beltran. Vielleicht tut er das zu früh. Ein Anrufer aus Barcelona kündigte soeben eineSolidaritätskundgebung an zugunsten der britischen Gesinnungsgenossen. Und in Los Pedriches hat jemand in diesen Tagen in der Küche frisches Futterund Wasser für die Katze bereitgestellt.