Weisser Lärm. Wenn der Rock rassistisch wird

BernerZeitung

Tina Uhlman hat sich in der Musikszene der Skinheads und angrenzenden Territorien umgehört

EinSturm zieht auf / aus dem hohen Norden / ein Sturm bricht los /und nimmt seinen Lauf / Odins Rache / wir sind hier! Nordwind / White Power from the North! Die Wikinger sind auferstanden, huldigen germanischen Göttern, rocken knüppelhart und sturmtruppschnell – «Erbarmungslos» nennt sich eine Schweizer Skinheadband. Die Drums knattern, die Gitarren schreien, die Bässe dröhen, dieSänger brüllen. Viking Rock oder White Power Music ist simpel gestrickt, nach dem Vorbild des Punk. Und hier beginnen schon die Widersprüche: Skinheads hassen Punks, aber ihren Sound kopieren und Pogo tanzen wie sie – kein Problem.

Professionelle Strukturen
«Die Moite», wie sich das Skinhead-Publikum nennt, wächst in letzter Zeit stark an. Rekrutiert werden die Jungs – praktisch keine Mädchen – an Konzerten. Schon immer war Musik ein Mittel, Jugendliche zu erreichen, zu begeistern, zu gewinnen. Bewertet wird die White Power Music von ihren Fans nach Härtegrad und Tempo, vor allem aber nach politischer Reinrassigkeit. CD-Besprechungen finden sich in einschlägigen Fanzines, die Tonträger kann man via Internet zu marktüblichen Preisen beziehen. «Blood & Honour», die wichtigste Nazi-Skin-Organisation, wurde 1987 als Musikverlag inEngland gegründet.Heute operiert sie international, unter anderem mit der terroristischen Zelle Combat 18, in deren Namen 1 und 8 für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets stehen – die Initialen Adolf Hitlers. Dasnach wie vor aktive Label von «Blood & Honour» führt derzeit über hundert greifbare Titel imSortiment. Neuheiten werden fortlaufend im Internet vorgestellt. In krassestem Wortlaut etwa die aktuelle CD der Gruppe Attack: «…17 hass-erfüllte Tracks, antisemitisch, lesbenschlagend, negerhassend – echter White Power Hardcore. Eine schockierende CD mit schön designtem 8-Seiten-Booklet …» DerGründer von Blood & Honour, Ian Stuart, war bis zu seinem Tod 1994 selbst Sänger und ist so ungefähr der Kurt Cobain der Skinheads. Wie Cobain wird auch Stuart posthum zum Märtyrer verklärt und mit einer Flut von Tribute-Songs beglückt. Die Rituale des Rock haben die Skinheads übernommen. Doch während Rock stets Rebellion gegen Recht & Ordnung bedeutete, macht die White Power Music sich gerade dafür stark. Recht im rechtsextremen Sinne, Ordnung, wie sie im DrittenReich herrschte. Auch Familienwerte – nicht gerade das Lieblingsthema des Rock – lassen die Glatzköpfe hochleben: «Eine sichere Zukunft für unsere weissen Kinder» fordern Bands wie Noie Werte.

Interne Konflikte
Manchmal geraten die Werte der Skinheads etwas durcheinander. In England etwa verprügeln sie Immigranten aus Asien, orientieren sich musikalisch aber an Reggae undSka, Stilen bekanntlich afrokaribischen Ursprungs. Damit wiederum sind die «Kameraden» auf dem europäischenFestland nicht einverstanden. «Für einen weissen Skinhead gibt es keine Alternative zu White Power», erklärt der Sänger der Proissenheads aus Potsdam in einem Interview mit dem Schweizer Skinhead-Magazin «Morgenrot». «Alles andere ist Schwachsinn. Unsere musikalischen Wurzeln sind nicht Ska und Reggae, sondern Oi und Punk. Die Sharp undRedskins sind für uns keine Skins, sie sind Rassenverräter, die man lieber heute als morgen…!» Auch die Doitschen Patrioten aus Magdeburg geben sich puris-tisch: «Demnächst werden wir wohl Rap mit negrigen Black-Power-Einflüssen ins Programm nehmen, hehe…», witzelt der Sänger, «nee, ist natürlich Quatsch, vielmehr proben wir derzeit fleissig, damit wir wieder ins Studio können.»

Sorgfältige Recherchen
Allein inDeutschland produzierten Nazi-Skin-Bands in den neunziger Jahren mehr als 500 Platten mit Auflagen von bis zu 15 000 Stück. Und als bei Resistance Records inDetroit eine Razzia stattfand, stiess die Polizei auf 200 000 CDs im Wert von 5 Millionen Franken. Weitere konkrete Zahlen aus dem Rechts-Rock-Business liefert das Buch«White Noise -Einblicke in die internationale Nazi-Musik-Szene». In mehreren sorgfältig recherchierten Beiträgen werden die Szenen in England, Deutschland, Schweden, Polen und den USA ausgeleuchtet sowie die Geschichte der Skinheads vom erstenAuftauchen – ausgerechnet 1968! – bis heute aufgearbeitet. Herausgegeben hat das Buch eine Gruppe antifaschistischer Bewegungen unter der Federführung der britischen Initiative «Searchlight».

Liebäugelnder Mainstream
Die Schweizer Szene, vergleichsweise klein, bleibt noch zu erforschen. Über die Landesgrenzen hinaus bekannt sind lediglich die radikalen Hammerskins, die zur Zeit erfolgreich Mitglieder werben – natürlich mit ihrer Musik. Aber auch der Pop- und Rock- Mainstream liebäugelt mit neofaschistischem Gedankengut.Bands wie die Ostberliner Rammstein sind stolze Erben der umstrittenen Truppe Böhse Onkelz. In den Skinhead-Fanzines sind solche Bands zwar kein Thema, weil zu wenig explizit, doch können die jungen Neonazis mit ihnen rechnen. Wenn Rammstein & Co. sich nämlich in den Hitparaden breitmachen, sinken die Berührungsängste «ganz normaler» Kids mit dem braunen Gedankengut.
1998 verkauften Rammstein über eine Million Platten; ihre Videos, die nackte Kinder in Käfigen und ähnliche Nettigkeiten zeigten, rotieren fleissig auf Viva. Refrains wie «Ein Mensch brennt / Fleischgeruch liegt in der Luft» polarisieren die Feuilletons, doch wer dabei erschauernd an Auschwitz denkt, ist selber schuld – findet die Band und ihre Plattenfirma. Schliesslich könnte mit diesen Zeilen ebensogut ein Flugzeugabsturz gemeint sein, oder?
Auch die Flammenwerfer auf der Bühne und der Untermensch, den der Sänger zwecks Publikumsbelustigung mit Fliegerstiefeln ins Gesicht tritt, wurden in weiten Kreisen als «jugendliche Provokation» verharmlost oder als gelungener «Marketing-Trick» gefeiert. So werden Hemmschwellen abgebaut und die Gewaltbereitschaft gefördert – ganz legal und ganz ohne Hilfe der Glatzköpfe, über die man sich einig empört. *

Die Autorin: Tina Uhlmann ist BZ-Kulturredaktorin für Rockmusik.