Weckruf für Eidgenossen

Basler Zeitung vom 24.07.2012

Von Ewald Billerbeck

Vor 80 Jahren, Ende Juli 1932, fanden in Deutschland folgenschwere Reichstagswahlen statt. Die Krise im Land, Hitlers Aufstieg, die Aufhebung des Verbots von SA und SS – all das deutete auf einen Wahlsieg der Nationalsozialisten hin, mit ihrer schillernden «Heilsfigur» an der Spitze. Hitler, per Flugzeug von Kundgebung zu Kundgebung reisend, liess am 27. Juli in einer Rede im Berliner Grunewaldstadion keine Zweifel über die Pläne der NSDAP: «(…) unser Ziel ist, diese 30 Parteien, die jetzt an die Wahlurnen treten, aus Deutschland herauszubefördern». Die Auftritte liefen alle nach dem gleichen Muster ab. Vom Hakenkreuz-Wald der Uniformierten getragen, orchestrierte die NS-Partei Macht und Massen im Marschschritt. In seinen Ansprachen erntete Hitler für den Aufruf zum Schulterschluss des Volkes und für Tiraden gegen andere Parteien jeweils den stärksten Beifall. Auch am 29. Juli 1932, abends in Freiburg im Breisgau.

Laut der Presse verfolgten 70 000 Besucher die Propagandaschau im Freiburger FFC-Stadion. Das Veranstaltungsplakat war auch in Basel angeschlagen worden, und «man sah Hunderte von Automobilen mit dem Schweizer bzw. französischen Hoheitszeichen» in Freiburg, schrieb die Basler National-Zeitung (NZ). «Der gründliche Bürger, auch anderer Parteirichtung, wollte unbedingt ‹mal sehen, was an dem Mann ist›!» Doch diesmal sprach Hitler keine zehn Minuten und war wieder weg. In Radolfzell am Bodensee erwartete die nächste Pomparena ihren Hauptdarsteller. Und «ein grosses Kontingent der Besucher stellte auch hier die Schweiz» (NZ). Die Nationalsozialistische Eidgenössische Arbeiterpartei NSEAP hatte mobilisiert.

Sprachrohr dieses Ablegers in der Schweiz war «Der Eidgenosse». Die Zeitung des NSEAP-Gründers Theodor Fischer präsentierte sich als politisches Kampfblatt. Schweiznational durchdrungen (die Romandie stets ausgeklammert), gebärdete sie sich jedoch vor allem als ultrarechtes Hetzblatt gegen Liberalismus, Sozialdemokratie und Kommunisten. «Der Eidgenosse» bot Bücher wie Theodor Fritschs «Handbuch der Judenfrage», Ernst Jüngers «In Stahlgewittern» oder Hitlers «Mein Kampf» an. Man konnte sich unter Titeln wie «Heil Rütli!», «Gleiches Blut» oder «Schweizervolk, erwache!» in dem Parteiorgan auch Gedichte zu Gemüte führen. Und ellenlang las man über «Alljudas grauenvolle Pläne zur Ermordung der arisch-germanischen Völker» und dergleichen.

In den Reichstagswahlen am 31. Juli 1932 verdoppelte die NSDAP ihre Mandate und wurde mit Abstand stärkste Partei. Zum absoluten Mehr reichte es zwar nicht. Doch ein knappes Jahr später machte Hitler, inzwischen Reichskanzler, seine Pläne wahr: Deutschland ein Einparteienstaat unter den Nationalsozialisten, alle andern Parteien verboten oder aufgelöst. Derweil war das Gros der eidgenössischen Nazis in der NSEAP zur Nationalen Front übergetreten, dem erstarkten rechtsextremen Flügel der faschistischen Schweizer Frontenbewegung