War es versuchte Tötung oder lediglich Notwehr?

BernerZeitung

2005 wurde ein Mann beim Bahnhof Thun angeschossen. Dem Täter drohen sieben Jahre Zuchthaus unbedingt.

Insgesamt fielen am 9. Juli 2005 um Mitternacht beim Bahnhof Thun drei Schüsse. Dazu kam es, weil eine Gruppe von sechs bis acht Linken drei Rechtsextreme vertreiben wollte. Unter diesen Rechtsextremen befand sich auch der heute Angeklagte T. R. Er feuerte die drei Schüsse ab. Ob er auf die Linksaktivisten gezielt oder ob es sich bloss um Warnschüsse gehandelt hatte, war gestern vor Gericht unklar. Staatsanwalt Hans-Peter Schürch ging in seinem Plädoyer davon aus, dass der Schütze nicht gezielt hatte.

«Tod in Kauf genommen»

Schürch warf dem Beschuldigten vor, ungezielt, unüberlegt aus einer Distanz von 21 Metern Entfernung auf eine Gruppe von Linken geschossen zu haben. «Der Täter nahm den Tod des Opfers in Kauf und handelte somit eventualvorsätzlich», führte Schürch aus. Er beantragte eine Strafe von sieben Jahren Zuchthaus unbedingt.

Verteidiger Kurt Gaensli war anderer Ansicht.«Mein Klient hatte nie die Absicht, jemanden zu töten. Er schoss gezielt auf den Oberschenkel des Opfers», sagte Gaensli. Der Verteidiger ging sogar noch weiter und bejahte das Vorliegen einer Notwehrsituation. «Die Linken warfen Steine und Flaschen gegen den Angeklagten. Zudem sah dieser, wie einer der Linken einen glänzenden Gegenstand hervornahm», führte Verteidiger Gaensli aus. Er beantragte, dass der bereits vorbestrafte Angeklagte nur wegen Widerhandlungen gegen das Waffengesetz zu zwei Monaten Gefängnis zu bestrafen sei.

Ehemaliger Neonazi

Beim Täter handelt es sich um einen ehemaligen Neonazi. Vor Gericht sagte er aus, dass er sich von der rechten Szene abgewendet habe. Ihm sei übel geworden, als er die gestrige Schlagzeile «Neonazi T. R. morgen vor Gericht» in dieser Zeitung gelesen habe. Zu seinem Sinneswandel habe die Geburt seiner Tochter und ein Gespräch mit seiner Grossmutter geführt, die im Zweiten Weltkrieg in einem KZ-Lager gefangen war. «Ich will mir meine Tattoos entfernen lassen», sagte T. R. vor Gericht. Ein Tattoo auf dem Nacken klebte er ab. Durch das weisse Pflaster schimmerte in gotischer Schrift das Wort «Hass».

Das Opfer trat vor Gericht als Privatkläger auf. Es forderte Schadenersatz und Genugtuung vom Angeklagten. Die Urteilseröffnung ist heute.