Wandschmuck im Büro: Thin-Blue-Line-Flagge bei Staatsanwaltschaft sorgt für Irritation

zuonline.ch

Die dünne blaue Linie, die das Chaos vom rechtschaffenen Bürger trennt, wird in den USA von Rechtsextremen verwendet. Und von einem Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl.

Rechtsextreme, die sich in den USA im Namen von Polizisten unter dem Motto «Blue Lives Matter» gegen «Black Lives Matter»-Demonstrationen stellten, trugen die Flagge ebenso wie radikale Trump-Anhänger, die das Capitol stürmten. Eine dünne blaue Linie, die zwei schwarze Flächen trennt. Die Botschaft des sogenannten Thin-Blue-Line-Symbols: Die Polizei bildet eine Grenze zwischen rechtschaffenen Bürgerinnen und dem gesellschaftlichen Chaos.

Nun ist eine solche Flagge auch im Büro der Zürcher Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl an der Gartenhofstrasse im Kreis 4 aufgetaucht. Jemand hatte sie dort an die Wand gehängt. Die regionale Staatsanwaltschaft bezog die Büros vor einigen Wochen. Davor war in dem Gebäude die Staatsanwaltschaft III untergebracht, die inzwischen ins Polizei- und Justizzentrum (PJZ) umgezogen ist.

Polizei rät von Verwendung ab

Direkt gegenüber dem Gebäude an der Gartenhofstrasse befindet sich das Parteisekretariat der Zürcher SP und den Juso. Dort war man erstaunt, als man die Flagge erblickte. Es handelt sich um die Schweizer Version von Thin Blue Line: ein weisses Schweizerkreuz auf schwarzem Grund und in der Mitte die blaue Linie. 

Zwei Waadtländer Polizisten hatten das Logo 2016 eingeführt. Sie wollten damit Polizisten in der ganzen Schweiz vereinen. In der Tat war das Logo ursprünglich als Zeichen der Solidarität unter Sicherheitskräften gedacht. Seit Rechtsextreme in den USA oder auch der Anti-Corona-Bewegung Mass-Voll sich hinter solche Thin-Blue-Line-Flaggen stellen, rät die Zürcher Stadtpolizei ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, das Logo nicht öffentlich zu tragen. Da wurde vor wenigen Monaten der Fall eines Polizisten bekannt, welcher das Thin-Blue-Line-Logo an seinem Polizei-Rucksack trug.

Ähnlich äusserten sich auch verschiedene Polizeikorps in Deutschland: Aussenstehende könnten aufgrund der Vorfälle in den USA «Zweifel an der Neutralität. Objektivität und Unparteilichkeit» der Beamten bekommen, schrieb das bayrische Landeskriminalamt seinen Polizistinnen und Polizisten.

Sachbearbeiter hatte Flagge aufgehängt

Der Zürcher Staatsanwaltschaft ist es offenbar unangenehm, dass eine solche Flagge in ihren Räumlichkeiten aufgetaucht ist. Auf eine Anfrage dieser Zeitung schreibt der Mediensprecher Erich Wenzinger: «Weder die Oberstaatsanwaltschaft noch die Leitung der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl wussten bisher von der Existenz einer solchen Flagge in den Büros an der Gartenhofstrasse.» Aufgehängt hatte die Flagge ein Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl. Mit ihm habe man das Gespräch gesucht und ihn für «die unterschiedliche Interpretationsweise dieser Flagge» sensibilisiert, sagt Wenzinger. Daraufhin sei sie «im gegenseitigen Einvernehmen» entfernt worden.

Wenzinger betont, dass es sich bei dem Büro um einen Raum handle, in dem kein Publikumsverkehr stattfinde – also etwa keine Befragungen von Beschuldigten. Ausserdem hätten Passantinnen und Passanten die Fahne von der Strasse aus nicht sehen können, da sie nicht am Fenster, sondern an einer Bürowand hinter einem Schreibtisch angebracht gewesen sei. Von anderen solchen Fahnen in Büros der Staatsanwaltschaft habe man keine Kenntnis.

Eine «unterschiedliche Interpretationsweise» hält Gian Lusti, Co-Präsident der Juso Kanton Zürich, für eine «extrem verharmlosende Formulierung», speziell von einem Organ, das auch dazu verpflichtet sei, Straftaten von Polizistinnen und Polizisten zu verfolgen. Denn das «faschistoide Narrativ» hinter der Flagge werde regelmässig zur Legitimierung von Polizeigewalt herbeigezogen.