Vom rechten Saulus zum linken Paulus

Basler Zeitung vom 24.12.2008

Alexander Nyffenegger arbeitete früher für die Schweizer Demokraten, heute für SP-Nationalrat Andreas Gross

Ruedi Studer

Einst rekrutierte der Berner Alexander Nyffenegger für die Schweizer Demokraten in der rechtsextremen Szene neue Mitglieder. Selber versank er dabei immer tiefer im «braunen Sumpf», bevor er den Ausstieg schaffte. Seine Geschichte hat er nun in einem Buch aufgearbeitet.

Von «meinem kleinen Drama» spricht Alexander Nyffenegger immer wieder, wenn er auf seine politische «Aktivzeit» zurückblickt. Ein Drama, welches ihn immer tiefer in die rechtsextreme Szene abdriften liess. Dabei traut man Nyffenegger die «braune Vergangenheit» gar nicht zu, wie er da in einem Berner Café vor einem sitzt: ein ruhiger Typ, fast schon etwas schüchtern. Überlegt beantwortet der 37-Jährige alle Fragen.

Manchmal schüttelt er verwundert den Kopf, wenn er über seine früheren Aktivitäten berichtet – als Parteisekretär der Schweizer Demokraten (SD) und als rechter, ja gar rechtsextremer Propagandist. Blickt Nyffenegger zurück auf die Jahre 1998 bis 2001, in denen er immer tiefer «im braunen Sumpf versank», wie er sagt, scheint es manchmal, als erzähle er gar nicht von sich selbst, sondern von einer ihm fremden Person.

sd-parteisekretär. In seinem neuen Buch «Die Falle Opportunismus – zwischen Politik und Panik» hat Nyffenegger seine Vergangenheit minuziös aufgearbeitet. Seinen Anfang nahm das nyffeneggersche Drama im Bundeshaus in Bern. Dort hatte er nach der Diplommittelschule im Hausdienst angeheuert, wo schon sein Vater arbeitete. Sieben Jahre lang hatte er für saubere Gänge, polierte Klinken und glänzende Leuchter gesorgt. Und irgendwann stellte er sich die Frage, was aus seinem Leben werden sollte. Bis 65 im Hausdienst versauern mochte er sich nicht vorstellen.

Weil er sich für Politik, einen neuen Job und vor allem für die damalige Parteisekretärin der Schweizer Demokraten interessierte, suchte er 1998 den Kontakt zum damaligen Berner SD-Nationalrat Bernhard Hess. Nyffenegger engagierte sich zuerst als Freiwilliger für die Schweizer Demokraten, half bei Parteiversänden, schrieb «regelmäs-sig sowohl hetzerische als auch sachliche Artikel» im Parteiorgan und Leserbriefe, machte später im städtischen und kantonalen Vorstand mit, war Protokollführer auf nationaler Ebene und trat schliesslich Anfang 2000 eine Teilzeitstelle als Parteisekretär an.

«Obwohl ich mit der SD-Politik und ihrem Gedankengut nichts am Hut hatte, machte ich aus opportunistischen Gründen mit. Genauso gut hätte es mich in die linksextreme Szene verschlagen können», schüttelt Nyffenegger heute den Kopf. Dass er bei den Rechten und schliesslich bei den Faschos gelandet sei, sei Zufall. Doch er fand dort Anerkennung und Aufmerksamkeit. Und je länger er für die SD arbeitete, je mehr er sich mit deren Weltanschauung befasste und dieser näherrückte, umso tiefer driftete er in die rechte Szene ab. «Ich habe mich da immer mehr hineingesteigert», analysiert Nyffenegger.

Avalon-Stammtisch. Irgendwann lud ihn Bernhard «Benno» Hess an eine Stammtischrunde in einem Gasthof im bernischen Worblaufen ein, bei welcher Exponenten der rechten und rechtsextremen Szene zusammensassen und über Gott und die Welt philosophierten, über «Überfremdung» und «multikulturelle Ausartung» diskutierten.

Eine illustre Runde versammelte sich da jeweils am Mittwochabend am «Stammtisch unter dem Hakenkreuz». Und Nyffenegger nennt Namen: Roger Wüthrich beispielsweise, den Gründer der völkisch-heidnischen Avalon-Gemeinschaft – eine rechtsextreme Organisation, die sich als Teil der «Nationalen Bewegung» sieht und für ein «Europa der Vaterländer» plädiert. Weiter den dieses Jahr verstorbenen Holocaust-Leugner und «fanatischen Antijudaisten» Ahmed Huber. Oder Adrian Segessenmann, den Gründer der Nationalen Offensive und heutigen Avalon-Anführer. «Schon am ersten Abend lernte ich sämtliche Personen kennen, die innerhalb der rechtsextremen Szene in Bern und darüber hinaus eine tragende Rolle spielten», so Nyffenegger – damit waren erste Kontakte zu dieser Szene geknüpft.

Auch Bernhard Hess gehörte zu den Stammtisch-Teilnehmern (was dieser gegenüber der BaZ bestätigt), doch nach seiner Wahl in den Nationalrat 1999 verabschiedete er sich laut Nyffenegger während des Jahres 2000 «geradezu sang- und klanglos» vom Avalon-Stammtisch. Auch über weitere völkische Treffen – beispielsweise Sonnwendfeiern – berichtet Nyffenegger, wobei Hess am einen oder anderen ebenfalls auftauchte.

Sowieso ist der heutige SD-Zentralsekretär Hess einer der Protagonisten im Buch. Und er kommt nicht gerade gut weg: Nyffenegger wirft ihm etwa vor, ihn zu seiner Zeit als Parteisekretär für ein Entgelt von 30 000 Franken zu einer Scheinehe mit einer ukrainischen Animierdame überredet und auch Parteispenden unterschlagen zu haben – was Hess bestreitet. Nyffenegger sei ein «Psychopath», sagt der Politiker.

neonazis und skinheads. Ebenso bestreitet der SD-Mann, dass er die von Nyffenegger betriebene Öffnung der Partei Richtung rechtsextreme Szene gutgeheissen habe. In diesem Umfeld rekrutierte Nyffenegger nämlich erfolgreich neue Mitglieder. Dies, um die sich im Niedergang befindliche Partei neu zu beleben und damit seinen Arbeitsplatz zu sichern, wie Nyffenegger erklärt. «Ich habe – wieder ganz der Opportunist – dort gesucht, wo am meisten zu holen war: bei den Faschos, Skinheads, Neonazis.»

Gegen hundert Mitglieder habe er für die Jungen Schweizer Demokraten angeworben, welche er als Sammelbecken für die Bewegung sah. Seine neue Kundschaft fand Nyffenegger in der Skinhead- und Neonazi-Szene an Konzerten, Festen oder Geburtstagspartys – wo er in persönlichen Gesprächen oder mit Flyern auf die Partei aufmerksam machte. «Auf die Flugblattaktion gab es dann tatsächlich viele positive Resonanzen, unter anderem erklärten sich bereits an diesem Abend ein paar Leute bereit, die Jungen Schweizer Demokraten in ihrer politischen Arbeit zu unterstützen», kommentiert Nyffenegger im Buch einen solchen Anlass, und zieht über seine im Sommer und Herbst 2000 forcierte Werbearbeit Bilanz: «Die Zusagen und neuen Parteieintritte sollten sich in den kommenden Wochen und Monaten noch erheblich vermehren.» Allerdings stoppte der damalige SD-Präsident Rudolf Keller Anfang 2001 die Rekrutierung von Neonazis, worauf Nyffenegger verärgert und enttäuscht die Partei verliess und sich für kurze Zeit der rechtsextremen Partei national orientierter Schweizer (Pnos) anschloss.

In dieser Zeit begann auch Nyffeneggers Abkehr von der Szene. Mitverantwortlich dafür war wieder eine Frau: Eine enge Freundin von Nyffenegger, die in der Szene verkehrte, hatte genug und plante den Ausstieg. Das öffnete auch ihm die Augen. «Der exakte Auslöser war schliesslich die Begegnung mit einem Avalon-Angehörigen, der ernsthaft glaubte, er sei die Reinkarnation eines in Nürnberg gehängten Nazi-Kriegsverbrechers.» Da habe er sich schon fragen müssen: «Was mach ich da bloss?», so Nyffenegger.

AUSSTIEG. Diese Frage bezog sich nicht nur auf sein politisches Engagement, sondern ebenso auf sich selbst – denn mittlerweile hatte er zu koksen begonnen, und immer häufiger machte ihm eine psychische Erkrankung zu schaffen: Angst- und Panikattacken plagten ihn. Nyffenegger sagte sich von der rechtsextremen Szene los, flüchtete ins Berner Oberland und begab sich in psychiatrische Behandlung.

«Ich habe den Ausstieg aus dem braunen Sumpf geschafft», bilanziert Nyffenegger, der heute wegen seiner psychischen Probleme eine halbe IV-Rente bezieht. Schon 2003 wollte er seine Erfahrungen in einem Buch publizieren, verzichtete aber auf Anraten des Baslers Samuel Althof von der «Aktion Kinder des Holocaust» auf die Veröffentlichung. Stattdessen nahm Nyffenegger an einer Studie der Uni Basel teil, welche die Motivation von Aussteigern aus der rechtsextremen Szene untersuchte.

abschluss. Doch seine Vergangenheit beschäftigte Nyffenegger weiterhin. Unter dem Pseudonym «Hans Vonhuttwyl» wollte er Anfang Jahr sein Buch zuerst unter dem Titel «Zahltag – Meine Jahre bei den Schweizer Demokraten» auf den Markt bringen. Doch seiner Familie zuliebe machte er einen Rückzieher. Nur ein einziges Exemplar sei rausgegangen, so Nyffenegger – dieses liegt heute in der Landesbibliothek.

Ein paar Monate liess der Berner die Sache ruhen, aber nun hat er das Buch – unter neuem Titel, in überarbeiteter Form und mit zusätzlichen Kapiteln über seine Zeit vor der SD-Ära – doch publiziert. Herausgebracht hat er es auf eigene Kosten bei Books on Demand. «Ich will mit der Geschichte endlich abschliessen. Und das kann ich nur in dieser Form», erklärt er.

Bei den Sozialdemokraten. Nicht abgeschlossen hat Nyffenegger hingegen mit der Politik. Er, der 1995 kurz der SP angehörte, ist in seine «politische Heimat», wie er sagt, zurückgekehrt: Seit drei Monaten ist er eingeschriebenes Mitglied der SP Interlaken. «Er hat mich von Anfang an offen über seine Vergangenheit informiert», sagt Ortsparteipräsidentin Sabina Stör Büschlen gegenüber der BaZ. Man behandle ihn wie jedes andere Parteimitglied und mache keine «Gewissensprüfung». An der kommenden Hauptversammlung soll Nyffenegger offiziell aufgenommen werden.

Ein anderer Genosse hat ebenfalls volles Vertrauen in die nyffeneggersche Wandlung vom rechten Saulus zum linken Paulus: der Zürcher SP-Nationalrat Andreas Gross. Seit gut einem Jahr beschäftigt er Nyffenegger als Büromitarbeiter in seinem Institut für Direkte Demokratie in St-Ursanne. Je nach anfallenden Arbeiten zwei, drei Tage pro Monat. Auch er kennt Nyffeneggers Geschichte. Trotzdem hat er ihn angestellt: «Er hat einen Fehler begangen und das auch gemerkt. Man muss jedem Menschen eine Chance geben, sich von seiner Vergangenheit zu lösen, und darf ihn nicht lebenslang verurteilen», sagt Gross zur BaZ.

Bereut hat er den Schritt bisher nicht: «Ich habe bisher nur gute Erfahrungen mit ihm gemacht.» So gute, dass Nyffenegger allenfalls noch stärker in die Institutsarbeit eingebunden werden könnte. Gross findet es zudem gut, dass Nyffenegger seine Geschichte in einem Buch verarbeitet hat: «Schreiben ist die beste Form des Reflektierens.»

schriftstellerei. Und Nyffenegger will weiter schreiben. Schon 2005 hat er in «Der Scheingatte» seine Scheinehe in Romanform thematisiert. «Belletristische Stoffe sind meine Leidenschaft», sagt Nyffenegger, der bereits weitere Bücher plant: Im kommenden Frühling will er bei Books on Demand eine Romanbiografie über den Trachselwaldner Landvogt Samuel Trioblet herausbringen. Und im Herbst 2009 soll in der Edition Hartmann sein Roman «Kameraden und Verbrecher» zum Thema Frontismus erscheinen.

Alexander Nyffenegger

Die Falle Opportunismus – zwischen Politik und Panik

Verlag Books on Demand 2008, 196 Seiten, Fr. 18.90

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