«Use mit däne Chaibe!»

St. Galler Zeitung

Wie fremdenfeindlich ist die Stimmung im Obertoggenburg? ? Eine Suche und einige Fundstücke

Es gibt erwartungsgemäss keine klare Antwort auf die Frage: Wie fremdenfeindlich ist das Obertoggenburg? Dafür gibt es eindeutige Geschichten. Von Oberstufenschülern, einem nachdenklichen Lehrer und Zürcherfeindlichkeit.

Andreas fagetti

Sucht man in der Chronologie der rassistischen Vorfälle in der Schweiz, findet man zumindest in jüngerer Zeit keinen aus dem Toggenburg. Aber das will nichts heissen. Erst nach dem Fall der Arztfamilie Michel betrachtet man die Region unter diesem Aspekt. Als die rassistischen Attacken auf die Michels öffentlich wurden, rätselte man. «Fremdenfeindlichkeit und Rassismus bei uns? Nicht mehr als anderswo», lautete der Tenor. Man hätte glauben können, im Toggenburg gebe es gar keinen Nährboden für Fremdenfeinde und Rassisten. Im Zuge der anhaltenden Berichterstattung dringen nun konkrete Vorfälle ans Tageslicht. Janet Michel, die Frau des Landarztes, sagte am Dienstagabend im «Zischtigsclub» unter anderem, dass ihr beim Joggen zwei Buben nachgerufen hätten: «Ausländer raus!»

«Schwarze sind kriminell»

Eine drastische Geschichte hat der Religionslehrer Karl Furrer zu erzählen. Etwa vor Jahresfrist stellte er einer ersten Realklasse aus Alt St. Johann das gesungene Gebet vor ? Spirituals und Gospels. Furrer zeigte Bilder von Afrikanern, die als Sklaven nach Amerika verschleppt worden waren. Während er über den Sklavenhandel referiert habe, sei ein Schüler dazwischengefahren: «Ufhöre mit dem Seich. Neger händ bi ös nüt zsueche! Use mit däne Chaibe!» Weitere Schüler stimmten ihm zu. Sie klatschten und skandierten: «SVP! Schwarze raus! SVP! Schwarze raus!» Schliesslich habe fast die ganze Klasse mitgemacht. Einer habe gesagt: «Die SVP sorgt dafür, dass die Asylanten hinausbefördert werden.» Furrer machte klar: Für einen Christen sei eine solche Haltung inakzeptabel. Die Schüler hätten ihn bloss ausgelacht. Dennoch gab Furrer nicht auf. Er habe gedacht, wenn er die jungen Leute mit einem dunkelhäutigen Menschen konfrontiere, würden sie zur Besinnung kommen. Also lud er einen afrikanischen Priester in den Unterricht ein. Doch auch das machte keinen Eindruck. Einer habe gesagt: «Alle Neger sind kriminell.» Ein anderer: «Herr Furrer, gehen Sie doch dorthin zurück, wo sie herkommen, Sie sind ein typischer Zürcher.»

Brunner: «Es war ein Fehler»

Furrer schrieb nach diesen Vorfällen Anfang Januar einen Brief an Nationalrat Toni Brunner und lud ihn ein, vor der Klasse die Haltung der SVP deutlich zu machen. «Eigentlich müsste es auch Ihnen als Vertreter der SVP ein Anliegen sein, der verqueren Ansicht, Ihre Partei sei fremdenfeindlich, entgegenzutreten. Ich finde, dass Sie die geeignete Person sind, um mit den SchülerInnen der 1. Real darüber zu sprechen.» Der SVP-Nationalrat reagierte nicht. Furrer schrieb ihm am 12. Februar nochmals, in der Annahme, der Brief sei vielleicht «untergegangen». Auch der zweite Brief blieb unbeantwortet. Fast ein Jahr danach und unter dem Eindruck der Ereignisse sagt Brunner: «Es war ein Fehler. Ich habe die Sache falsch eingeschätzt und war zu unsensibel.» Aber er wirbt auch um Verständnis: Er erhalte so viele Einladungen, dass die Auswahl nicht leicht falle. Die Vorkommnisse in der Realklasse bezeichnet der Politiker als «unschön». Er sagt: «Wer so spricht, gehört abgestellt.» Und: Er würde vor der Klasse sprechen, falls es immer noch gewünscht sei.

Nicht wenige zweifeln allerdings die Glaubwürdigkeit der jüngsten SVP-Bekenntnisse an. Der Toggenburger SP-Mann und Musiker Peter Roth, der ebenfalls eine Solidaritätskundgebung organisierte, wird in den «Toggenburger Nachrichten» so wiedergegeben: «Nicht unschuldig an solchen Vorkommnissen sei jene Partei, die bei den letzten Nationalratswahlen mit ihren Parolen und Plakaten den Rassismus geradezu geschürt hätte.» Wie Brunner weiss, forderten jetzt auch St. Galler Nationalräte in den Wandelhallen des Bundeshauses Journalisten auf, den Ursachen der Fremdenfeindlichkeit im Toggenburg nachzugehen. «Aus diesen traurigen Vorfällen politisches Kapital zu schlagen und die Schuld der SVP zuzuschieben, finde ich unappetitlich.»

Nicht mehr nach Dachau

Zum Thema Fremdenfeindlichkeit sagt der katholische Pfarrer von Wildhaus bloss: «Wäre ich nicht Pfarrer, ich hätte es vermutlich schwer, hier in die dörflichen Gemeinschaften aufgenommen zu werden.» Josef Karber ist Deutscher. Aber man müsse nicht Ausländer sein. Man bleibe hier auch draussen vor der Tür, wenn man aus einer anderen Landesgegend komme. Das habe ihm eine Zugezogene bestätigt, die seit Jahrzehnten hier wohne.

In dieses Bild passen Aussagen über eine latente Zürcherfeindlichkeit bei manchen Obertoggenburgern. Wie die Polizei bestätigt, wurden zwischen 1998 und 2003 in einer Ferienhaussiedlung in Wildhaus fünf Autos zerkratzt oder deren Pneus aufgeschlitzt und zwei Ferienhäuser besprayt. Bis heute unaufgeklärte Fälle. Eine Zürcherin wird im erwähnten Lokalblatt zitiert: «Man muss nicht schwarz sein, um die Ablehnung im Dorf zu spüren.»

Was Josef Karber ausserdem erschüttert hat, war ein Vorkommnis im Religionsunterricht. Dort behandelt er jeweils das Thema «Was Menschen einander antun können». Bestandteil ist eine Reise ins ehemalige KZ Dachau. Zwei Jahre ging es gut, letztes Jahr boykottierten einige Schüler und Eltern die Reise. Ihre Begründung: «Das hat nichts mit der Schweizer Geschichte zu tun.» Ein Schüler habe kommentiert: «Solche Anlagen würden auch bei uns viele Probleme lösen.» Die Reise fiel ins Wasser.