«Er soll bloss zeigen, wie es gewesen ist»

Solothurn Zeitung

Grenchen German Vogt veröffentlicht seine Arbeit zum Nationalsozialismus im Kanton Solothurn

Der 77-jährige German Vogt veröffentlicht im Jahrbuch 2005 für Solothurnische Geschichte einen umfassenden Beitrag zum Nationalsozialismus im Kanton. Eine immense Arbeit findet ihr Ende.

Urs Byland

Der ehemalige Grenchner Bezirkslehrer German Vogt steht im 77. Lebensjahr. In den letzten sieben Jahren beschäftigte er sich intensiv mit dem Thema «Nationalsozialismus im Kanton Solothurn». Beim Quellenstudium während unzähligen Archivbesuchen, beim Lesen von Büchern und Zeitungen sowie im Gespräch mit den wenigen verbliebenen Zeitzeugen suchte er Fakten und Zahlen, Sachlichkeit und historische Wahrheit. Entstanden ist ein umfassender Bericht. Aufwand: Rund 4500 Stunden, wie er selber ausgerechnet hat. Der Lohn für die Arbeit: Fünf Exemplare des Jahrbuches 2005 für Solothurnische Geschichte, herausgegeben vom Historischen Verein Kanton Solothurn.

Erste Beiträge zum Thema

Am Ursprung seiner Recherchen stand Teddy Buser. Dieser vernahm 1993 von einem Bekannten, dass dessen Mutter, die ehemalige Wirtin im Restaurant Löwen, 1940 von nazifreundlichen Personen mit dem Tode bedroht worden war. Buser stellte der Redaktionskommission des Grenchner Jahrbuches (GJB) den Antrag, dass German Vogt, der wegen seiner Beiträge in den GJB 1985, 1986 und 1992 zur Grenchner Uhrenindustrie bekannt war, einen Aufsatz schreibe über den Nationalsozialismus in Grenchen. Als Neu-Pensionierter habe er nun Zeit dafür. In der Folge erschienen in den GJB die Artikel «Faschismus in Grenchen und Solothurn» (1995), «Nationalsozialismus in Grenchen und Solothurn» (1996), «Die Ortswehr und die Anbauschlacht» (1997) und über die Zeitzünderfabrikation in Grenchen unter dem Titel «Zwischen Anpassung und Widerstand, die Tragikomödie über eine gemeindeeigene Fliegerabwehr» (1998).

Erlebnisse der Kriegszeit

«Als 10-Jähriger begann ich Zeitung zu lesen.» Das war 1939. Die Berichte zum Kriegsgeschehen hat German Vogt regelrecht aufgesogen und dabei die Geografie Europas anhand der alliierten und deutschen Heereszüge kennen gelernt. Am Morgen des 1. Septembers 1939 verkündete sein Lehrer in der Schule den Kriegsausbruch. «Ich sprang in der Pause auf den Schulhof und freute mich, dass nun Hitler auf den bekommt.» In den Ohren das ewige «Sieg Heil» der Nazis anlässlich von Hitlers fanatischen Reden im Radio von 1936 bis 1939 und in der Brust die Furcht, dass die Deutschen kommen könnten.

Erlebnisse, die, neben dem historischen Interesse, mitverantwortlich waren, dass Vogt von 1998 an sich hauptsächlich einem Thema zuwandte: den Nationalsozialismus im Kanton Solothurn zu beschreiben und zwar im Sinne des deutschen Historikers Leopold von Rauke (1795-1886): «Der Historiker hat nicht die Vergangenheit zu richten oder die Gegenwart, er soll bloss zeigen, wie es gewesen ist.» Vogts Leitlinie.

Akten wurden vernichtet

Die Zeit drängte. Die 1939 eingesetzte Kantonale Politische Polizei musste nach dem Krieg alle Akten vernichten. Einzig die geschichtlichen Unterlagen, die sie im Auftrag der Bundesanwaltschaft erstellte, blieben erhalten. «Das ist sehr wenig.» Auch Firmenakten waren kaum vorhanden und selten zugänglich.

Vogt konzentrierte sich darauf, Zeitungen und Bücher jener Epoche zu lesen. Er besuchte unzählige Male das Bundesarchiv, die Landesbibliothek, das solothurnische und aargauische Staatsarchiv sowie das Archiv für Zeitgeschichte der ETH in Zürich. Und er befragte die wenigen noch lebenden Zeugen jener Zeit. Wichtig waren ferner Aussagen in Leserbriefen, die im Zusammenhang mit den Publikationen der Bergier-Kommission in den Zeitungen oder als Buchsammlung erschienen. «Ich nutzte diese Erinnerungen und Beschreibungen, um unter anderem die politische und wirtschaftliche Lage der Schweiz damals in Europa zwischen den Fronten Deutschlands und der Alliierten zu erklären.»

Hilfe beim Publizieren

Furcht flösste ihm lange der so genannte Historische Apparat ein, der Nachweis der Quellen. «Ich hatte bis anhin noch nie ein solches Werk verfasst.» Als er am Schluss seine Arbeit den Historikern alt Regierungsrat Thomas Wallner und Urban Fink zeigte, waren beide der Ansicht, es wäre schade, wenn die Arbeit nicht publiziert würde. Das Thema Nationalsozialismus sei bis anhin im Kanton nicht behandelt worden. «Die Mängel des Historischen Apparates werde Urban Fink schon beheben können, sagten sie. Er schaffte es, unterschätzte aber den Zeitaufwand und kam tüchtig ins Schwitzen.»

Das Thema Nationalsozialismus im Kanton Solothurn ist für Vogt abgeschlossen. Seine Kräfte sind altershalber limitiert – «ich kann nur noch zwei bis drei Stunden täglich am Computer sitzen». Dennoch will er sich nun wieder seinem ersten Thema, der Geschichte der Grenchner Uhrenindustrie, zuwenden.

German Vogt Nach sieben Jahren Arbeit die Geschichte des Nationalsozialismus im Kanton Solothurn abgeschlossen. Oliver Menge

Wie «braun» war Solothurn?

Das Jahrbuch 2005 für Solothurnische Geschichte ist in diesen Tagen erschienen. Vogts Werk bildet mit 240 Seiten den Hauptartikel. Dem Vorwort folgen 23 Kapitel, in denen er unter verschiedenen Gesichtspunkten den Nationalsozialismus im Kanton Solothurn beschreibt. Das Werk ist trotz der Materie ein spannendes Lesevergnügen. So geht Vogt beispielsweise der Frage «Wie war Solothurn?» nach, beschreibt «Gerüchte über Konzentrationslager» oder nennt «Solothurner Kantons-Einwohner in Nazi-Diensten». Das Jahrbuch kann in der Zentralbibliothek Solothurn für 58 Franken erworben werden.