Uri will Folklore statt politischer Rütlifeier

NeueZürcherZeitung

Zu teuer, zu grosser Aufwand für Polizei

Die Urner Regierung will nur noch eine Rütlifeier mit geringerem finanziellem Aufwand bewilligen. Sie empfiehlt deshalb, auf politische Inhalte zu verzichten, um Rechtsextreme fernzuhalten. Notfalls will sie die Geburtstagsfeier auf der nationalen Wiese ganz verbieten.

mjm. Altdorf, 4. Dezember

Der Kanton Uri ist nicht mehr bereit, den gleichen finanziellen Aufwand für eine Rütlifeier zu tragen wie in diesem Jahr. Für den Einsatz von Polizisten aus andern Kantonen musste der Standortkanton 210 000 Franken bezahlen, Schwyz belastete seine Staatskasse mit 930 000 Franken für die Sicherheit im vorgelagerten Brunnen. Das polizeiliche Grundkonzept müsse so gelegt werden, dass die Kosten tiefer sind, schreibt der Urner Regierungsrat in einer am Montag veröffentlichten Antwort auf eine Anfrage aus dem Parlament.

Auf Verlangen der Urner Regierung muss die Organisatorin, die Rütlikommission der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG), ein Bewilligungsgesuch für die Rütlifeier 2007 einreichen. Aufgrund des Gesuchs will der Regierungsrat die Bedrohungslage abschätzen und Auflagen erlassen können. Die SGG hat das Gesuch bereits eingereicht. Die Urner Regierung will bis im Januar eine Antwort formulieren. Bisher ist auf eine solche formelle Bewilligung verzichtet worden, auch aus staatspolitischen Gründen, da es um das Grundrecht der Meinungsfreiheit gehe.

Nur noch harmloses Volksfest?

Im Weiteren empfiehlt der Urner Regierungsrat der Rütlikommission, auf provokative Elemente im Programm zu verzichten. Dazu gehören laut der Urner Regierung auch traditionelle Festreden. Die Rütlifeier sei «verpolitisiert» und das ziehe die Rechtsextremen an, sagt dazu Josef Dittli, Uris Sicherheitsdirektor. Ihm schwebt stattdessen ein harmloses Volksfest vor oder ein «Tag der Begegnung», wo etwa von 10 bis 16 Uhr jede halbe Stunde Fahnenschwinger, Trachtengruppen, Jodler und Schulklassen Darbietungen bringen und an Marktständen einheimische Produkte als besondere Attraktion anbieten. Zwei, drei Jahre sollen laut Dittli keine politischen Inhalte im Zentrum stehen, damit keine extremen Gruppen angezogen werden.

Judith Stamm wehrt sich

Einem solchen zahnlosen «Bratwurst-Fest» kann Judith Stamm nicht viel abgewinnen. Die Präsidentin der Rütlikommission will eine würdige Rütlifeier im traditionellen Rahmen. Dazu gehörten ein Festredner, das Verlesen des Bundesbriefes und musikalische Elemente. Die ehemalige Luzerner Nationalrätin stellt klar, dass nicht «wir die Störer und Provokateure sind, sondern die Rechtsextremen». Es müsse weiterhin erlaubt sein, «eine Feier ohne Störung und mit politischer Rede abhalten zu können». Alles andere käme einer politischen Kapitulation der offiziellen Schweiz gleich. Stamm räumt ein, dass die Kosten «verrückt hoch» seien, aber sie erwarte, dass die Urner Regierung für die Sicherheit garantiere.

«Die SGG ist nach wie vor das richtige Gremium für die Organisation», sagt Dittli, «aber der Aufwand ist für uns zu gross. Zudem hat es negative Begleiterscheinungen wie Einkommensausfälle beim Tourismus in Seelisberg und Brunnen gegeben, ausserdem auch heikle Datenschutzfragen und Beschwerden, die uns belastet haben.» Wenn keine andere, sprich: günstigere Form der Rütlifeier gefunden werde und der Anlass nur mit grosser Polizeipräsenz durchgeführt werden könne, kann sich die Urner Regierung sogar vorstellen, auf die Feier ganz zu verzichten. Letzter Rettungsanker für die Urner und die Schwyzer Regierung ist der Bund. In der kommenden Woche empfängt der Bundesrat eine Delegation der beiden Kantone. Die Kantone Uri und Schwyz haben den Bund bereits vor Monaten ersucht, sich an den Kosten zu beteiligen, da es sich um eine nationale Rütlifeier handle, wie die Regierung in ihrer Antwort schreibt.

Zahlen statt schweigen

Aus Uri, einem Hort der Freiheit in der alten Eidgenossenschaft, sind ungewohnte Töne von Kleinmut zu vernehmen. Die Regierung will eine Bundesfeier auf dem Rütli nur noch unter Auflagen bewilligen. So empfiehlt die Urner Regierung der Rütlikommission unter anderem, auf «provozierende Programmpunkte» wie eine politische Festrede zu verzichten. Sie begründet dies mit den hohen Sicherheitskosten, welche dieser Anlass am Nationalfeiertag dem Standortkanton Uri in den letzten Jahren verursacht habe. Reden auf der symbolträchtigen Rütliwiese waren mehrmals von rechtsradikalen Glatzköpfen gestört worden, und andernorts drohten Schlägereien zwischen den vom Rütli ferngehaltenen Rechts- und Linksaktivisten. Um Ruhe und Ordnung zu gewährleisten, musste der Kanton Uri in diesem Jahr allein für 200 000 Franken präventiv Polizisten aus anderen Kantonen beiziehen.

Die Freiheit der Versammlung und der Rede hat gerade für einen kleinen Kanton ihren hohen Preis. Dennoch wäre Schweigen nicht Gold, sondern eine Bankrotterklärung. Es muss weiterhin möglich sein, dass sich am Nationalfeiertag gerade auf der Rütliwiese eine Persönlichkeit in Freiheit Gedanken zu Land und Leuten machen kann. Eine Provokation wäre der Verzicht auf eine politische Rede, sei es, weil man Angst vor Krakeelern hat, sei es, weil die Urner ihre sauer verdienten Steuergelder reuen. Den Franzosen käme es auf jeden Fall gewiss nie in den Sinn, auf ihre traditionelle Militärparade am Quatorze Juillet zu verzichten, selbst wenn sich Chaoten dadurch provoziert fühlten.

Ob es am Ende Sache der Urner allein ist, für die Sicherheitskosten dieser nationalen Rütlifeier aufzukommen, mag man nun freundeidgenössisch klären. Schliesslich lässt sich die Schweiz, zusammen mit dem Kanton Graubünden und der Landschaft Davos, die Gewährleistung der Sicherheit am World Economic Forum jährlich zu Recht auch mehrere Millionen Franken kosten. Und die gastgebenden Schweizer Städte der Euro 08 erhalten vom Bund 10 Millionen Franken, um die Sicherheit vor und in den Fussballstadien zu gewährleisten. Da müssten, Heil dir, Helvetia, 200 000 Franken für die Redefreiheit am Nationalfeiertag eigentlich auch noch beizubringen sein.