«Unnötige und unpolitische Scharmützel»

Der Bund

Im Anschluss an den «5. Antifaschistischen Abendspaziergang» kam es am Samstag in Bern zu Ausschreitungen

Die Organisatoren riefen wiederholt zur Ruhe auf ? doch am Ende entlud sich die von Beginn weg aufgeladene Stimmung in Ausschreitungen auf der Schützenmatte. Die Polizei schätzt die Sachschäden auf über 100 000 Franken.

Stefan Bühler

Das organisierende «Bündnis Alle gegen Rechts» hatte im Vorfeld des «5. Antifaschistischen Abendspaziergangs» partout nicht mit der Stadtpolizei Bern Kontakt aufnehmen wollen. Die Kundgebung war demnach unbewilligt. Die Polizei ihrerseits hatte vor diesem Hintergrund schon vor Tagen von einem «heiklen Einsatz» gesprochen ? sie war am Samstagabend mit einem Grossaufgebot, verstärkt mit Einheiten der Kantonspolizei, präsent. Ja, schon am Nachmittag an der Antikriegsdemonstration markierte sie mit Polizeikordons entlang der Umzugsroute bewusst Stärke (siehe Kasten unten).

Als gegen 20.30 Uhr dann die Kundgebungsteilnehmenden, begleitet von lauter Musik und zahlreichen Knallpetarden, das Bollwerk hinauf Richtung Heiliggeistkirche zogen und sich vor den Augen der Polizeigrenadiere, die unter den Lauben bereitstanden, zum Zug formierten, war die Situation entsprechend geladen. Es herrsche eine «sehr aggressive Stimmung», sagte Polizeisprecher Franz Märki zu Beginn der Kundgebung. Dazu trugen die zahlreichen Vermummten bei, die ? ausgerüstet mit Schutzbrillen, verborgen hinter breiten Transparenten und Raketen abfeuernd ? keinen friedlichen Eindruck erweckten.

Signale des Entgegenkommens

Und doch waren da von beiden Seiten Signale des Entgegenkommens zu vernehmen: «Wir wollen den Umzug laufen lassen», verkündete die Polizei über Lautsprecher. Unter einer Bedingung allerdings: «Wenn es zu Sachbeschädigungen kommt, schreiten wir ein.» Die Anwort vom Demo-Wagen kam wenig später: «Wir lassen uns durch das Polizeiaufgebot weder einschüchtern noch provozieren.» Es sei Absicht der Kundgebung, Inhalte zu transportieren: «Wir wollen heute Abend ein Zeichen gegen Rechtsextremismus und für eine solidarische Gesellschaft setzen.»Alsdann setzte sich der Umzug in Bewegung. Die Polizei wandte dabei eine Taktik an, die sie anlässlich der AHV-Kundgebung letzten Herbst erstmals gegen den Schwarzen Block erprobt hatte: Die Grenadiere bildeten links und rechts des Zugs ein Spalier und marschierten sodann Schulter an Schulter mit den Demonstrierenden die Spitalgasse hinab. Ein Teil der grossteils sehr jungen Kundgebungsteilnehmenden wandte sich mit Lärminstrumenten, Faxen und Beleidigungen an die Ordnungshüter ? zu physischen Auseinandersetzungen kam es vorerst nicht. Beim Nadelöhr Käfigturm konnten die Polizeispaliere indes nicht passieren: Die 3000 (so die Polizei) bis über 4000 (so die Organisatoren) Demonstrierenden zogen ohne Polizeibegleitung in die Marktgasse. Dort hinterliessen sie ? bis die Grenadiere neue Spaliere gebildet hatten ? an Mauern, Autos und Schaufenstern zahlreiche Aufkleber mit politischen Parolen.

Polizeikordon stoppt Umzug

Zu Gerangeln zwischen einzelnen Demonstranten und Polizeigrenadieren kam es auf dem Rathausplatz. Der sehr präsente Ordnungsdienst («Demoschutz») des «Bündnisses Alle gegen Rechts» holte die ? zumeist betrunkenen ? Aufwiegler resolut in den Umzug zurück. Mehrmals wurde über Megafon dazu aufgerufen, friedlich zu bleiben ? und in der Rathausgasse riefen die Kundgebungsveranstalter dazu auf, parkierte Autos nicht zu beschädigen: «Damit ärgert ihr nur Leute ? das bringt nichts.» Doch offenbar war es da schon zu spät: Die Polizei hatte «massive Sachbeschädigungen» an «Dutzenden von Autos» festgestellt ? am Sonntag bezifferte sie den Schaden auf «weit über 100 000 Franken». Dies, sowie einzelne Kreidekritzeleien und Sprayereien, bewog die Einsatzleitung dazu, den Umzug in der Zeughausgasse zu stoppen: Der Ausgang der Gasse auf den Waisenhausplatz wurde von einem Polizeikordon abgeriegelt, der Wasserwerfer fuhr auf. Es entwickelte sich ein Nervenkrieg, der sich über fast eine halbe Stunde hinzog. Vereinzelt wurden Bierflaschen auf die Grenadiere geworfen, die Kundgebungsleitung rief wiederholt zur Ruhe auf. Die Stimmung drohte überzukochen. Derweil verscheuchte die Polizei die Schaulustigen auf dem Waisenhausplatz hinter eine Abschrankung und versperrte die Wege zurück in die Innenstadt. Sodann liess sie die Kundgebung weiter in die Speichergasse marschieren.Die höchste Bernerin, Stadtratspräsidentin Margrit Stucki-Mäder (sp), die «privat» zugegen war, sagte noch während der Kundgebung, sie habe die Situation in der Zeughausgasse als «gefährlich» empfunden; für die vorübergehende Blockade der Stadtpolizei zeigte sie ? zumindest zu diesem Zeitpunkt ? wenig Verständnis. Ausser von den unübersehbaren Aufklebern auf Autos und Schaufenstern, «daran habe ich auch keine Freude», habe sie bis dahin nichts mitbekommen von Sachbeschädigungen. Indes sei sie ohnehin «mit gemischten Gefühlen» an den Antifaschistischen Abendspaziergang gekommen ? so habe ihr die gereizte Stimmung schon zu Beginn der Kundgebung Sorgen bereitet. Und, zusammen mit anderen Stadträtinnen und Stadträten, habe sie sich wegen der Feuerwerks- und Knallkörper nur dem Ende des Zuges angeschlossen: «Solches gefällt mir nicht.»

Ausschreitungen nach Abschluss

Als die Spitze des Zuges von der Speichergasse ins Bollwerk einbog, lud der Kundgebungssprecher die Menge zu einem Konzert und einer warmen Mahlzeit in die Reitschule ein. Die Kundgebung sei ein «gutes Signal» gegen Rechtsextremismus gewesen, lautete die Bilanz aus dem Megafon, der «Abendspaziergang» sei hiermit zu Ende. Der grösste Teil der Kundgebungsteilnehmer begab sich friedlich in die Reitschule.Nahezu gleichzeitig stürmte aber eine Gruppe Vermummter auf die Polizeigrenadiere los, die das Bollwerk Richtung Bahnhof abriegelten. Das Gegröle der Angreifer sowie das Arsenal an leeren Bierflaschen, die sie Richtung Polizisten warfen, liessen darauf schliessen, dass viele von ihnen stark alkoholisiert waren. Die Polizei setzte gegen die Angreifer Tränengas und Gummigeschosse ein; sie trieb die Chaoten auf die Schützenmatte. Von da wurden sodann Leuchtraketen gegen die Polizei abgefeuert ? auf Kopfhöhe der Grenadiere. Erneut waberten Tränengasschwaden über den Platz, wiederholt wurden angreifende Randalierer mit Gummigeschossen gestoppt. Die Scharmützel zogen sich bis gegen Mitternacht hin. Ein Reisecar, der auf der Schützenmatte parkiert war, wurde rundum verschmiert, mindestens bei einem parkierten Auto ging die Windschutzscheibe in Brüche.Gestern vermeldete die Polizei, sie habe im Laufe des Abends 30 Personen vorübergehend festgenommen (vgl. Kasten unten). Die Antifa bilanzierte gestern in einer Mitteilung, die Kundgebung sei «ein eindrückliches und kraftvolles Zeichen gegen Rechtsextremismus und Rassismus» gewesen. Die Ausschreitungen verurteilen die Organisierenden in der Mitteilung als «unnötige und unpolitische Scharmützel». Einzelne Demonstrierende hätten sich von der Polizei provozieren lassen: «Das ist nicht in unserem Sinn. Wir wollen politische Inhalte vermitteln und werden dies auch in Zukunft tun.»

30 Festnahmen ? 8 Deutsche

Im Zuge der Scharmützel nach Ende der Demonstration, aber auch schon während des «offiziellen» Umzugs hat die Polizei insgesamt 30 Personen festgenommen. Drei davon sind in Bern wohnhaft, zehn weitere im übrigen Kantonsgebiet, acht kamen aus der übrigen Schweiz ? und nicht weniger als neun der 30 Festgenommenen kamen aus dem Ausland, allein acht aus Deutschland und eine Person aus Frankreich. Stadtpolizei-Infochef Franz Märki sagte am Sonntag auf Anfrage, der hohe Anteil insbesondere an Deutschen sei ein weiteres Indiz für die «zunehmende Militanz» der Antifa-Aufmärsche, und dass 14 der 30 Festgenommenen unter 18 Jahren alt sind, zeige, dass «immer öfter auch Junge» mitmachten. Nach polizeilicher Befragung wurden die 30 Festgenommenen laut Märki auf freien Fuss gesetzt. (rg)

Militärlastwagen im Demo-Einsatz

Erstmals in der Stadt Bern sind am Samstag Militärfahrzeuge im polizeilichen Ordnungseinsatz aufgefallen ? vor allem am Abendspaziergang, aber auch schon nachmittags an der Irak-Demonstration. Dass die Polizei Armeefahrzeuge als Mannschaftstransporter einsetzt, ist von vielen Demonstrierenden als Provokation aufgenommen worden. Stapo-Infochef Franz Märki zeigte gestern auf Anfrage Verständnis dafür, wenn die Verwendung von Militärtransportern «vor diesem Hintergrund schon etwas heikel» empfunden werde. Auf der anderen Seite hätten sowohl Kantons- wie Stadtpolizei Bern zusätzliche Transportkapazitäten benötigt, also habe man den Bund angefragt. Und im Übrigen «wäre es teurer gekommen, zusätzliche Fahrzeuge von privaten Firmen anzumieten», erklärte der Polizeisprecher. (rg)

«Mehr als erwartet» an Friedensdemo

Es war nicht mehr jenes Meer von Regenbogenfahnen wie vor einem Jahr, als vor und nach Kriegsausbruch Zehntausende gegen den Einmarsch der US-Truppen und ihrer Verbündeten in Irak demonstrierten. Dennoch: Immerhin versammelten sich am Samstag 3000 Personen laut Polizeiangaben, 5000 gemäss den Veranstaltern auf dem Berner Waisenhausplatz, um gegen den Irak-Krieg zu protestieren. Darunter waren Friedensaktivisten ? die Regenbogenfahnen waren indes weniger zahlreich als die roten Transparente türkischer und kurdischer Sozialisten und Kommunisten. Ebenfalls mit grösseren Gruppen waren globalisierungskritische Organisationen vertreten.

Dies sei in seinem Sinn, sagte Christian Zeller vom organisierenden «Antikriegsbündnis Schweiz». Kriegs- und Globalisierungsgegner hätten weitgehend deckungsgleiche Anliegen, es müsse nun «eine Vereinigung der Antiglobalisierungsbewegung mit der Antikriegsbewegung» angestrebt werden. Über die Teilnehmerzahl sagte Zeller: «Es sind natürlich weniger Leute da als im Vorjahr ? aber es sind viel mehr, als wir erwartet haben.» Er wertete dies als Zeichen dafür, «dass die Antikriegsbewegung noch am Leben ist».

Polizei begleitete «Militante»

Der Kundgebungsumzug bewegte sich vom Waisenhausplatz über den Kornhausplatz, die Kramgasse hinab über den Rathausplatz, die Rathausgasse hinauf und via Kornhausplatz zurück auf den Waisenhausplatz. Während rund einer Stunde war der öffentliche Verkehr teilweise behindert. Der private Verkehr wurde von der Polizei umgeleitet. Unterwegs begleitete die Polizei eine Gruppe von rund 100 laut Polizeiangaben «militanten Kundgebungsteilnehmenden» mit je einem Spalier von Grenadieren links und rechts. An verschiedenen Orten unterwegs markierte die Polizei starke Präsenz, insbesondere an der Ecke Theaterplatz-Kramgasse beim McDonald?s. Es sei dies auch ein Signal der Stärke hinsichtlich des für den Abend angekündigten unbewilligten «5. antifaschistischen Abendspaziergangs» gewesen, bestätigte Polizeisprecher Franz Märki später. Die Antikriegskundgebung blieb indes friedlich.

Gedenkminute für Madrid

An der Schlusskundgebung wurden der «bedingungslose Abzug» der US-Truppen und ihrer Verbündeten aus Irak sowie das Selbstbestimmungsrecht für Palästina gefordert. Ausserdem hielten die Demonstrationsteilnehmenden eine Schweigeminute für die Opfer der Attentate von Madrid ab. Diese «Massaker» hätten gezeigt, dass mit Kriegen wie in Irak Terroranschläge nicht verhindert werden könnten, sagte Zeller in seiner Rede ? im Gegenteil: Der Krieg spiele dem Terrorismus in die Hände. Die Kundgebung löste sich gegen 16 Uhr auf. (sbü)