Suche nach Michelles Mörder

St. GallerTagblatt

Offiziell noch keine heisse Spur ? Rechtsradikale schlagen politisches Kapital aus dem Verbrechen

Am 21. August ist in Leipzig die 8jährige Schülerin Michelle von einem Spaziergänger in einem Entenweiher tot aufgefunden worden. Seither jagt eine Sonderkommission der Leipziger Kripo ihren Mörder.

Fritz Dinkelmann/Leipzig

Michelle wurde sexuell missbraucht und qualvoll erstickt, wie die gerichtsmedizinische Untersuchung laut «Bild»-Zeitung jetzt ergeben hat. Die schreckliche Tat geschah vor mehr als zehn Tagen, und der Täter konnte noch nicht gefasst werden. Die Polizei der SOKO Michelle arbeitet mittlerweile mit fast 200 Beamten Tag und Nacht an diesem Fall, hat aber aus ermittlungstaktischen Gründen eine Nachrichtensperre verhängt. So bleibt es pure Spekulation, ob es unter den mehr als tausend Hinweisen, die aus der Bevölkerung eingegangen sind, eine heisse Spur gibt.

Keine Zeugen

Die bekannte Faktenlage ist dünn. Es gibt für das Verbrechen keine Zeugen, die gesehen haben, von wem Michelle zu diesem Entenweiher gebracht wurde, um da, nahe der Friedhofsgärtnerei, ein Erdloch auszuheben, so gross, dass eine Kinderleiche darin Platz gefunden hätte. Doch gibt es Hinweise darauf, dass der Täter das Mädchen zuerst tagelang anderswo versteckt hat.

Um 15.30 Uhr verabschiedete sich Michelle an einer Strassenkreuzung von ihrer Freundin, weil sie laut Aussagen dieses Mädchens eine Person namens «L» treffen wollte. Danach, sagt die Polizei, gebe es «keine gesicherte Spur mehr von dem Kind». Neben dem Erdloch hat man Haarbüschel von Michelle gefunden. Über «L» sagt die Polizei nichts, aber wer in Leipzig lebt, möchte in diesen Tagen trotzdem nicht Ludwig, Leo, Lothar oder Leonhard heissen oder einen anderen Namen tragen, der mit «L» beginnt.

Laut «Süddeutscher Zeitung» nimmt die Leipziger Kripo die Biographien von etwa 250 Straftätern unter die Lupe, die wegen Sexualdelikten vorbestraft sind, und ermittelt angeblich auch im «Gutshaus am Weiher», einem Gebäude nahe dem Fundort der Leiche von Michelle. Hier arbeitet ein Sozialverein, der psychisch Kranke und ehemalige Straftäter wieder in die Gesellschaft integrieren will.

Beweisstücke beschlagnahmt

Am Sonntag hat die Leipziger Polizei in der Friedhofsgärtnerei mehrere Gegenstände mitgenommen: einen Stuhl, eine Zweiradkarre, ein hellblaues Kinderfahrrad, alles verpackt, um Fingerabdrücke oder DNA-Spuren nicht zu verwischen. Die «Bild»-Zeitung berichtete am Montag über eine Zeugin, die auf einem Phantombild eines mutmasslichen Pädophilen einen Mann erkannt haben will, den sie am Tag des Verschwindens von Michelle vor deren Schule gesehen habe.

Politische Zwecke

Unterdessen legt die Bevölkerung Blumen, Karten und Kerzen am Fundort der Leiche nieder. Und weil Michelles Vater auch als Taxifahrer arbeitet, haben die Taxifahrer Trauerflore an ihre Antennen gehängt. Doch gibt es auch einen Aufruhr, der obszönen politischen Zwecken dient: Rechtsextreme Gruppen haben am Montag zum zweitenmal schon demonstriert mit altbekannten Parolen: Todesstrafe, gnadenlose Härte gegenüber Tätern. Sie schlagen skrupellos Kapital aus der Stimmung, die auch schreckliche Gedanken bei Leuten schürt, die mit Neonazis nichts zu tun haben wollen.