Statt einer «Wandergruppe Züger» tauchen im Sommer deutsche Neonazis in einem Zürcher Pfadiheim auf. Doch erst jetzt hat der Aufmarsch Folgen

Neue Zürcher Zeitung. Rechtsextreme mieten in Rüti eine Waldhütte – und übertölpeln damit die Zürcher Behörden. Ein halbes Jahr später entscheidet sich, ob gegen Teilnehmer des Anlasses ermittelt wird.

«Sieg Heil!», «Ausländer raus!» und «Juden raus!», so schallt es durch das Wohnquartier in Rüti. Auf Tonaufnahmen ist zu hören, wie der Sänger der Band FieL (Fremde im eigenen Land) auf einer Akustikgitarre ein Lied mit dem Titel «Der Tag, an dem das deutsche Herz Flammen schlägt» zum Besten gibt. Dazwischen sind aus dem nahe gelegenen Pfadiheim Gegröle und rechtsextreme Parolen zu vernehmen.

Es ist Mitte Juni 2022, und in der Gemeinde im Zürcher Oberland geht gerade einer der ersten grösseren Anlässe von Rechtsextremen in der Schweiz nach Aufhebung der Corona-Massnahmen über die Bühne. Anwesend sind an diesem Samstagabend des 18. Juni über fünfzig Neonazis, ein Grossteil von ihnen stammt aus Deutschland.

Erschrockene Anwohner alarmieren die Polizei. Die Einsatzkräfte lösen den Anlass beim Pfadiheim schliesslich auf. Sie nehmen die Personalien der Anwesenden auf, zwei Dutzend Teilnehmer weisen sie weg. Die übrigen Neonazis übernachten vor Ort. Sie sind zu betrunken, um noch nach Hause zu gehen.

Zurück bleiben offene Fragen: Haben die Nazi-Parolen und rassistischen Rufe strafrechtliche Konsequenzen? Und: Wie konnte es passieren, dass sich als Wandergruppe getarnte Neonazis ungehindert in einem Pfadiheim versammeln konnten? Und dies, obwohl es im Vorfeld Hinweise auf das Treffen gegeben hatte?

Rapport bereits im August eingereicht

In ersten Stellungnahmen nach dem Anlass verneint die Polizei noch die Frage, ob das Treffen eine Strafuntersuchung nach sich ziehen werde. Das ändert sich jedoch rasch. Bereits eine Woche nach dem Anlass erklärt ein Sprecher der Kantonspolizei gegenüber dem «Sonntags-Blick», es werde abgeklärt, ob der Tatbestand der Diskriminierung und des Aufrufs zu Hass erfüllt sei.

Mitte August reicht die Polizei ihren Rapport bei der Staatsanwaltschaft See/Oberland ein. Danach verstreichen weitere Monate, in denen die Strafverfolgungsbehörde prüft, ob überhaupt genügend Verdachtsmomente vorhanden sind, um eine Strafuntersuchung zu eröffnen.

Nun, mehr als ein halbes Jahr nach den Geschehnissen, ist klar: Es gibt sie.

Die Staatsanwaltschaft hat Strafverfahren gegen mehrere Personen eröffnet, wie Erich Wenzinger, Sprecher der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft, auf Anfrage sagt. Gegen die Beteiligten wird wegen des Verdachts auf Diskriminierung ermittelt. Zudem werde im laufenden Verfahren auch geprüft, ob Verstösse gegen weitere Straftatbestände vorlägen, sagt Wenzinger. Bis zu einem rechtsgültigen Verfahrensabschluss gilt in allen Fällen die Unschuldsvermutung.

Bands aus militantem Neonazi-Netzwerk zu Gast

Welche Kreise hinter der Neonazi-Party stecken, zeigt sich schon kurz nach dem aufgelösten Anlass. Die Spur führt zum militanten Blood-&-Honour-Netzwerk. Laut Informationen des antifaschistischen Recherchekollektivs Antifa Bern nahmen bekannte deutsche Exponenten aus der Szene an dem Anlass teil. Das zeigt sich auch bei den Bands: Neben FieL aus Mecklenburg-Vorpommern ist in Rüti eine Band zu Gast, die innerhalb der deutschsprachigen rechtsextremen Szene zu den bekanntesten Musikgruppen gehört. Ihr Name: Oidoxie.

Belege für die Anwesenheit der beiden Bands finden sich in den Tonaufnahmen, aber auch in Bildern. Ein Foto zeigt den Gitarristen von Oidoxie vor dem Pfadiheim, dahinter ist auch das Banner der Gruppe sichtbar. Die Dortmunder Band ist seit 1995 aktiv, glorifiziert rechten Terror und weist gute Verbindungen in die Schweiz auf – unter anderem zum mehrfach verurteilten Neonazi Kevin G., der selbst aus dem Zürcher Oberland stammt.

Diese bestehenden Netzwerke ermöglichten es den Rechtsextremen mutmasslich auch, in Rüti einen geeigneten Treffpunkt für ihre Party zu finden.

Doch wie konnte es den Rechtsextremen gelingen, den Anlass vor den Behörden geheim zu halten? Das Fest überrumpelte jedenfalls alle – die Waldhütten-Besitzerin, die Behörden und die Polizei. Und das, obwohl die Behörden in St. Gallen zuvor Wind von einer geplanten Zusammenkunft bekommen und die Veranstaltung verboten hatten.

Eine Erklärung lieferte der Zürcher Regierungsrat. In seiner Antwort auf einen politischen Vorstoss im Kantonsrat hielt er fest, weshalb die Polizei das Treffen im Zürcher Oberland nicht im Vorfeld verhindern konnte.

Demnach war die Kantonspolizei zwar zwei Tage vor dem Aufmarsch darüber informiert worden, dass in der Zentralschweiz ein rechtsextremistischer Anlass stattfinden könnte. Die genaue Örtlichkeit sei jedoch nicht bekannt gewesen, es habe auch keinerlei Hinweise darauf gegeben, dass der Kanton Zürich zum Veranstaltungsort werden könnte, heisst es in der Antwort des Regierungsrats.

Es ist allerdings bekannt, dass die Rechtsextremen für ihre Anlässe meist mehrere Orte organisieren. Dasselbe Vorgehen wandten sie bereits in der Vergangenheit immer wieder an. Meist werden dazu einige Lokale unter einem Vorwand und manchmal auch unter falschem Namen angemietet, um sich mindestens an einem der Orte ungestört treffen zu können. Im Pfadiheim in Rüti meldeten sie sich als «Wandergruppe Züger» an.

Der Vorfall sorgte deshalb auch bei der Pfadi Züri für Bestürzung. Die Organisation prüfte sogar, ob das Anmeldeprozedere geändert werden muss. Davon ist man inzwischen wieder abgerückt, wie die Pfadi-Züri-Sprecherin Jelena Hess auf Anfrage sagt. Dies, weil eine genauere Prüfung der Anmeldung nicht praktikabel sei. «Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die ganze Verantwortung nicht bei den Gruppenheimen liegen darf – es soll vonseiten Sicherheitspolitik her mehr Regulierungen geben.» Der Vorfall habe Heimverwalterinnen und Heimverwalter aber sicherlich sensibilisiert.

St. Galler Behörden verhindern Anlass

Anders als den Zürcher Behörden gelang es der St. Galler Polizei, die Zusammenkunft zu verhindern. Sie hatte nach Hinweisen sämtliche Veranstalter im Kanton kontaktiert und war so auf ein Lokal in Kaltbrunn gestossen. Auch dort hatten die Neonazis mithilfe eines Täuschungsmanövers an das Lokal kommen wollen.

Der Mietvertrag in der St. Galler Gemeinde wurde schliesslich annulliert. Die Polizei sprach gegen den rechtsextremen Organisator ein Veranstaltungsverbot für den ganzen Kanton aus. Daraufhin wichen die Neonazis nach Rüti aus.