Skinheadclub war die Ersatzfamilie

Basler Zeitung

Die meisten Hauptangeklagten im «Pronto-Prozess» geben sich geläutert

Thomas Gubler

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen hat gestern in Liestal die Hauptverhandlung im «Pronto-Shop-Prozess» begonnen. Die meisten Angeklagten wollen mit Rechtsextremismus nichts mehr zu tun haben.

Der Prozess gegen die Angeklagten, die laut Staatsanwaltschaft im Frühling 2004 den Bahnhof Liestal und den dortigen Coop Pronto-Shop gestürmt und wahllos unbeteiligte Personen zusammengeschlagen haben, begann am Montag mit halbstündiger Verspätung. Schuld daran waren die strengen Sicherheitsmassnahmen. Die Teilnehmer und Besucherinnen des Prozesses wurden rigorosen Kontrollen unterzogen. Denn die Angeschuldigten – sechs Hauptangeklagte und ein Chauffeur – werden der rechtsextremen Szene zugerechnet. Und laut Gerichtspräsidentin Jacqueline Kiss waren via Internet Drohungen eingegangen.

Der erste Prozesstag war dann praktisch ganz der Befragung zur Person der sieben Angeklagten gewidmet. Die Männer sind zwischen 21 und 24 Jahre alt. Und zumindest was den Tatzeitpunkt betrifft, wird die Zugehörigkeit zum rechtsextremen Milieu von keinem in Abrede gestellt. Die Anklage wirft ihnen im Wesentlichen schwere Körperverletzung, Angriff, Sachbeschädigung und mehrfache Widerhandlung gegen die Bestimmungen des Waffengesetzes vor.

Äusserlich waren die Angeklagten gestern von andern Gleichaltrigen jedoch kaum zu unterscheiden. Nur einer der sieben befindet sich derzeit in Haft. Die andern gehen alle einer geregelten Arbeit nach. Die meisten weisen zudem eine abgeschlossene Berufsausbildung aus. Nach rechtsextremen Emblemen oder Attributen suchte man jedenfalls vergeblich.

Wo blieb die Gesinnung? Überhaupt spielte der Rechtsextremismus gestern eine erstaunlich kleine Rolle. Und auch damals, im Frühling 2004, wollte keiner eine Leitfigur der damaligen regionalen Skinheadgruppe «Warriors» gewesen sein. «Ich war nur eine Randfigur» oder «Ich war kein richtiges Mitglied» war gestern häufig zu hören. Mehrere Angeklagte erklärten auch, weder an Politik speziell interessiert gewesen, noch davon viel verstanden zu haben. National gesinnt und ausländerfeindlich schon. Doch Einzelne wollen nicht einmal etwas gegen Ausländer gehabt haben. So erstaunte es dann auch nicht, dass die allermeisten mit Rechtsextremismus nichts mehr zu tun haben wollen, ja sogar Ausstiegshilfe in Anspruch genommen haben. Einer schämte sich sogar ausdrücklich und unter Tränen für seine damaligen Einstellungen. Dem Gericht obliegt es nun zu beurteilen, ob die Beteuerungen echt oder nur prozesstaktisch motiviert sind.

Geborgenheit. Fast übereinstimmend waren die Aussagen der Angeklagten auf die Frage, warum sie ins rechtsextreme Milieu geraten sind: Probleme in der Familie, die Suche nach Anschluss und Verständnis. Kurz: Die Skinheadgruppe wurde als Ersatzfamilie erachtet, in der der Einzelne Geborgenheit und Anerkennung fand.

Das galt offenbar in hohem Masse für den Angeklagten, der auf dem Bahnhof Liestal zwei Unbeteiligte niedergeschlagen haben soll und den deshalb die schwersten Vorwürfe treffen. Der junge Mann ist, wie gestern bekannt wurde, in desolaten Familienverhältnissen aufgewachsen. Die Kinder sollen vom Vater und vom Stiefvater missbraucht worden sein. Die Familie musste deshalb vor den Männern durch halb Europa flüchten. Den Hass auf seinen Vater habe er dann «umgeleitet» und gegen die Ausländer gerichtet.

Der 21-Jährige befindet sich wegen weiterer Vorkommnisse wieder in Untersuchungshaft.