Sie zahlen keine Steuern und wollen einen neuen Lebensraum gestalten: Wie Staatsverweigerer und Reichsbürger in der Ostschweiz Fuss fassen

St.Galler Tagblatt. Bei einer Razzia wegen eines geplanten Staatsstreichs wurden in Deutschland 25 Menschen aus dem Reichsbürgermilieu verhaftet. Auch in der Ostschweiz findet die Ideologie immer mehr Anhänger. Insbesondere der Fantasiestaat «Königreich Deutschland» (KRD) erlebt einen Aufschwung.

Deutsche Medien sprechen vom grössten Anti-Terroreinsatz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Am Mittwoch durchsuchten 3000 Polizeibeamte 130 Objekte in elf Bundesländern, nahmen 25 Personen in drei Nationen fest.

Gemäss der Bundesstaatsanwaltschaft soll eine bewaffnete Gruppe von Reichsbürgern und Querdenkern geplant haben, das Reichstagsgebäude zu stürmen und «die bestehende staatliche Ordnung unter Einsatz von Gewalt und militärischen Mitteln zu beseitigen». Unter den insgesamt 52 Beschuldigten sind Ex-Elitesoldaten, Ex-Polizisten sowie eine frühere Richterin und AfD-Bundestagsabgeordnete.

Festnahmen gab es in Deutschland, Österreich und Italien, nicht aber in der Schweiz. Dennoch sollte die Affäre zu denken geben. Denn auch hierzulande fassen Organisationen und Ideologien, die dem Dunstkreis der Reichsbürgerszene zuzuordnen sind, verstärkt Fuss – insbesondere in der Ostschweiz.

Staatsverweigerer nehmen zu

So gibt es beispielsweise im Thurgau auffallend viele Staatsverweigerer. Sie weigern sich, Bussen oder Steuern zu zahlen, oder erklären Gerichtsentscheide für nichtig. Dies mit der Begründung, es fehle den entsprechenden Institutionen die gesetzliche Legitimation. Roger Wiesendanger, Leiter des Thurgauer Amtes für Betreibungs- und Konkurswesen, sagte im April zu dieser Zeitung, dass er mehrmals pro Woche Schreiben von Staatsverweigerern erhalte. Kam dies vor ein paar Jahren nur vereinzelt vor, werde sein Amt heute mit den endlos langen Schreiben buchstäblich vollgemüllt.

Zumindest einige von ihnen sind Anhänger des «Global Court of the Common Law» (GCCL), eine Art Pseudogerichtshof und eine sektenartige Gruppierung zugleich, die im Thurgau besonders viele Anhängerinnen und Anhänger hat. Diese anerkennen weder das Gesetz noch die Justiz und berufen sich auf Naturrecht und scheinbar biblische Grundsätze. Von den rund 1500 Personen, die schweizweit auf den Telegram-Kanälen des GCCL aktiv sind, zählt der Thurgauer Kanal allein 255.

Systemausstiegsseminar verschoben

Und auch in der restlichen Ostschweiz fällt die Reichsbürger-Ideologie offenbar auf fruchtbaren Boden. Insbesondere der Fantasiestaat «Königreich Deutschland» (KRD) scheint in den letzten Monaten Aufschwung zu geniessen.

Nachdem Vertreter des Fantasiestaats im Oktober einen Vortrag in Uzwil Organisiert hatten, sollte Ende November das erste «Systemausstiegsseminar» der Schweiz in Wattwil folgen, wie diese Zeitung berichtete. Dort sollten den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für den bescheidenen Preis von 700 Euro «verschiedene legale Ausstiegskonzepte aus dem destruktiven System» vermittelt werden.

Durch die Recherchen der Redaktion alarmiert, untersagte die Vermieterin der Liegenschaft, wo der Anlass stattfinden sollte, kurzerhand dessen Durchführung. Wie weitere Recherchen dieser Zeitung nun ergeben haben, wurde das Seminar aber nicht abgesagt, wie ursprünglich angenommen, sondern lediglich verschoben. In ein Gewerbehaus in Wolfhalden, Appenzell Ausserrhoden.

«Mindset auf neuem Level»

Als Eigentümer der Liegenschaft sind zwei Immobilienfirmen eingetragen. Bei beiden Firmen ist gemäss Handelsregister ein Ausserrhoder Gastro- und Immobilienunternehmer involviert, der gemeinsam mit seinem Bruder unter anderem einen Club in der St.Galler Innenstadt führt.

Wie aus dem Telegram-Chat der Gruppe KRD-Schweiz hervorgeht, war der Unternehmer selbst anwesend. Am Tag nach Abschluss des Ausstiegsseminars schrieb er in die Gruppe: «Sehr gerne habe ich dafür meinen Raum zur Verfügung gestellt und dafür Sorge getragen, dass wir das Seminar ungestört abhalten konnten.» Ebenfalls bedankte sich der Unternehmer bei allen «und insbesondere bei Peter».

«Ihm zuzuhören ist einfach fantastisch und hat mich tief berührt und mein Mindset auf das nächste Level gebracht.»

Wer mit Peter hier genau gemeint ist, geht aus dem weiteren Chatverlauf nicht hervor. Doch es liegt die Vermutung nahe, dass es sich um Peter Fitzek höchstpersönlich handelt. Fitzek, auch bekannt als Peter der Grosse, liess sich 2012 bei einer pompösen Zeremonie – mit Reichsapfel, Schwert und Krone – vor rund 600 Anhängerinnen und Anhängern zum König von Deutschland krönen.

Seither ist Fitzek fleissig damit beschäftigt, im Bundesland Sachsen, wo sich das ursprüngliche «Hoheitsgebiet» des KRD befindet, mit den Spendengeldern seiner Anhängerinnen und Anhänger Immobilien aufzukaufen. Darunter auch zwei Schlösser für 1,3 und 2,3 Millionen.

«Ein neuer Lebensraum in der Schweiz »

Vor diesem Hintergrund lässt aufhorchen, dass der erwähnte Ausserrhoder Unternehmer seit 2021 auch Präsident einer Wohnbaugenossenschaft ist. Diese verfolgt gemäss Business Monitor den Zweck, «in gemeinsamer Selbsthilfe und Mitverantwortung ihren Mitgliedern guten und preisgünstigen Wohnraum zu verschaffen und zu erhalten» und das Zusammenleben «im Sinne gesamtgesellschaftlicher Verantwortung und gegenseitiger Solidarität» zu fördern. Zu erreichen sei dies unter anderem durch den Erwerb von Bauland, Baurechten und Immobilien.

Ob die Genossenschaft und die Immobilienfirmen des Unternehmers tatsächlich zum Kauf für Liegenschaften für das KRD genutzt werden sollen, ist zu diesem Zeitpunkt unklar.

Einen etwas unangenehmen Beigeschmack erhält das Projekt anlässlich folgender Aussage des Unternehmers im Telegram-Chat:

«Ebenfalls freue ich mich über alle jene, die nun ins Handeln kommen und zusammen mit mir/uns hier in der Schweiz einen neuen Lebensraum gestalten werden.»