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Weltwoche Nr. 28../98

Schweizer Holocaust-Leugner treiben ihr Unwesen trotz Antirassismus-Gesetz auch hierzulande immer unverfrorener. Jetzt kommen zwei ihrer führenden Exponenten vor Gericht.

Mit ihren Umtrieben bereiten die Leugner des Holocaust die ideologische Basis für Skinheads und fanatisierte Tierschützer.

Von Hans Stutz

Am Donnerstag kommender Woche stehen zwei führende Schweizer Auschwitz-Leugner vor den Schranken des Bezirksgerichts Baden: Rund drei Jahre nach Beginn der Strafuntersuchung muss sich Jürgen Graf, ehemaliger Baselbieter Lehrer und Publizist antisemitischer Propagandaschriften, vor dem Richter verantworten. Er ist, ebenso wie sein Verleger, der 78jährige Gerhard Förster aus Würenlos AG, wegen mehrfacher Rassendiskriminierung angeklagt.
Zwar hat der Aargauer Staatsanwalt Dominik Aufdenblatten beim Badener Bezirksgericht vor mehr als zwei Jahren eine erste Anklageschrift abgeliefert. Doch der zuständige Gerichtspräsident Guido Näf (CVP) liess die Sache liegen, bis ihm Mitte Februar 1998 der Prozess wegen «unhaltbarer Verfahrensverzögerung» entzogen wurde. Die Inspektionskommission des Aargauer Obergerichtes erwog die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens gegen Näf; sie hat inzwischen darüber entschieden, will die Öffentlichkeit und damit die Stimmbürger, die im Kanton Aargau die Gerichtspräsidenten wählen, aber nicht informieren.
Die neu berufene Gerichtspräsidentin Andrea Staubli wird auch über die seit April 1996 von Staatsanwalt Aufdenblatten eingereichten fünf Zusatzanklagen gegen Graf und eine Zusatzanklage gegen Förster befinden müssen. 18 Monate Gefängnis unbedingt beantragt der Anklagevertreter für Graf, 16 Monate unbedingt für Förster. Neben den Haftstrafen fordert er Bussen von 27 000 und 22 000 Franken plus die Einziehung eines Teiles des Verkaufserlöses.
Es sind die höchsten je in der Schweiz geforderten Strafen für Verstösse gegen die Antirassismus-Strafnorm, obwohl der Staatsanwalt nur die Hälfte der möglichen Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis fordert. Allerdings wird Förster, pensionierter Diplomingenieur und ehemaliger Angehöriger der Deutschen Wehrmacht, eine allfällige Haftstrafe kaum absitzen. Der Gehbehinderte erachtet sich als nicht hafterstehungsfähig, amtet jedoch, trotz drei Hausdurchsuchungen, weiterhin als Geschäftsführer seines Verlages Neue Visionen. Vor wenigen Wochen versandte Förster sein Verlagsprogramm 1998: rund ein Dutzend Titel, vielfach antisemitisch, alle innerhalb von vier Jahren produziert. Die Verbreitung von Prospekten hat Förster in Deutschland bereits eine Busse wegen Volksverhetzung eingetragen.Hauptperson des Prozesses ist jedoch Jürgen Graf. Der 47jährige ist erstmals vor neun Jahren mit seinem Buch «Das Narrenschiff» einschlägig bekannt geworden. Graf hatte seine fremdenfeindliche Abrechnung mit dem Asylwesen verfasst, nachdem er drei Jahre lang als Asylbefrager gewirkt hatte. Drei Jahre später machte er den Schritt zum Holocaust-Leugner: Im Dezember 1992 veröffentlichte Graf, damals Lehrer in Therwil BL, im Eigenverlag das Buch «Der Holocaust auf dem Prüfstand». Darin bestritt Graf, wie er damals in einem Leserbrief an die «Weltwoche» schrieb, «die Gaskammern, die behauptete Opferzahl und die Existenz eines Plans zur Judenvernichtung». Darauf wurde er umgehend vom Lehramt dispensiert. Staatsanwalt Aufdenblatten wirft Graf vor, dieses Buch sowie eine erweiterte Fassung des Buches «Der Holocaust-Schwindel» nach Inkrafttreten der Antirassismus-Strafnorm weiter vertrieben zu haben.
Nach seiner fristlosen Entlassung lernte Graf den Würenloser Gerhard Förster kennen. Er besass damals zwar noch keinen Verlag, engagierte Graf aber als Buchautor und gab ihm gleich noch die Idee für ein neues Machwerk mit. Das Buch «Auschwitz. Tätergeständnisse und Augenzeugen des Holocaust» funktioniert nach der Logik: Wenn nach einem Zugsunglück Zeugen über den Hergang verschiedene Aussagen machen, kann die Katastrophe gar nicht stattgefunden haben. Im August 1995 erschien ein weiteres Graf-Pamphlet mit dem Titel «Todesursache Zeitgeschichtsforschung» in Försters Verlag. Es handelt sich dabei um einen fiktiven Text über eine deutsche Geschichtslehrerin, die im Unterricht den Zweiten Weltkrieg behandelt und innert kurzer Zeit zur Holocaust-Leugnerin wird. Im Strafverfahren gegen Arthur Vogt, der Grafs Buch nach Deutschland versandt hatte, befand das Bezirksgericht Meilen im vergangenen Jahr, Graf vertrete in diesem Buch die «qualifizierte Auschwitz-Lüge». Er bestreite also nicht nur die systematische Ermordung der Juden, sondern verbinde damit auch noch Angriffe gegen die Menschenwürde aller Juden. Damit habe er «letztendlich die nationalsozialistische Rassenideologie propagiert».
Innert kurzer Zeit stieg der sprachenkundige Graf damit weltweit zur ersten Garde der zahlenmässig kleinen Schar Holocaust-leugnender Autoren auf, die sich selber Revisionisten nennen. Seine Aktivitäten haben ihm in Deutschland bereits eine rechtskräftige Verurteilung (ein Jahr Gefängnis bedingt) eingetragen, ebenso einen Haftbefehl, weil er im Frühling 1997 einem Gerichtstermin unentschuldigt fernblieb. Graf bezeichnet sich als «den ersten unter der zweiten Garnitur der Revisionisten». Was Graf die «erste Garnitur» nennt, ist jedoch inzwischen nicht mehr aktiv oder ist gestorben.

Verschwörungstheorien

Graf half auch mit, die Schweizer Holocaust-Leugner untereinander zu vernetzen. Im Frühling 1994, im Vorfeld der Volksabstimmung über das Antirassismus-Gesetz, gründete er zusammen mit Arthur Vogt, Andres J.W. Studer und Bernhard Schaub die Arbeitsgemeinschaft zur Enttabuisierung (heute: zur Erforschung) der Zeitgeschichte (AEZ). Vogt ist bereits wegen Holocaust-Leugnung erstinstanzlich zu 20 000 Franken Busse verurteilt worden; und gegen Studer liegt ein Strafantrag des Bezirksanwaltes Baden, lautend auf acht Monate Gefängnis unbedingt, vor. Vom AEZ-Organ «Aurora» erschienen bisher vierzehn Nummern – auch Graf gehörte zu den Autoren.Was treibt Graf an? Er ertrage es nicht, so Graf in einem Fernsehinterview, «dass das deutsche Volk seit Jahrzehnten für ein Verbrechen diffamiert wird, das es nicht begangen hat». Diffamierung des deutschen Volkes heisst für Graf Diffamierung der Nazis: Den Nazi-General Otto Ernst Remer, im Juli 1944 mitbeteiligt an der Niederschlagung des Putschversuches gegen Adolf Hitler, lobte Graf im vergangenen Jahr in einem Nachruf als «den meistausgezeichneten Soldaten des Dritten Reiches», der «nie aufgehört» habe, «für deutsche Interessen zu kämpfen». Den Nazi-General, der bis zu seinem Lebensende in neonazistischen Zusammenhängen tätig war, hat Graf noch zu Jahresbeginn 1997 besucht.
Nazistisch und folglich antisemitisch, stellt Graf gerne phantastische Verschwörungstheorien auf. In seinem Buch «Todesursache Zeitgeschichtsforschung» erwähnt er beispielsweise den Bombenanschlag von Oklahoma; darin schreibt er von der «plausiblen Hypothese», dass «durch dieses Verbrechen die Bevölkerung gegen die (Zehntausende von schwerbewaffneten Mitgliedern zählenden) Milizen aufgewiegelt werden sollte». Die Entwaffnung dieser rechtsextremen Bewegung in den Vereinigten Staaten von Amerika sei nämlich «Voraussetzung für die Errichtung einer offenen Zionistendiktatur in den USA. Erfreulicherweise scheinen sich in Amerika unruhige Zeiten anzubahnen.»
Mit weiteren derart kruden Erzeugnissen ist auch in Zukunft zu rechnen. Vor kurzem beendete Graf sein neuestes Elaborat, das er zusammen mit dem italienischen Gesinnungskameraden Carlo Mattogno verfasste. Das Buch vertreibt diesmal ein Verlag im englischen Hastings. Es ist bereits vollständig im Internet abrufbar. Die Datenautobahn ist jedoch kein rechtsfreier Raum, wie Graf und Konsorten hofften.
Staatsanwalt Aufdenblatten will Graf deshalb am 16. Juli auch wegen zweier im Internet veröffentlichter Texte belangen. Angeboten wurden diese auf einer kanadischen beziehungsweise schwedischen Homepage.
Die Schweiz, heisst es dazu in der Anklageschrift, sei jedoch «sehr wohl ein rechtlich relevanter Ausführungsort», einerseits «aufgrund der in der Schweiz erteilten Aufträge bzw. Einwilligungen für die Veröffentlichung der entsprechenden Texte», andererseits «aufgrund des Erfolgseintrittes in der Schweiz durch den Abruf der Internet-Texte».
Nach dem Prozess gegen Graf und Förster dürften bald weitere Exponenten der Schweizer Rechtsextremenszene vor den Richter kommen. Die Schweizer Holocaust-Leugner entwickeln immer unverfrorenere Aktivitäten. Das jüngste Beispiel: Im Juni hat der Presseclub Schweiz, Basel, eine Broschüre mit dem Titel «Abschied vom Rechtsstaat» herausgegeben. Sie stellt das Antirassismusgesetz als «Instrument zur Errichtung einer totalitären Diktatur in der Schweiz» dar. Gemeint ist damit «die Errichtung der totalitären Judendiktatur in der Schweiz», wie eine Unbekannte namens Vera M. Lenz auf der Internet-Seite der Schweizer Holocaust-Leugner präzisiert. In der Broschüre sind als Autoren alle einschlägig bekannten Revisionisten versammelt – von Jürgen Graf über Arthur Vogt bis zum eifrigsten Aktivisten des Presseclubs, dem Basler Ernst Indlekofer. Der ehemalige SVP-Aktivist wurde wegen Verstosses gegen das Antirassismus-Gesetz bereits erstinstanzlich verurteilt.
Gewidmet ist das Pamphlet Mariette Paschoud. Die Lausannerin und Ex-FHD-Offizierin gilt seit vielen Jahren als Unterstützerin Holocaust-leugnender Publizisten. Sie ist Mitherausgeberin der Rechtsaussen-Monatsschrift «Le pamphlet». Zwar verdanken die Holocaust-Leugner der Rechtsaussen-Waadtländerin einen ihnen verhassten Bundesgerichtsentscheid: Die Forderung nach «Beweisen für die Existenz von Gaskammern» sei «angesichts des vorhandenen Beweismaterials absurd», urteilten die Lausanner Richter. Weil der Massenmord an den europäischen Juden offenkundig ist, wurde den Holocaust-Leugnern die Basis für angedrohte «Schau- und Propagandaprozesse», bei denen sie mit einschlägigen Zeugen für ihre Phantasien hätten werben können, entzogen.

Ideologische Basis für Skinheads

Das achtzigseitige Büchlein dokumentiert und kommentiert verschiedenste Verfahren, die derzeit in der Schweiz wegen Widerhandlungen gegen die Antirassismus-Strafnorm hängig sind. Mehrere Autoren verstecken sich hinter Pseudonymen. Fünf von fünfzehn Beiträgen hat eine gewisse Agnes Stauffacher verfasst. Sie deutet die aktuelle Geschichtsdiskussion als jüdisch inspirierten «Vernichtungskrieg gegen die Schweiz».
Der Inhalt der Broschüre soll laut einer Ankündigung auf der Internet-Homepage der Holocaust-Leugner auch über das World Wide Web verbreitet werden. Dort verteidigt ein
«Dr. Traugott A. Zimmerli» die sogenannten «Protokolle der Weisen von Zion», den Klassiker antisemitischer Verschwörungsphantasten im Dienste der NSDAP-Propaganda.
Mit ihren antisemitischen Umtrieben bereiten die Holocaust-Leugner auch die ideologische Basis für Skinheads und fanatisierte Tierschützer. In der jüngsten Nummer von «Hammer», der «Patriotischen Zeitschrift der Schweizer Hammerskins», erfahren gleich zwei Bücher Grafs sowie ein weiteres Buch aus Försters Verlag Lob und Anerkennung: «Dem Leser werden Dinge offenbart, von denen in den Medien keine Zeile steht.» Auch der Tierschützer Erwin Kessler warb in seinem Vereinsorgan schon für Grafs neuste Broschüre namens «Das Rotbuch».
Die Vernetzer wirken hinter den Kulissen. Zu ihnen gehört der zum Islam übergetretene Berner Holocaust-Leugner Ahmed Huber. Der ehemalige Ringier-Journalist und SP-Parteigänger ist heute ein eifriger Propagandist des Islamismus iranischer Prägung. Huber bezeichnet sich als Gründungsmitglied der Nationalen Initiative Schweiz, die im Sommer 1997 Flugblätter gegen den Basler Zionistenkongress verteilte. Darin wurde ebenfalls – wenn auch verklausuliert – der Holocaust geleugnet