Schnüffeln, verbieten oder Klartext reden

Der Bund

RECHTSEXTREME / Im Nachgang zur aufgeregten «Blick»-Debatte über die «Schande vom Rütli» fordern bürgerliche Politiker und Staatsschützer schärfere Gesetze und neue Verbote im Kampf gegen Rechtsextreme. Linke warnen vor «Alibi-Massnahmen»: Primär brauche es eine Diskussion über die bürgerlichen «Wegbereiter» der Extremisten.

° PATRICK FEUZ

Am 1. August wurde Kaspar Villiger auf dem Rütli von rund 100 Skinheads ausgebuht. Seither berichtet der «Blick» unter dem Titel «Die Schande vom Rütli» täglich aufgeregt über die Schweizer Rechtsextremen-Szene. Bundespräsident Adolf Ogi durfte seinem Entsetzen Ausdruck geben, Staatsschützer, Politiker, Experten und Rechtsextreme kamen zu Wort. Als im Mai die Bundespolizei ihren neusten Staatsschutzbericht vorstellte, waren die Schlagzeilen noch halb so fett. Dabei enthielt der Bericht Beunruhigendes: In der Deutschschweiz wächst die rechtsextreme Szene. Es gibt einen harten Kern von 600 bis 700 Skinheads, der zunehmend zur Anwendung von Gewalt bereit ist und über ausgezeichnete Kontakte ins Ausland verfügt. Die wachsende Zahl von Skinheads wird auf den Nachzug sehr junger Mitglieder aus der Hooliganszene rund um Eishockey- und Fussballteams zurückgeführt.

Verschärfen und verbieten
Die Delegation der Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) – die parlamentarische Kontrollinstanz über den Staatsschutz – hatte den Bericht der Bundespolizei im April «diskutiert». Jetzt will sie an ihrer Sitzung nächste Woche aus aktuellem Anlass darauf zurückkommen, wie Präsident Franz Wicki, Luzerner CVP-Ständerat, erklärt. Wicki will den Gesamtbundesrat zu einer Stellungnahme auffordern: «Die Bevölkerung muss wissen, dass Rechtsextremismus nicht geduldet wird.» Zu prüfen sei auch, ob mit dem Antirassismus-Gesetz nicht gegen Konzerte und andere Grossanlässe der Rechtsradikalen vorgegangen werden könnte. Diese Treffen seien längst nicht mehr privat, wie dies die Behörden darstellten, sondern öffentlich und somit strafbar (siehe unten). Für Wicki käme auch eine Verschärfung des Gesetzes in Frage, um gegen Propaganda-Aufmärsche wie auf dem Rütli vorgehen und generell Neonazi-Embleme und Gebärden verbieten zu können. Als äusserste Massnahme ist für Wicki denkbar, der Bundespolizei wieder zu erlauben, präventiv zu ermitteln, das heisst ohne begründeten Verdacht verdeckte Ermittler einzusetzen und Personen zu registrieren.
Diese Möglichkeit war den übereifrigen Staatsschützern nach Auffliegen des Fichenskandals weggenommen worden. Für den Zürcher SVP-Ständerat Hans Hofmann, Mitglied der GPK-Delegation, ist klar: «Der Staatsschutz soll wieder Fichen anlegen können.» Der Interimschef des Bundesamts für Polizei, Jean-Luc Vez, erklärte im «Blick» diplomatisch, die heutige Situation «müsste gründlich überdacht werden».

«Das ist Cowboy-Zeug»
50-jährige, als Neonazi verkleidete Bundespolizisten: Das sei «Cowboy-Zeug», findet der Berner SP-Nationalrat Alexander Tschäppät. Zuallererst müsse die Politik aufhören, den Rechtsextremismus zu verharmlosen. Kaspar Villigers Reaktion auf den Rütli-Vorfall sei unverständlich. Der Bundesrat hatte im Schweizer Fernsehen gesagt: «Ich kenne diese Leute nicht, ich weiss nicht, was sie politisch wollen.» Wenn der politische Wille, den Rechtsextremismus als Gefahrenherd wahrzunehmen, demonstriert worden sei, so Tschäppät, lasse sich dann allenfalls über mehr Personal für den Staatsschutz diskutieren. Aber Fortschritte könnten auch durch bessere Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen erzielt werden. Von «Alibi-Massnahmen» wie schnellen Gesetzesänderungen rät Tschäppät ab, weil sie nur vom Problem ablenkten.
Der christlichsoziale Freiburger Nationalrat Hugo Fasel ist ebenfalls skeptisch gegenüber Gesetzesverschärfungen und neuen Verboten: «Zuerst müssen wir zeigen, dass es Wegbereiter gibt, zum Beispiel in der SVP.» Aussagen einzelner Politiker über Asylsuchende seien der Hintergrund der Aggressivität von Skinheads. Die Luzerner FDP-Ständerätin Helen Leumann, wie Fasel und Tschäppät Mitglied der GPK-Delegation, räumt ein: «Es wäre besser, wenn einzelne Politiker sich ihre Aussagen über Ausländer zweimal überlegten.»

«Gesetz endlich anwenden»
paf. Wenn jetzt bürgerliche Politiker und Staatsschützer eine Verschärfung des Antirassismus-Gesetzes fordern, ist dies laut Rechtsextremismus-Kenner Jürg Frischknecht der falsche Weg: «Das Gesetz reicht, man muss es nur endlich anwenden.»
In Mehrzweckhallen, Restaurant-Sälen und im Sommer auf Grillplätzen treffen sich Skins zu Konzerten und Partys. Manchmal sind es 200 bis 300, die zusammen Neonazi-Musik hören, rassistische Lieder singen, den Arm zum Hitler-Gruss ausstrecken und Nazi-Fahnen schwingen. «An solchen Anlässen werden Mord und Totschlag an Minderheiten propagiert», sagt Frischknecht. Laut Antirassismus-Gesetz sind Aufhetzung zu Gewalt und Verbreitung von rassistischen Ideologien strafbar – jedoch nur, wenn sie öffentlich stattfinden. Konzerte und Partys von Skinheads, so die Haltung der Polizei und Justiz, seien private Anlässe.

«Klar öffentliche Anlässe»
Frischknecht findet es skandalös, dass ausgerechnet gegen diese Treffen nicht vorgegangen wird und bisher in keinem einzigen Fall Anklage erhoben worden ist: «Das sind von Ausnahmen abgesehen klar öffentliche Anlässe.» Die Partys werden im Internet angekündigt, der Zutritt ist meist problemlos, die Neonazi-Gesänge sind in der Nachbarschaft zu hören, die Nazi-Embleme von draussen zu sehen. «An diesen Anlässen werden junge Menschen über die Musik und das Gruppenerlebnis indoktriniert», sagt Frischknecht.


Zürich, September 1995:
Rechtsradikale an Christoph Blochers
Anti-EU-Demonstration. Keystone