Satansspuk und Schwarze Sonne

Der Bund

Satansspuk und Schwarze Sonne

Mystisches, Makabres, Morbides – und die Frage nach Braunhemden unter Schwarzkutten: Berns Dark-Wave-Szene

666, die Zahl des Tiers, Chiffre des Teufels, kündet in der Bibel vom Antichristen. Und seit am 06. 06. 06 «The Omen» in den Kinos angelaufen ist, boomt der Spuk um Satan. Auch in Bern findet, wer suchet: Die Zahl 666 führt an Orte, wo schwarze Symbolik und sinistre Spiritualität bedient werden.

rudolf gafner

Man sieht sich regelmässig im «Wasserwerk» in der Matte bei Gothic- und Dark-Wave-Musik, so am letzten Freitag. Nächsten Samstag geht es nach Thun – ins Schloss zur «Goth-Party»: Erst wird Mittelalter zelebriert, mit Armbrust, Bogen und Spanferkel am Spiess, abends steigt im Rittersaal die «Swiss Gothic Night». Und bereits freut man sich auf Burgdorf, wo eine Gruppe namens «Die Stille» zur «Tanz-den- Friedhof-Party im Gewölbekeller» bitten wird. «Es läuft einiges in und um Bern», sagt Szenekenner Roberto Pedrucci, «allein schon in der Stadt zählt die Dark-Wave-Szene 300 Leute, primär Jugendliche, aber auch einige Ältere, die bereits in den 80er-Jahren dabei waren.»

«Leute, die recht gezielt suchen»

Pedrucci führt in der Länggasse seit vier Jahren den «Gotica»-Shop – dessen Telefonnummer mit 666 endet, was kein Zufall ist. Die magische Zahl wie auch andere Symbole, auf den Kopf gestellte Kruzifixe oder Pentagramme, zieren Accessoires, die im «Gotica» zu kaufen sind. «Den Film ,The Omen  spüren wir. Es kommen mehr Leute, die recht gezielt entsprechende Artikel suchen», sagt er. In der Boutique wird allerlei makabrer Kitsch, morbider Nippes, modriger Chic, mittelalterlich Kultiges gehandelt, zudem Fetisch-Zeug und Sadomaso-Zubehör. Und natürlich der In-Drink, an dem sich die Szene labt, so sie sich nicht gerade mit Absinth benebelt: Met, der alte Germanentrunk. Pedrucci schwört auf seine Hausmarke «Met Gotica»: Gar lieblich sei die Honigwein-Tranksame.

Die Dark-Wav-Subkultur setzt sich aus diversen Strömungen zusammen, die nicht über einen Leisten geschlagen werden wollen: Es gibt Medieval-Grufties, die an Parties in Gewölben wohliges Grauen und Gruseln suchen, Neofolk-Fans und Neuheiden, die sich für Magie, Hexerei und Alchemie, Germanen-Runen und Kelten-Sagen, Wikinger und Walhalla, Geheimlehren und Götterdämmerung begeistern. Und es gibt vom Bösen Faszinierte: Anhänger schwarzer Kulte, okkulter Riten, Schwarzer Magie, Schwarzer Messen – Satanisten.

All diese Szenen finden im «Gotica» Kleider und Kram fürs Kokettieren. Wer darüber hinaus auch an Inhalten, den Lehren und Mythen, interessiert ist, wird in Bern gleichfalls fündig. So etwa in der Buchhandlung «Menhir» in der Altstadt – deren Telefonnummer gleichfalls mit 666 endet. Die auf Altes Wissen spezialisierte Bücherei (siehe Box) führt auch diverse okkulte Literatur, vorab «aufklärerische Titel», wie Leiter Dirk Dienel erklärt. Im Antiquariat finden sich jedoch allenthalben auch die Bücher von Aleister Crowley, dem englischen Schwarzmagier, Gründer des Geheimbundes OTO, oder die «Satanische Bibel» von Anton La Vey, der in den USA die «Church of Satan» gegründet hat. «Solche Literatur wird jedoch nicht unkommentiert verkauft», versichert Dienel, «schon gar nicht an diesbezüglich interessierte Jugendliche. Wir versuchen, Leute zu schützen und sie kritisch aufzuklären.» Auch Boutiquier Pedrucci beteuert, Wert auf Aufklärung zu legen: «Ich kläre die Kunden auf, zum Beispiel übers Pentagramm: Dieses oft mit Satanismus in Verbindung gebrachte Zeichen ist in Tat und Wahrheit ein uraltes Schutzsymbol, das mit dem Antichristen gar nichts zu tun hat.»

Ebenso gefährlich, mörderisch , , ,

Wie gefährlich sind dunkle Kulte überhaupt? Sicher ist: Mindestens Satanismus ist nicht zu verharmlosen. Wie verbreitet und zu welcher kriminellen Energie satanistische Sekten fähig sind, verblüfft immer wieder – so etwa die Schweizer Kriminologen, die an einem Kongress in Interlaken vor einigen Jahren vom italienischen Satanismus-Experten Michele del Re, Rechtsprofessor aus Rom, erfuhren, dass die Zahl der Menschen, insbesondere kleiner Kinder, die jährlich einem Kult geopfert würden, weltweit auf «gegen 50 000» geschätzt wird.

. . . wie «unglaublich spiessig»

Die Gefahr, die von Extremisten der Szene ausgehe, sei gewiss nicht zu unterschätzen, aber andrerseits gebe es ebenso gute Gründe, «dem Phänomen mit gewisser Gelassenheit zu begegnen», sagt Willy Gautschi, reformierter Berner Theologe mit einschlägigem Wissen. Oft sei «halb so wild» und «recht harmlos», was da abgehe, nicht nur was jugendliche, sondern auch was erwachsene Szenegänger betreffe: «Oft wird zur Schwarzen Messe stilisiert, was eher eine Spielwiese ist, auf der verklemmte Menschen ihre Enthemmungssehnsüchte austoben können. Selbst die ,Satanic Bible  eines La Vey ist im Grunde unglaublich spiessig.»

Gefährliche Gruppen gebe es in Bern nicht, so Pedrucci seinerseits. «Von ernstzunehmenden Satanisten in Bern weiss ich nichts, organisierte Gruppen jedenfalls gibt es nicht.» – Und Neonazis? Tummeln sich unter Berner Schwarzkutten Braunhemden? Die Frage sorgte in Bern für Schlagzeilen, als letzten Februar drei Gothic-Grufties in der Reitschule von einem Kommando vermummter Antifas angegriffen wurden, weil sie «Nazis» seien, was die drei indes klar dementierten.

Grufties, Antifas und die SS-Burg

Berührungspunkte und Verbindungen gibt es wohl – erinnert sei nur an Berns rechtsradikalen «Avalon»-Zirkel, dessen völkisch-nordischer Kult heidnisch-okkult aufgepeppt wird. Auch Gautschi weiss um diese «braune Esoterik».

Die Antifa-Schläger begründen den Nazismus-Vorwurf an ihre Opfer aus der Reitschule vorab mit der Schwarzen Sonne, einem Symbol, das gern mit der mystisch-esoterischen Seite des Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wird – weil in der Wewelsburg, der SS-Ordensburg von Heinrich Himmler, im «Obergruppenführersaal» ein Ornament prangte, das aussah wie die Schwarze Sonne, weshalb heute auch einige Neonazis dieses Zeichen verwenden. Vor allem aber ist die Schwarze Sonne in der Neuheiden- und Neofolkszene verbreitet – und tatsächlich ist das Symbol babylonischen Ursprungs, 5000 Jahre alt. «Gotica»-Chef Pedrucci jedenfalls legt zumindest für Berns Szene die Hand ins Feuer: «Dark Wavemit Faschismus in Verbindung zu bringen, ist kompletter Humbug.»

Gral und Geheimwissen

Während «Gotica» in der Länggasse vom Kinofilm «The Omen» profitiert, ist die «Menhir»-Buchhandlung in der Altstadt mit dem Boom um «Sakrileg» und «The Da Vinci Code» befasst. Der auf Altes Wissen, Volkskunde, Kulturgeschichte, Archäologie, Astronomie, Mythologie, Magie, Spiritualität, Geheimlehren und Esoterik spezialisierte Buchladen führt allein Hunderte Titel zu Gralslegende, Tempelritter und geheimer Symbolik – nicht jedoch Dan Browns Roman «Sakrileg». «Wir wollen dem Thema seriös auf die Spur kommen – jenseits von Romanbestseller und Kinofilm, jenseits von irgendwelchen abstrusen Verschwörungstheorien. Es geht uns dabei auch nicht um das Geschäft, sondern um Wissen», so «Menhir»-Leiter Dirk Dienel.

Der Buchhändler bietet unter dem Motto «Gral, Göttin und geheime Symbole» offene Foren zu «Gründen und Hintergründen des Sakrileg-Phänomens» an. Das nächste Forum findet diese Woche statt: am Donnerstag an der Kramgasse 72 in Bern; Beginn um 19.15 Uhr.