Reichsbürger im Baselbiet. Hier finden Staats­feinde offene Türen.

Der Bund. Bei Basel entsteht ein Seminarzentrum mit esoterischen Referaten und Bezügen zur Szene der Staatsverweigerer. Eine Tendenz, die in der ganzen Deutschschweiz zu beobachten ist.

Das Seminarhotel Leuenberg oberhalb der Baselbieter Gemeinde Hölstein ist eine eigene Welt. Der abgelegene Gebäudekomplex aus dem vergangenen Jahrhundert mit einem Hotel, einem Wohnhaus, einer eigenen Kirche und einem Restaurant erinnert an ein winziges Dorf.

Hier wollte die Baselbieter Regierung ein Erstaufnahmezentrum für Geflüchtete einrichten. Doch daraus wurde nichts, weil der Leuenberg verkauft wurde. Seit Jahren scheitern hier Wiederbelebungsversuche.

Nun soll den neuen Pächtern das scheinbar Unschaffbare gelingen. In Hölstein, selbst vom Strukturwandel betroffen, freut man sich, dass der Leuenberg eine neue Chance bekommt, dass Wanderinnen und Wanderer hier bald wieder einkehren können. Ein Mehrwert, auch für die Dorfbevölkerung.

Eine Idylle, die beim genaueren Hinschauen Risse erhält.

Fantasiepass-Workshop kann mit Silber bezahlt werden

Bis 2015 wurde der Leuenberg von der reformierten Kirche als Tagungsort genutzt. Seminare führen auch die neuen Pächter des Begegnungszentrums Leuenberg durch. Der Mann, der für die Organisation der Seminare verantwortlich ist, war bis vor kurzem mitverantwortlich für ein «Begegnungszentrum» in Aarau.

Recherchen dieser Zeitung zeigen: Dort fanden mehrfach Reichsbürgerveranstaltungen statt. Reichsbürger glauben aus unterschiedlichen Gründen, dass die Schweiz in der heutigen Form kein existierender Staat sei. Sie lehnen den Staat deswegen ab, teilweise wollen sie ihn auch aktiv bekämpfen.

Im Begegnungszentrum Aarau gab es im November 2022 ein Workshop zu sogenannten «Lebenderklärungen» – einem in Reichsbürgerkreisen verbreiteten Fantasiepass, der die Inhaber vom Staat und seinen Gesetzen lossagen soll.

Der Kurs konnte in Schweizer Franken oder in Silber bezahlt werden. Ein Foto des Anlasses, das dieser Redaktion vorliegt, legt nahe, dass die Geschäftspartnerin des Leuenberg-Seminarverantwortlichen eine solche Lebenderklärung erstellte.

«Staatssimulation» und eine Vision

Ebenfalls im November 2022 erklärte ein Reichsbürger im Aarauer Begegnungszentrum die «Staatssimulation» der Schweiz. Die Reichsbürgerreferate sind nicht das Einzige, was in diesem Zusammenhang auffällt. Der Seminarverantwortliche des Leuenbergs nennt sich auf dem Messengerdienst Telegram «der Erschaffer». Den Leuenberg bezeichnet er als «Begegnungszentrum der neuen Welt».

Um eine neue Welt ging es auch bei einer Veranstaltung, die im Herbst 2022 in der Baselbieter Gemeinde Reinach stattfand. Unter dem Titel «Die neue Erde – unsere gemeinsame Vision – Umsetzung» fanden mehrere Referate statt. Das zeigen Veröffentlichungen des Recherchekollektivs «Betonmalerinnen».

Am Seminar sprachen zwei Personen vom Leuenberg. Wie alle anderen Referentinnen und Referenten waren sie auf dem Programm in der Reichsbürgerschreibweise «:vorname» angekündigt. Eine Schreibweise, die auch andere Personen aus dem Umfeld des Leuenbergs für sich selbst verwenden.

Einer der anderen Referenten ist Vertreter der Reichsbürgergruppierung Königreich Deutschland. Das «Königreich» geriet in den vergangenen Monaten in die Schlagzeilen, weil die Gruppierung in Deutschland, aber auch der Schweiz Grundstücke und Immobilien erwirbt. Ihr Ziel ist es, das «Staatsgebiet» des Königreichs zu vergrössern und ungestört beispielsweise Seminare abhalten zu können.

Eine weitere Referentin ist Vertreterin von Wissen schafft Freiheit (WSF). Die Gruppe mit verschwörungsideologischen Bezügen baut im deutschsprachigen Raum Schulen nach dem Prinzip Schetinin auf. Die Pädagogik ist in den Post-Corona-Bewegungen – also bei Menschen, die durch die Corona-Massnahmen eine staatskritische Einstellung entwickelten beziehungsweise verfestigten – beliebt. Aber auch in der völkisch-esoterischen Anastasia-Bewegung.

Die Bewegung gilt als demokratie- und fortschrittsfeindlich, verschwörungsideologisch, rassistisch und antisemitisch. Zentrales Element der Bewegung ist die angestrebte Lebensweise: naturnah und möglichst viel Selbstversorgung. Die Bewegung gründet dazu auch eigene Siedlungen.

Teil der «neuen Erde» soll auch die «Germanische neue Medizin» sein. Eine weitere Referentin behandelte diese in ihrem Referat. Es handelt sich dabei um eine wissenschaftsfeindliche Pseudomedizin mit rassistischen und antisemitischen Elementen. Ihr Gründer sagte beispielsweise, die Chemotherapie sei von Juden erfunden, um damit Nicht-Juden umzubringen. Die Ideologie sorgte für Schlagzeilen, weil sich Anhängerinnen und Anhänger selbst bei schwersten Erkrankungen der Schulmedizin verweigerten – und starben. 

Die Veranstaltung fand statt, als ebendiese beiden Referierenden auf dem Leuenberg federführend waren. Sie planten nicht nur die Wiederbelebung des Seminarhotels, sondern auch nachhaltige Landwirtschaft mit dem Ziel der Selbstversorgung. Zudem sollten eine eigene Schule, Kräuterheilkunde oder Heilkost verwirklicht werden.

Diese Pläne des Leuenbergs wurden auch durch die Gruppierung Neues Dorf Nordwestschweiz beworben. Deren Ziel ist es unter anderem, Selbstversorgungsgemeinschaften zu errichten. Deren angestrebte Lebensweise erinnert nicht ohne Grund an die Anastasia-Bewegung. Der Gründer steht der Bewegung nahe.

Gescheiterte Vision

Wie die jetzigen Verantwortlichen des Leuenbergs betonen, sei diese Vision gescheitert. Man distanziere sich davon. Das einzige Ziel der neuen Führung, die seit Anfang 2023 verantwortlich sei: den Leuenberg durch das Abhalten von Seminaren möglichst schnell in die schwarzen Zahlen zu führen. Selbstversorgung oder die Gründung einer Schule seien kein Thema mehr.

Das bestätigt die Baselbieter Bildungsdirektion. In den vergangenen Monaten sei ein Gesuch zur Gründung einer privaten Schule auf dem Leuenberg eingegangen, jedoch wieder zurückgezogen worden.

Recherchen dieser Zeitung zeigen, dass die Personen, die an der Veranstaltung «Die neue Erde – unsere gemeinsame Vision – Umsetzung» referierten, noch immer auf dem Leuenberg arbeiten.

Gekauft wurde der Leuenberg von einer Immobilienfirma aus dem Kanton Zug, gemäss Darstellung des Leuenbergs handelt es sich dabei um einen rein finanziellen Transfer ohne ideologischen Hintergrund.

Wenige Tage nach der Ankündigung des Kaufs konfrontierte diese Zeitung den Leuenberg zum ersten Mal betreffend der Anastasia- und Reichsbürgernähe. Es kam keine Antwort.

Esoterische Seminare

Beim Seminar in Reinach handelte es sich nicht um ein einmaliges Aufeinandertreffen dieser Personen und ihrer Ideologien. Personen aus dem Umfeld des Leuenbergs stehen schon länger im Austausch mit Wissen schafft Freiheit und bewarben ihr Vorhaben der Schulgründung bei WSF.

Die Schweizer Vertreterin von WSF hielt sowohl im Aarauer Begegnungszentrum als auch im Begegnungszentrum Leuenberg Workshops und Referate. Einer der Gründer von WSF soll ausserdem im Mai auf dem Leuenberg ein Seminar abhalten. Seine Themen unter anderem: Heilkräuter und die «Germanische neue Medizin».

Im Juni soll auf dem Leuenberg eine Mittsommer-Feier nach germanischer Tradition mit Aktivitäten wie Beilwerfen und Bogenschiessen stattfinden. Solche Feiern sind auch bei Rechtsextremen und der Anastasia-Bewegung weit verbreitet.

Geplant ist weiter ein Seminar mit UFO-Experte Erich von Däniken zum Thema «Besuch der Ausserirdischen». Mitte März hält die als esoterisch und sektiererisch geltende World Foundation for Natural Science ein zweitägiges Seminar auf dem Leuenberg ab.

Leuenberg als typisches Beispiel

«Die Angebote des Seminar- und Begegnungszentrums Leuenberg passen bestens in die Landschaft der Post-Corona-Bewegungen Urig und Graswurzle, sagt Sektenexperte Georg Schmid. Die Lokalgruppen dieser Bewegungen würden sich «massiv vermehren», so Schmid. Der Bezug ins Staatsverweigerungsmilieu sei dabei typisch.

Die Entwicklung auf dem Leuenberg sei exemplarisch für die Deutschschweiz. Hier würden laufend solche Begegnungszentren entstehen.

Auf dem Leuenberg will man von nichts wissen

Leo Gschwind, Medienverantwortlicher des Seminarzentrums Leuenberg, schreibt auf Anfrage dieser Zeitung: «Wir sind ideologisch, religiös und politisch völlig unabhängig!» Der Leuenberg übernehme keine Verantwortung für die Gesinnung von Kursanbietern sowie deren Teilnehmenden. Man identifiziere sich nicht mit deren Inhalten.

Wenige Stunden nach dieser Stellungnahme äussert sich der Seminarverantwortliche des Leuenbergs in einer Telegram-Gruppe einmal mehr euphorisch über einen Workshop zum Thema «Autofahren mit Wasser», der an diesem Abend auf dem Leuenberg stattgefunden hat.

Menschen sämtlichen Alters, Herkunft oder Ethnie seien willkommen, führt der Leuenberg-Sprecher weiter aus. Der Seminarverantwortliche des Leuenbergs habe in Aarau den Reichsbürgerinnen und Reichsbürgern lediglich den Raum zur Verfügung gestellt.

WSF sei der Gruppe unbekannt, ebenso das Königreich Deutschland und die Bedeutung der Reichsbürgerschreibweise «:vorname», so der Sprecher.

Die «neue Welt» im Namen des Seminarzentrums erklärt Gschwind wie folgt: «Für uns ist die sogenannte neue Welt eine ideologisch und religiös freie und politisch unabhängige Ausrichtung.»

Problematik durch Querulanten nimmt zu

Die Gemeinde Hölstein äussert sich auf Anfrage nicht zur Thematik. Man habe selbst noch keine vertieften Einblicke in die Pläne des Leuenbergs.

Obwohl ein Grossteil der Post-Corona-Bewegungen den Staat durchaus anerkenne, gäben sie der Staatsverweigerung eine Plattform, welche diese gerne nutze, so Sektenexperte Georg Schmid.

Er warnt: «Während die Gesellschaft eine überschaubare Zahl von Menschen mit querulantischen Thesen gut wegstecken kann, wird die Problematik durch deren wachsende Zahl immer gravierender. Wenn der Leuenberg zu einer Basis der Verbreitung von Staatsverweigerungslehren würde, wäre das hochproblematisch.»