Pnos-Vorsitzender wegen Leugnung von Anne Franks Tagebuch angeklagt

 

Tages-Anzeiger vom 3.6.2010

Ein vorbestrafter Exponent der rechtsextremen Partei kommt wegen der Behauptung vor Gericht, die «gefälschten» Aufzeichnungen des jüdischen Mädchens dienten der «Holocaust-Indoktrination.»

Thomas Knellwolf

Es ist eine alte Mär. Seit Jahrzehnten behaupten Alt- und Neonazis, das Tagebuch der Anne Frank sei eine Fälschung. Die Internationale der Holocaustleugner unterschlägt dabei, dass alle seriösen Experten und kriminalwissenschaftlichen Untersuchungen die Echtheit der in 55 Sprachen übersetzten Notizen des jüdischen Mädchens bestätigen.

«Dummheit stirbt nie»

Vor einem Jahr hat die rechtsextreme Partei national orientierter Schweizer (Pnos) die alte Mär von den «Lügen um Anne Frank» aufgewärmt. Ihre Basler Sektion behauptete auf ihrer «Weltnetzseite» (so der Rechtsextremen-Ausdruck für «Homepage»), der Tod des bekanntesten NS-Opfers sei «insbesondere auf die Bombardierung ziviler Ziele durch die alliierten ‹Befreier› zurückzuführen». Das Tagebuch, das bis heute Millionen rund um den Globus erschüttert hat, diene einzig und allein der «Holocaust-Indoktrination junger unbedarfter Kinder». Anne Franks Cousin, der in Basel lebende Schauspieler Buddy Elias, sagt dazu: «Dummheit stirbt nie aus. Doch Aufklärung hilft, sie einzudämmen.»

«Verleumdung der Juden»

Auch die Schweizer Rassismus-Strafnorm soll bei der Eindämmung helfen. Am 21. Juli kommt es am Basler Strafgericht zum Prozess gegen den Vorstandsvorsitzenden der Pnos Basel, Philippe Eglin. Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt sieht es als erwiesen an, dass der junge Baselbieter Handwerker sich der Rassendiskriminierung schuldig gemacht hat. Er verbreite, steht in der Anklageschrift, «eine Ideologie, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung der Juden gerichtet ist». Eglin benutze «pseudowissenschaftliche Scheinargumente, wie sie in der Holocaustleugner- und Revisionistenszene in diesem Zusammenhang häufig herangezogen werden». Er stelle das Tagebuch als «gezielte Manipulation» dar und nicht als «historisch belegte Tatsache» und suggeriere, die Alliierten, nicht die Nationalsozialisten seien im Zweiten Weltkrieg die «eigentlichen Aggressoren» gewesen.

Eglin war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. In ähnlichen früheren Strafverfahren hatten sich Pnos-Exponenten mit unterschiedlichem Erfolg mit dem Argument verteidigt, sie seien für den Rassismus auf der Partei-Internetseite nicht verantwortlich. Anfang 2009 sprach das Bezirksgericht Aarau einen Verantwortlichen für die Pnos-«Weltnetzseite» frei, weil ihm die Verantwortung für den Onlineverkauf eines rassistischen Kalenders dort nicht nachgewiesen werden könne. Es sprach aber gleichzeitig den gesamten früheren schweizerischen Vorstand der Partei schuldig, weil die Exponenten gleichenorts ein rassendiskriminierendes Parteiprogramm publiziert hatten.

Posieren im Internet

Auch der in Basel angeklagte Philippe Eglin, der mit einem Teil der in Aarau Verurteilten zusammenarbeitet, ist vorbestraft. Ende 2007 hat ihn das Bezirksstatthalteramt Laufen wegen einfacher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 30 Franken verurteilt. Das Strafgericht Basel-Stadt muss nun entscheiden, ob diese bedingte Vorstrafe vollstreckt wird. Eglin ist in jüngerer Zeit mehrfach, insbesondere in Deutschland, als Redner an Veranstaltungen deutscher Rechtsextremer und Neonazis aufgetreten. Er posiert mit nacktem Oberkörper im Internet, damit sein «Eidgenosse»-Tattoo, das sich über den ganzen Rücken erstreckt, zur Geltung kommt.

Bei Novartis entlassen

Von seinem Arbeitgeber, dem Pharmamulti Novartis, hat der 22-Jährige unlängst den blauen Brief bekommen. «Als global tätiges Unternehmen in über 140 Ländern ist für Novartis Weltoffenheit und Respekt für den Menschen wichtig», schreibt das Unternehmen. «Dies bedeutet, dass wir Diskriminierungen aufgrund von Rasse, Geschlecht oder Religionszugehörigkeit nicht tolerieren.» Weil die Ansichten Eglins und die Ethik der Firma unvereinbar waren, habe Novartis das Arbeitsverhältnis aufgelöst.

Anne Frank starb zwei Monate vor Kriegsende, ausgehungert und geschwächt, im Konzentrationslager Bergen-Belsen an Typhus. Kommende Woche würde sie 81 Jahre alt.