Neonazi-Rocker griff orthodoxen Juden an

SonntagsZeitung: «Amok»-Sänger Kevin G. will am 1. August auftreten – die Schweiz steht am Samstag im Fokus der rechten Szene Europas

Zürich Die jungen Kerle johlen. Soeben haben sie einen ortho­doxen Juden erblickt. Der Mann Mitte 40 ist auf dem Heimweg von der Synagoge, als sie sich ihm an einer Strassenkreuzung in Zürich-Wiedikon in den Weg stellen. Es ist der 4. Juli, kurz vor 18 Uhr. Der Gläubige fragt, wo das Problem liege. Da spuckt der tätowierte Anführer der rund 20-köpfigen Gruppe ihm ins Gesicht und schreit «Scheissjude» und «Heil Hitler». Seine Kameraden feuern ihn an, strecken den Arm zum Hitlergruss aus. Jetzt schubst er den Juden, sagt ihm, dass er nach Auschwitz gehen soll. Erst als die von Passanten alarmierte Polizei eingreift, lassen die Männer ihr Opfer in Ruhe.

Die Stadtpolizei Zürich informierte bis heute nicht über den ­antisemitischen Übergriff. Sprecherin Judith Hödl bestätigt auf Anfrage zwar, dass es an diesem Abend zu Tätlichkeiten einer Gruppe Männer kam. Solange die Abklärungen laufen, könne man allerdings nicht mehr dazu sagen.

Recherchen zeigen: Der Angreifer, der den Juden gemäss mehreren Zeugen beschimpft, geschubst und angespuckt hat, ist Kevin G., 27. Er ist Sänger der Schweizer Neonazi-Band «Amok». Ihn hat die Polizei nach dem Übergriff kontrolliert und registriert, in einer provisorischen Strafanzeige ist er als Haupttäter aufgeführt. Der Rechtsextremist aus Hombrechtikon ZH war der Polizei bereits bekannt: G. ist unter anderem wegen Drohung, Rassendiskriminierung und Waffenbesitz vorbestraft.

Internationaler Anlass im Grossraum Zürich

Mit der Rechtsrockband «Amok» trat G. wiederholt an extremistischen Veranstaltungen auf. Sein nächstes Konzert soll just kommende Woche stattfinden. Unter dem Motto «Rock fürs Vaterland» mobilisiert das in Deutschland verbotene Neonazi-Netzwerk «Blood & Honour» zu einem internationalen Anlass im Grossraum Zürich. Neben Amok stehen prominente Bands aus Deutschland und England auf dem Programm.

Auch andere rechtsextreme Gruppierungen wollen den Nationalfeiertag für sich nutzen. In der Romandie plant der Schweizer Ableger der militanten Hammerskins einen Gross-Event mit Bands aus Portugal, Polen und Frankreich. Der genaue Ort wird bis zuletzt geheim gehalten. Bereits am Morgen des 1. August lädt die Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) zu einem «Buurezmorge» im Oberaargau. Alles deutet darauf hin, dass die Schweiz am Samstag zum Zentrum der europäischen Neonazi-Szene wird. Die Konzerte dürften mehrere Hundert Teilnehmer anlocken – auch aus dem Ausland.

Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) fordert die Behörden zu erhöhter Wachsamkeit auf, insbesondere nach dem Vorfall in Wiedikon: «Wir erwarten, dass die rechtsextremen Anlässe genau beobachtet werden und sofort eingegriffen wird, falls rassistisches oder antisemitisches Gedankengut verbreitet wird», sagt Generalsekretär Jonathan Kreutner. Was am 4. Juli passierte, mache den SIG «sehr betroffen».

Kevin G.s Opfer hat noch immer Angst. Der orthodoxe Jude will anonym bleiben, fürchtet weitere Attacken. Nach dem Zwischenfall in Wiedikon gab er zu Protokoll, dass er während der ­Pöbeleien an die Geschwister seiner Mutter denken musste. Sie wurden im Konzentrationslager Auschwitz von den Nazis vergast.