Nazisymbole werden nun doch nicht verboten

Der Bund vom 20.09.2011

Acht Jahre haben Parlament und Bundesrat um ein Verbot rassistischer Symbole gerungen. Heute begräbt der Ständerat die Vorlage definitiv. Strafrechtsprofessor Marcel Niggli spricht von einem «Skandal».

Daniel Foppa

Als Bundesrat Kaspar Villiger am 1. August 2000 auf dem Rütli eine Rede hielt, wurde er von einem rechtsradikalen Mob ausgebuht. In den Folgejahren zogen Neonazis immer wieder aufs Rütli, um die offizielle Nationalfeier zu stören. Unter ihnen waren auch Teilnehmer, die Nazisymbole wie die Reichskriegsflagge oder SS-Embleme offen zur Schau stellten. Die Empörung war gross. Die Politik ortete Handlungsbedarf, um eine Gesetzeslücke zu schliessen.

Ausgehend von einer Petition der Jugendsession 2003 erarbeitete die Rechtskommission des Nationalrats eine Motion zum Verbot rassistischer Symbole. Zwar ist die öffentliche Verwendung und Verbreitung solcher Symbole bereits aufgrund der seit 1995 bestehenden Antirassismus-Strafnorm verboten – jedoch nur dann, wenn damit für die entsprechende Ideologie geworben wird. Diese Bestimmung führt zu Abgrenzungsproblemen: Wirbt der Hooligan mit der Hakenkreuzfahne für die Naziideologie, oder provoziert er bloss? Und was ist mit dem glatzköpfigen Demo-Teilnehmer, auf dessen Jacke ein SS-Emblem prangt?Unter dem Eindruck der Neonaziprovokationen stimmten 2005 beide Räte der Motion zu. Auch der Bundesrat empfahl deren Annahme, wenngleich der damalige Justizminister Christoph Blocher erklärte: «Wir werden uns daran noch die Zähne ausbeissen.»

Blochers Verzögerungstaktik

Im Departement Blocher wurde die Arbeit an der Vorlage nicht prioritär weitergeführt. Dem Justizminister missfiel bereits die Antirassismus-Strafnorm. Während einer Türkei-Reise 2006 kritisierte er sie öffentlich, was ihm einen Rüffel seiner Kollegen eintrug.

Als die neue Vorlage schliesslich in die Vernehmlassung geschickt wurde, stimmte eine Mehrheit der Kantone und Verbände dem vorgesehenen Verbot zu. So begrüsste der Polizeibeamten-Verband «die Einführung eines Werkzeugs zur Bekämpfung dieses Phänomens, das unsere Gesellschaft und unsere Demokratie vergiftet». Gleichzeitig forderte er eine klare Bestimmung der Symbole, die verboten werden sollen. Mehrere Kantone und Parteien griffen diesen Punkt auf. SVP und die FDP lehnten die neue Strafnorm beispielsweise ab, weil sie zu wenig klar sei.2010 befand der Bundesrat schliesslich, auf die Strafnorm sei zu verzichten. Man könne zu wenig genau definieren, welche Symbole verboten werden sollen. Rechtsextreme würden nicht nur eindeutige Zeichen wie das Hakenkreuz oder den Hitlergruss verwenden, sondern auch andere Symbole und Codes. So steht die Zahl 88 für «Heil Hitler» (8 steht für den 8. Buchstaben des Alphabets), oder das Kleiderlabel Lonsdale wird getragen, weil die Buchstabenfolge an die Abkürzung NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) erinnert. «Eine neue Strafnorm würde zu Abgrenzungsproblemen zwischen nicht strafbarem und strafbarem Verhalten führen», hielt der Bundesrat fest.Diese Argumente und der Verweis auf die bestehende Antirassismus-Strafnorm überzeugten die Räte. Im Juni schrieb der Nationalrat die Motion ab, heute wird es ihm der Ständerat gleichtun.

An die Polizei delegiert

Für Marcel Niggli, Strafrechtsprofessor der Uni Freiburg, ist das Vorgehen der Räte «ein Skandal». Niggli ist Experte auf dem Gebiet der Antirassismus-Strafnorm und hat einen Kommentar dazu verfasst. «Mit seiner Verweigerungshaltung zementiert das Parlament die unbefriedigende Rechtslage und delegiert seine Verantwortung an die Polizei», sagt er.

Nach den Vorfällen auf dem Rütli habe ihn die Urner Polizei gefragt, was sie gegen Nazisymbole unternehmen könne. Diese Frage bleibe nun weiterhin offen. «Der einzelne Polizist muss entscheiden, ob jemand mit einem Nazisymbol wirbt oder ob er es bloss mitführt», sagt Niggli. Das führe zu einem fast unlösbaren Dilemma. Unternehme die Polizei nichts, werfe man ihr Untätigkeit vor – griffen die Beamten ein, heisse es, sie unterdrückten die Meinungsäusserungsfreiheit. Auch am Zoll stellten sich Probleme: «Ein Zöllner darf zum Beispiel Reichskriegsflaggen nicht konfiszieren, wenn der Besitzer vorgibt, er betreibe damit keine Propaganda.»

Heinz Buttauer, Präsident des Polizeibeamten-Verbands, teilt Nigglis Sorge: «Der Polizist kann in einem solchen Fall handeln, wie er will: Er steht so oder so in der Kritik.» Auch Buttauer hätte eine präzisere Gesetzesgrundlage begrüsst.

Laut Niggli ist es durchaus möglich, eine solche Strafnorm klar zu definieren. «Natürlich soll man keine Zahlenkombination wie 88 verbieten», sagt der Experte. Mit solchen Geheimcodes würden auch keine neuen Sympathisanten geworben. Mit dem Hakenkreuz oder mit SS-Zeichen hingegen schon: «Die öffentliche Verwendung dieser eindeutigen Zeichen kann man sehr wohl verbieten. Man muss es nur wollen.»

Rassistische Symbole sind verboten, aber nur, wenn damit für eine Ideologie geworben wird, nicht wenn sie «bloss» mitgeführt werden.