Nach vier Liter Bier schlugen sie zu

Aargauer Zeitung vom 16.3.2010

Zwei ehemals rechtsradikale Schweizer müssen für ihre gewalttätige Vergangenheit büssen

Das Bezirksgericht Lenzburg beurteilte die Schlägereien zweier junger Männer als gravierend. Dennoch konnte Gerichtspräsident Daniel Aeschbach nur eine Geldstrafe aussprechen.

Sabine Kuster

Schwer betrunken waren zwei Mitglieder der rechtsradikalen Szene im Ausgang jeweils gewalttätig geworden. Die zwei jungen Schweizer, ein Maurer und ein Zimmermann, standen letzte Woche wegen insgesamt zehn Vergehen von Dezember 2006 bis September 2007 vor dem Bezirksgericht Lenzburg.

Die heute 24-Jährigen präsentierten sich als geläutert und auf dem richtigen Weg. Der Maurer erschien mit seiner Freundin, mit der er seit fünf Jahren zusammen ist; der langjährige Arbeitgeber des Zimmermanns wohnte der Gerichtsverhandlung ebenfalls bei. Beide Angeklagten haben eine Antabus-Behandlung hinter sich – ein Wirkstoff, der eine starke Alkoholunverträglichkeit bewirkt. Der Maurer liess sich das Tatoo mit Hakenkreuzen übertätowieren und «SS» wegmachen, der Zimmermann löschte die unter der Nazi-Zahl «88» gespeicherten Adressen aus seinem Natel.

Sieben Anklagepunkte

Die ehemals guten Kollegen bekräftigten, sie hätten nicht nur keinen Kontakt mehr zur rechtsradikalen Szene, sondern auch nicht mehr zueinander. Doch ihre gewalttätige Vergangenheit führte die beiden am Dienstag noch einmal zusammen. Sie waren in sieben beziehungsweise acht Fällen wegen insgesamt acht Strafhandlungen angeklagt – unter anderem der mehrfachen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte und der mehrfachen einfachen Körperverletzung.

Zweimal hatten sich die damaligen Rechtsradikalen gemeinsam betrunken und waren gegen Punks und Ausländer massiv aggressiv geworden. Dabei scheint das politische Motiv weniger die Ursache gewesen zu sein als viel mehr die vier Liter Bier, die sie jeweils intus hatten.

Hitlergruss auf der Bühne

An der «Schlossgeisterfasnacht» in der Mehrzweckhalle Schützenmatte in Lenzburg im Januar 2007 waren die beiden mit rund 20 Kollegen der rechtsextremen Szene auf die Bühne gesprungen und hatten dort mit dem Hitlergruss provoziert. Dies kann ihnen nicht einzeln nachgewiesen werden, weswegen sie auch nicht angeklagt waren. Als die Polizisten die beiden jedoch identifizieren und auf den Posten mitnehmen wollten, rasteten sie aus und weigerten sich.

Die zweite Ausschreitung fand acht Monate später beim Aperto am Bahnhof Aarau statt. Die beiden Angeklagten verliessen an einem Sonntagabend die Bar Penny Farthing und gingen zur Bahnhofunterführung, im Wissen darum, dass nach dem Fussballmatch noch «etwas abgehen» könnte. Der Maurer erblickte eine Gruppe Punks und entschloss sich, den erstbesten über den Haufen zu rennen, sodass dieser zu Boden fiel. Der Angegriffene erlitt eine leichte Gehirnerschütterung und Prellungen. Dem Maurer wurde ausserdem vorgeworfen, einem anderen Punk eine Flasche an den Kopf geworfen zu haben.

Der Zimmermann seinerseits verfolgte einen der Flüchtenden und schlug diesen zu Boden, wobei er sich Prellungen zuzog.

Gegen Juden und Polizisten

Bei anderen Gelegenheiten betitelte der Maurer vorbeigehende Polizisten mit «Judenschweinen» oder zwang in einem Zug in Deutschland einen Mitfahrer gewaltsam, sein T-Shirt auszuziehen, auf dem «Good Night white Pride» (Gute Nacht weisser Stolz) stand.

Auch der Zimmermann wurde nicht nur an der «Schlossgeisterfasnacht» und vor dem Aperto in Aarau gewalttätig. Nach einem Fasnachtsball in Strengelbach schlug er einem israelisch-schweizerischen Doppelbürger die Faust ins Gesicht, sodass dieser blutete.

Angeklagte bereuen die Tat

Die Angeklagten zeigten sich für ihre Taten reuig. «Ich habe Scheiss gemacht, ich habe die Strafe verdient», sagte der Maurer. Der Zimmermann bilanzierte eher nüchtern: «Es hätte nicht sein müssen, dass ich so viel Polizeikontakt hatte», denn es sei mühsam, dass die Polizei ihn heute bei einer Kontrolle anders behandle als einen normalen Bürger. Er befürchtete, mit einer Freiheitsstrafe seinen langjährigen Job zu verlieren.

Bezahlen statt absitzen

Seinen Job wird der Zimmermann behalten können – allerdings wird er einen guten Teil seines Lohns für die Abzahlung der Strafe brauchen: Die beiden wurde in den meisten Punkten schuldig gesprochen. Der Antrag hatte in beiden Fällen auf 8 Monate unbedingte Freiheitsstrafe gelautet. Da der Einzelrichter jedoch beide gestern in einem bzw. zwei Punkten freisprach, musste das Strafmass reduziert werden. Da das Bundesgericht bei Strafen bis zu sechs Monaten keine Gefängnisstrafen zulässt, kommen die jungen Schweizer mit einer Geldstrafe weg. Der Zimmermann wurde mit 23000 Franken plus 200 Franken Busse, der Maurer mit 23400 Franken plus 500 Franken Busse bestraft. Die Hälfte davon müssen sie sofort bezahlen, die andere wird ihnen erlassen, wenn sie sich in den nächsten vier Jahren nichts zuschulden lassen kommen und sich ihre Entwicklung zu rechtschaffenen Bürgern bestätigt.