«Mit der Waffe und der Fahne in der Hand»

BaslerZeitung

Barbara Achermann

Werden Linksextreme nach dem Wahlsieg der SVP wieder öfters aufbegehren? Das Bundesamt für Polizei schreibt, es müsse in steigendem Masse mit gewalttätigen Aktionen gerechnet werden. Der Besuch einer Veranstaltung des Revolutionären Aufbaus zeigt: Die linksextreme Bewegung ist gewaltbereit, aber rückschrittlich.

Andrea Stauffacher senkt den Kopf, kneift die Augen zusammen und schaut über den Rand ihrer feinen Brillenränder in den vollgepackten Saal im Zürcher Volkshaus. Die 57-jährige Zürcherin ist von zierlicher Statur und wirkt in ihrem weiten roten T-Shrit mädchenhaft harmlos. Der Schein trügt. Stauffacher, die führende Exponentin und Gründerin des Revolutionären Aufbaus, ist radikal, sass mehrmals wegen Landfriedensbruch im Gefängnis und hat Verbindungen zu den Überbleibseln der Roten-Armee-Fraktion in Deutschland. Ihre Kollegin, die einstige RAF-Terroristin Inge Viett, wird später an diesem Abend zu Wort kommen.

«Ok. Wir fangen an.» Stauffachers Stimme ist tief, laut, bestimmt. «Kein Vergeben! Kein Vergessen!» lautet das Motto der Veranstaltung, die sie heute moderiert. Über 200 Leute sind im Saal versammelt, zwei Drittel davon Männer. Viele tragen schwarze Kaputzenjacken und Armeehosen mit Seitentaschen. Die meisten hier sind Mitte zwanzig, einige Alt-68er sitzen in den vorderen Reihen. Eine ganze Generation dazwischen fehlt.

erinnerung. Stauffacher hält eine Laudatio auf die «Genossinnen und Genossen in den Imperialistenknästen», so auf den Schweizer Öko-Aktivisten Marco Camenisch, der eine Zuchthausstrafe wegen eines Mordes an einem Grenzwächter verbüsst. Nur, Stauffacher spricht im Zusammenhang mit Camenisch nicht von Mord, sondern von willkürlicher Polizeigewalt. Der Saal lauscht andächtig.

Solidaritätsaktionen wie diese gehören seit Langem zum festen Bestandteil des Schweizer Linksextremismus. Im «Bericht innere Sicherheit der Schweiz» (2006) des Bundesamtes für Polizei steht, es sei dem Schweizer Linksextremismus gelungen, Themen zu finden, die immer mehr vor allem junge Menschen mobilisieren. Dazu gehört auch die Erinnerung an die zum Heldenepos stilisierte Geschichte des deutschen Linksterrorismus der 70er und 80er Jahre. Vergangenes wird anhand eines körnigen Diavortrags aufgerollt. Die Luft ist bald schon abgestanden, es riecht nach ungewaschenen Haaren. Der Diavortrag schweift ab, nach Vietnam, China, Lateinamerika. Trotz miserabler Ton- und Bildqualität, trotz repetitiver Inhalte und propagandistischem Duktus sitzt das Publikum gebannt, mit ernsten Mienen, ohne auch nur zu tuscheln.

Stauffacher bricht den Vortrag frühzeitig ab. Denn: Videoübertragungen zu Veranstaltungen in Stuttgart, Berlin und Brüssel sind geplant. Der deutsche Innenminister Schäuble hatte zuvor vergeblich versucht, die Gedenkaktion in Berlin zu verhindern. Aus Berlin sieht man trotzdem nur unscharfe Bilder und hört eine unverständliche Rede. Neben Stauffacher mühen sich junge Männer mit der Technik ab. Erfolglos. Stauffacher ist zunehmend genervt. Sie kann oder will es nicht mit Humor nehmen, Witz und Ironie scheinen in dieser Szenerie fehl am Platz.

Dann eben eine kurze Pause. Einige holen sich Büchsenbier vom Kebabladen nebenan, rauchen im Gang eine Zigarrette oder blättern im «Kapital» von Karl Marx. Manche reden über die Schafplakate der SVP und über die Krawalle in Bern. «Die ?NZZ am Sonntag? wollte mich interviewen, aber ich hab nicht geredet», sagt einer zu seinem Kollegen. Zwei junge Verkäuferinnen hinter dem Büchertisch brechen die ernsthafte Stimmung im Saal mit ihrem quirligen Geplapper. Die eine trägt grosse runde Ohrringe und flirtet hemmungslos. «Kommt ihr beiden mit uns beiden für ein Wochenende nach Paris?»

Gewaltpotenzial

Die Vorfälle im Bereich des Linksextremismus nahmen 2006 gegenüber dem Vorjahr um 62 Prozent zu, schreibt das Bundesamt für Polizei in seiner Lageanalyse der inneren Sicherheit. Die wichtigste und gewalttätigste linksextreme Gruppierung sei der Revolutionäre Aufbau Schweiz (RAS), dessen Gewaltbereitschaft generell steige. Während sich die Anwendung von Gewalt lange Zeit fast ausschliesslich gegen staatliche und wirtschaftliche Objekte mit hohem Symbolwert gerichtet habe, werde seit rund drei Jahren vermehrt Gewalt gegen Rechtsextreme und Polizisten angewendet.

Hausbesetzer

Das Bundesamt für Polizei schätzt, dass es in der Schweiz rund 2000 Linksextremisten gibt. In dieser Zahl seien Hunderte von Mitläufern und Sympathisanten des Schwarzen Blocks nicht berücksichtigt, die ein «beträchtliches Gewaltpotenzial aufweisen» und auch ohne ideelle Einbindung den Extremisten in die Hände arbeiteten. Anders als der Revolutionäre Aufbau ist der Schwarze Block keine Organisation, sondern eine heterogene Aktionsplattform. Er wird jedoch meist von der RAS gesteuert.

Der Schwarze Block zählt rund 850 Aktivisten, deren Durchschnittsalter bei zwanzig Jahren liegt. Sie stammen aus allen sozialen Schichten und aus der ganzen Schweiz, vorwiegend aber aus den Grossräumen Zürich und Bern. Einzig 4 Prozent der Akteure im Schwarzen Block stammen aus Basel-Stadt, 3 Prozent aus Baselland.

Tatsächlich ist auch die organisierte linksautonome Szene in Basel sehr klein. Ehemalige Hausbesetzer bestätigten der baz, dass es in Basel nur noch ein besetztes Haus gebe ? die Villa Rosenau in der Nähe des Grand Casinos.

Im Bericht zur inneren Sicherheit der Schweiz ist weiter zu lesen, dass die Linksextremisten auch in Zukunft Zulauf erhalten werden. Bei medienwirksamen Anlässen müsse in steigendem Masse mit gewalttätigen Aktionen gerechnet werden, wobei die Ordnungskräfte zusehends an die Grenzen ihrer Möglichkeiten stossen dürften.

Hardlinerin

Der Abend dauert nun bereits drei Stunden. Anführerin Andrea Stauffacher will weitermachen. Sie pfeift ins Mikrofon und drückt Inge Viett, die nun neben ihr sitzt, liebevoll den Arm. Inge Viett ist kein unbeschriebenes Blatt, sie ist eine Hardlinerin. Die 63-jährige Deutsche war lange Zeit Mitglied der Bewegung 2. Juni, die sich später mit der RAF zusammenschloss.

Viett war in Banküberfälle und in eine Entführung verwickelt und schoss 1981 in Paris auf einen Polizisten, der seither im Rollstuhl sitzt. Wegen versuchter Tötung sass die Terroristin jahrelang im Gefängnis. Schnell wird aber deutlich: Inge Viett bereut ihre Tat bis heute nicht.

Parolen

Wenn sie an diesem Abend über die Fehler des Linksterrorismus spricht, stellt sie einzig die interne Organisation der Bewegung infrage, nicht aber deren Gewaltaktionen. Inge Viett ist eine kleine, rundliche Frau, mit modischem Kurzhaarschnitt und einer angenehm warmen Stimme, die so gar nicht zum stets wiederkehrenden Wortpaar «bewaffneter Widerstand» passen will.

Viett sagt Sätze wie: «Die Bomben waren die richtige Antwort zur richtigen Zeit», sie spricht mit leuchtend roten Wangen von «sehr differenzierten Anschlägen», der «Solidarität in den Knästen» und von abenteuerlichen Ausbrüchen. Das tönt gefährlich, radikal, aber auch verstaubt.

Rückzug

Inge Viett, ja die gesamte Bewegung inklusive dem Revolutionären Aufbau, ist in den 70er Jahren stehengeblieben. Sie verwenden stets die alten Symbole, wiederholen die einstigen Parolen und Dogmen ohne diese in einen aktuellen Kontext zu stellen. Der gesamte Diskurs mutet verkopft und spröde an, und es werden keinerlei Anstalten gemacht, den Marxismus neu zu lesen, zeitgenössisch auszulegen.

Dennoch behaupet Viett, man befinde sich nun in einer Phase der Reflexion. Es gelte im Moment, den vollen Aufprall mit dem Feind zu vermeiden, sich neu zu besinnen. Es sei die Zeit des strategischen Rückzugs, um sich auf die kommende Revolution vorzubereiten ? «mit der Waffe und der Fahne in der Hand». Der Saal applaudiert minutenlang.