Mehr antisemitische Vorfälle in der Romandie

Berner Zeitung.

Koordinationsstelle gegen Antisemitismus fordert Aufklärung an Schulen gegen Verschwörungstheorien.

Als die Mitarbeiter einer Pariser Filiale der Imbisskette Bagelstein in der vergangenen Woche ihr Schaufenster ansahen, war es mit einem gelben Graffiti verschmiert, das nur ein Wort zeigte: «Juden». Der Antisemitismus in Frankreich ist wiedererstarkt. 541 Mal wurden 2018 antisemitische Übergriffe angezeigt, ein Anstieg um 74 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Nicht nur in Frankreich scheint die hässliche Fratze des Judenhasses zurückzukehren. Im vergangenen Dezember stellten in einer EU-Umfrage neun von zehn Juden in Europa einen deutlichen Anstieg von Antisemitismus fest.

Und in der Schweiz? Johanne Gurfinkiel, Generalsekretär der Westschweizer Koordinationsstelle gegen Antisemitismus und Verleumdung (CICAD), sagt: «Es gibt eine klare Zunahme an antisemitischen Vorfällen in der Romandie im Vergleich zu den Vorjahren.» 2017 verzeichnete die CICAD 150 antisemitische Vorfälle in der Romandie, wobei Äusserungen in sozialen Medien am häufigsten sind. Wie hoch die Zunahme im vergangenen Jahr genau war, will Gurfinkiel mit Verweis auf den bald erscheinenden Jahresbericht nicht bekanntgeben.

Verbreiteter rechtsradikaler Gruss

Im letzten Jahr seien es vor allem Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker gewesen, die für die Grosszahl der antisemitischen Vorfälle verantwortlich waren, sagt Gurfinkiel. Er fordert, dass vermehrt schon an Schulen gelehrt wird, welche Gefahren von Verschwörungstheorien ausgeht.

Mehrmals zeigten Menschen in der Romandie in den vergangenen Jahren den sogenannten Quenelle-Gruss, auch vor Synagogen. Bei diesem wird eine Hand auf den anderen, durchgestreckten Arm gelegt. Die Geste wurde durch den französischen Komiker Dieudonné popularisiert, der für antisemitische Aussagen berüchtigt ist.

Gurfinkiel: Politiker und Medien nehmen Judenhass nicht ernst

Die aktuellsten Zahlen aus der Deutschschweiz stammen aus dem Jahr 2017, für das der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) und die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) in einem Bericht 39 antisemitische Vorfälle verzeichneten. Zahlen zu 2018 liegen noch nicht vor. SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner sagt: «Massiv zugenommen haben antisemitische Äusserungen vor allem in den Sozialen Medien. Dort würden jüdische Stereotypen herumgereicht, Schmähungen geäussert und auch beschimpft und gar gedroht.»

«Politiker und Medien verharmlosen Antisemitismus», sagt Gurfinkiel. Symptomatisch sei eine RTS-Journalistin, die den Hass auf Juden als Teil einer allgemeinen Tendenz zur Diskriminierung bezeichnet habe. Man wolle sich nicht spezifisch mit dem Antisemitismus beschäftigen, der in Frankreich zu oft Mord bedeute.

Wie die Schweiz im internationalen Vergleich dasteht, ist schwierig zu beantworten. Die Berichte von SIG und CICAD beruhen auf Meldungen, eine offizielle Statistik fehlt. Die Dunkelziffer ist sehr wahrscheinlich gross. Der Genfer Gurfinkiel ist teilweise mit Leibwächter unterwegs, «zum Glück nur sehr selten», wie er sagt.