«Dönermorde»: Deutschland verlangt von der Schweiz Rechtshilfe

SonntagsZeitung vom 18.12.2011

In einem vertraulichen Brief bestätigt der Nachrichtendienst Beziehungen eines ehemaligen Pnos-Mitglieds nach Zwickau

Bern Die deutsche Generalbundesanwaltschaft bereitet im Zusammenhang mit den Neonazimorden ein Rechtshilfegesuch an die Schweiz vor. Das bestätigt ein Sprecher der obersten Strafverfolgungsbehörde Deutschlands gegenüber der SonntagsZeitung. Ein Gesuch sei momentan in Bearbeitung. Dieses betrifft vorläufig vor allem die verwendete Waffe, mit der die Mitglieder der rechtsradikalen Zwickauer Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) mindestens neun Morde begangen haben.

Die Tatwaffe, eine Pistole des Typs Ceska 83, wurde 1993 von einem Waffenhändler in Derendingen SO aus Tschechien importiert und an einen inzwischen verstorbenen Fachhändler weiterverkauft. Von dort aus gelangte sie auf noch unbekanntem Weg nach Deutschland, wo sie bei den «Dönermorden» eingesetzt wurde.

Kontakte mit Gleichgesinnten in Deutschland und Österreich

Ungeklärt sind die Beziehungen von Schweizer Rechtsradikalen zum Umfeld der Zwickauer Terrorzelle. In einem vertraulichen Schreiben an alle Schweizer Polizeikommandanten bestätigt Paul Zinniker, der stellvertretende Direktor des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), dass Schweizer Rechtsextreme Kontakte mit Gleichgesinnten in Deutschland und Österreich unterhalten. «Sofern bekannt, findet über die Reisebewegungen ein Informationsaustausch zwischen dem NDB und seinen ausländischen Partnern statt», heisst es im Schreiben, das der SonntagsZeitung vorliegt. Laut dem NDB-Vize sind die länderübergreifenden Kontakte unter Rechtsextremen «lose und wenig strukturiert». Der Nachrichtendienst bestätigt im Schreiben Auftritte des ehemaligen Schweizer Pnos-Mitglieds Mario F. vor Rechtsextremen in Zwickau und Friedrichshafen.

Laut Sicherheitsbehörde stören Rechte nur punktuell

In seiner Stellungnahme weist der Nachrichtendienst des Bundes die Kritik zurück, er überwache die rechtsextremistische Szene unzureichend. Der Vorwurf wurde laut, nachdem die SonntagsZeitung über den Inhalt der vertraulichen sogenannten Beobachtungsliste berichtet hatte (siehe Kasten). Rechtsextreme Organisationen sind in der Liste nur auf einer von 20 Seiten aufgelistet. «Die Beobachtungsliste ist keine abschliessende Aufzählung der vom NDB beobachteten Organisationen und Gruppierungen», schreibt Zinnniker. Sofern eine Organisation Gewalt befürworte oder anwende, könne sie vom NDB «bearbeitet» werden.

Rechtsextreme bedrohten die innere Sicherheit der Schweiz nicht, schreibt Zinniker, punktuell könnten sie aber Ruhe und Ordnung stören, und im Rahmen von Polizeieinsätzen entstünden immer wieder hohe Kosten. Fabian Eberhard, Martin Stoll

Nachrichtendienst lässt wegen Leck ermitteln

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hat «wegen unerlaubter Weitergabe von klassifizierten Unterlagen» eine Strafanzeige eingereicht, nachdem die SonntagsZeitung am 20. November über den Inhalt der vertraulichen Beobachtungsliste berichtet hatte. Die Anzeige richte sich gegen Unbekannt, schrieb der NDB drei Tage nach der Publikation allen Schweizer Polizeikommandanten. Auf der Liste verzeichnet werden seit Jahren die Vereinigungen, die der NDB vorrangig überwacht. Sie wurde das erste Mal publik.