«Ich wollte es wissen»

Bund

Ein junger Historiker publizierte 2004 in englischer Sprache seine Dissertation über Geheimarmeen der Nato. Das Buch von Daniele Ganser wurde in zehn Sprachen übersetzt und ist jetzt auf Deutsch erschienen.

Kleiner Bund: Daniele Ganser:

Herr Ganser, verstehen Sie sich als Enthüllungshistoriker?

(Lacht.) Den Ausdruck habe ich noch nie verwendet. In der Zeitgeschichte stehen mir zwei Quellengruppen zur Verfügung: die Quellen, welche Historiker auswerten, und das, was investigative Journalisten wie der Amerikaner Seymour Hersh veröffentlichen. Mich interessiert beides, wenn es hilft, die Geschehnisse der Vergangenheit auszuleuchten.

Ihr grösstes Problem bei einem Thema wie verdeckte Kriegsführung waren die streng geheimen Dokumente. Ihr Doktorvater Georg Kreis war angesichts der dürftigen Quellenlage skeptisch. Glaubte er, so ein Thema sei für einen 28-jährigen Doktoranden zu ambitioniert?

Er wies mich darauf hin, dass ich bei einem so brisanten Thema nicht an die relevanten Quellen der Geheimdienste herankommen würde. Ich kann mich erinnern, wie ich niedergeschlagen nach Hause ging. An einer zweiten Sitzung mit Kreis erwähnte ich ein Dokument des italienischen Geheimdienstes aus dem Jahr 1959??das einzige Originaldokument, das Ihnen zur Verfügung stand?und sagte ihm, dass es von der historischen Forschung bislang nicht ausgewertet worden sei. Das Dokument verweist auf einen Aspekt, der in allen Standardwerken über die Nato unerwähnt ist.

Was stand in diesem Dokument?

In diesem Dokument sind die wesentlichen Strukturen dieser Geheimarmeen definiert: ?In Italien hiess sie Gladio, ihre Aufgabe bestand darin, bei einem Notfall als Guerillaarmee aktiv zu werden und Widerstand gegen die Invasoren, sprich: die Rote Armee, zu leisten. Dem Dokument ist auch zu entnehmen, dass die Geheimarmeen vom US-Geheimdienst CIA und vom britischen MI6 aufgebaut wurden. Ich hielt mich auch an die parlamentarischen Untersuchungsberichte in Italien, Belgien und in der Schweiz?.?.?.

.?.?.?wo 1990 im Zuge der Fichenaffäre die Geheimarmee P26 enttarnt wurde.

Die Schweizer Geheimarmee war für mich eher ein Seitenthema. Mich interessierte stärker die Nato und der Kalte Krieg. Aber ich fand es höchst interessant, dass die Bestätigung einer Geheimarmee durch den italienischen Premierminister Andreotti 1990 mit der Arbeit der PUK in der Schweiz zusammenfiel. In der neutralen Schweiz vertrat allerdings der Bundesrat eisern die Position, die P26 habe keine Verbindung zur Nato unterhalten.

Der geheime Teil des sogenannten?Cornu-Berichts ist aber weiterhin gesperrt?.?.?.

Ja, ich habe im Interesse der Forschung Einsicht verlangt, aber das Parlament hat dies nicht zugelassen. Wenn im Cornu-Bericht nichts steht, das das Bild eines neutralen Landes erschüttern könnte,verstehe ich nicht, warum ich diese Daten nicht auswerten darf.

In Ihrem Büro hängten Sie eine Weltkarte an die Wand, um Hinweise auf Geheimarmeen mit Stecknadeln zu markieren. Gerät man da in einen Forschungsfuror?

Ja, andererseits hatte es auch eine Kehrseite. Je mehr Hinweise auf Geheimarmeen in anderen Nato-Ländern ich feststellte, desto mehr Arbeit bürdete ich mir auf. Ich musste Unmengen von Sekundärliteratur zu all den Nato-Staaten verarbeiten, das war anstrengend.

Fühlten Sie sich manchmal wie in einem Polit-Thriller: Ein unerschrockener Wahrheitssucher betritt eine Parallelwelt?

Ich war in den USA und in England und kommunizierte dort mit einigen Vertretern der Geheimdienste ? wenn auch ohne nennenswerte Resultate. Es gab in wesentlichen Punkten eine Mauer des Schweigens. In die Türkei etwa wäre ich nicht gegangen. Dort hatten Journalisten Enthüllungen über verdeckte Aktionen der Konter-Guerilla gegen Kurden mit dem Leben bezahlt.

Die Nato haben Sie vor Beginn Ihrer Recherchen wohl kaum mit Geheimarmeen in Verbindung gebracht?

Nein, überhaupt nicht. Im Gymnasium lernte man, dass die Nato seit ihrer Gründung stets Europa stabilisiert habe. Ich hätte nie gedacht, dass die Nato gleichzeitig das Gegenteil betrieb und Europa im Geheimen destabilisierte. Was ich als Friedensforscher moralisch inakzeptabel finde, ist inszenierter Terror. Diese «Stay-behind-Armeen» waren im Rahmen einer «Strategie der Spannung» mit Rechtsextremen in Verbindung, die Attentate und Anschläge ausführten, um dem politischen Gegner, den Linken, die Urheberschaft in die Schuhe zu schieben. In Italien sollte das Volk durch die Anschläge dazu gebracht werden, den Staat um grössere Sicherheit zu bitten, sprich: um mehr Überwachung und um den Abbau von Bürgerrechten.

Sie zeigen auf, dass viele dieser Nato-Geheimarmeen beides waren: Widerstandsnetzwerke und gleichzeitig eine Quelle des Terrors mit Beteiligungen an Staatsstreichen und Attentaten.

Diese dunkle Seite des Westens wird bis heute an den Universitäten kaum unterrichtet. Man kann es mit einer Familie vergleichen, die einen alkoholkranken Elternteil hat, aber niemand will es wahrhaben, geschweige denn darüber reden. Nato- oder CIA-Terror sind Tabuthemen. Dabei ist die Debatte über die Macht der Geheimdienste zwischen der Forderung nach Transparenz und zwingender Geheimhaltung von unverminderter Aktualität.

Hat das Buch Reaktionen ausgelöst?

In Griechenland wurde ich zu einer Debatte mit ehemaligen Verteidigungsministern eingeladen, in der Türkei wurde das Buch in den Medien intensiv diskutiert, in Luxemburg hat das Parlament sogar eine Untersuchung eingeleitet. Und das US- Aussenministerium hat auch reagiert und mir vorgeworfen, ich hätte ein von den Sowjets gefälschtes Dokument verwendet. In diesem Dokument stand, dass US-Militärs hin und wieder terroristische Anschläge inszenieren sollten, um ein Land von der kommunistischen Gefahr zu überzeugen. Namhafte CIA-Experten sind von der Authentizität des Dokuments überzeugt.

Der Abschluss Ihrer Dissertation fiel mit den Anschlägen vom 11. September 2001 zusammen?.?.?.

.?.?.?ich wurde vom Thema gewissermassen eingeholt. Von 1997 bis 2001 hatte ich im Rahmen meiner Doktorarbeit zu inszeniertem Terror geforscht. Viele sagten mir in dieser Zeit mitleidig, das sei doch nach dem Ende des Kalten Krieges abgehakt. Unmittelbar nach dem 11. September 2001 avancierte ich jedoch fast über Nacht zum begehrten Experten. Plötzlich hiess es, ich hätte doch untersucht, wie Regierungen Terror gegen die eigene Bevölkerung einsetzten. Verschiedene Leute traten an mich heran mit Hinweisen und Aufforderungen, in der Öffentlichkeit Stellung zu nehmen. Letztlich sei doch nur das Feindbild Kommunist gegen das Feindbild Islamist eingetauscht worden.

Besteht die Gefahr, dass Sie selbst in den Ruf eines Verschwörungstheoretikers geraten?

In dieser Form wurde ich schon angegriffen, ja, aber das ist ja noch kein Sachargument, also nehme ich das nicht allzu ernst. Denn man darf nicht aus Angst die Forschung einschränken, das wäre das Ende für die Friedensforschung. Wichtig ist zu realisieren, dass der 11. September so oder so eine Verschwörung ist, nämlich eine geheime Absprache von zwei oder mehr Menschen. Entweder haben Bin Laden und seine Leute Bush wirklich überrascht, das wäre die offizielle Verschwörungstheorie, oder die USA haben die Anschläge bewusst zugelassen oder selber inszeniert, das sind die alternativen Verschwörungstheorien. Ich lege mich nicht fest, welche stimmt. Aber man muss alle untersuchen. Meine Arbeit zu den Nato-Geheimarmeen hat gezeigt, dass es möglich ist, eine Verschwörung über lange Jahre aufrechtzuerhalten.

Auf die Frage, wie wir aus der Spirale von Angst, Gewalt und Manipulation aussteigen könnten, geben Sie im Buch eine erstaunliche Antwort: Jeder Mensch sei aufgerufen, eine Kultur der Vergebung und Versöhnung zu leben. Das klingt wie eine der historischen Studie angehängte Predigt.

(Lacht.) Mein Vater war Pfarrer, vielleicht kommt das daher. Jeder Mensch reagiert auf eine sich verändernde Welt anders; viele rutschen in einem Klima der Paranoia in die Angst und Gewalt ab. Meine Friedensforschung brachte mich aber zur Einsicht, dass sich der Einzelne aus der Gewaltspirale lösen kann. Ich kann jeden Tag entscheiden, ob ich mich durch Angst dominieren lassen oder angstfrei leben will. Ich kann das auch an mir beobachten, weil die von mir bearbeiteten Themen ja sehr heikel sind, auch für die Universität.

Sie riskieren Ihre akademische Karriere?

Ich könnte mit einer vorsichtigeren Wahl meiner Forschungsgebiete einen ruhigeren Weg beschreiten. Aber immer wenn man sich der Angst beugt, wird man schlechter und verliert an Energie.

Erhielten Sie schon Ratschläge, sich im Interesse Ihrer Karriere weniger kontroversen Forschungsgebieten zuzuwenden?

Ja, einige Kollegen haben sich schon so geäussert, es sind aber eher die Ängstlichen. Viele andere Professoren betonen, solche Forschungen würden der Wissenschaft Glaubwürdigkeit zurückgeben. In erster Linie mache ich Friedensforschung. Und da gehört es nach meinem Verständnis dazu, Kriegspropaganda und Manipulationen zu untersuchen. Das muss auch in einem universitären Rahmen möglich sein.