Hat das Toggenburg bald einen König? In Wattwil planten Reichsbürger ein Seminar für Systemaussteiger

Tagblatt. In Wattwil sollte ein zweitägiges Seminar für Systemaussteiger stattfinden, organisiert von Vertretern des Reichsbürgerstaats Königreich Deutschland. Durch die Anfrage dieser Zeitung alarmiert, sagte der Mieter des Lokals die Veranstaltung kurzfristig ab. (Enrico Kampmann, tagblatt.ch 25.11.2022)

Im Toggenburg buhlt ein neuer König um Untertanen. Mit gewissem Erfolg, wie es scheint. An diesem Wochenende sollte in Wattwil ein «Systemausstiegsseminar» von Vertretern des Reichsbürgerstaats Königreich Deutschland (KRD) stattfinden. Aufgeschreckt durch die Recherchen dieser Zeitung, sagte der Mieter des Lokals die Veranstaltung am Freitagabend kurzerhand ab. Laut eigenen Angaben hatte er es seinerseits untervermietet.

Im Oktober hatten Vertreter des KRD bereits einen Vortrag in Uzwil organisiert. Offenbar fiel die Idee eines Fantasiestaats im Toggenburg auf fruchtbaren Boden. Das zweitägige Seminar an diesem Wochenende sollte gemäss den Veranstaltern das erste seiner Art in der Schweiz sein. Das «in der BRD beliebte Systemausstieg-Format» sei auf die Schweiz angepasst worden, «um echte Alternativen zu erschaffen».

Gemäss der Anmeldungs-Website sollten «verschiedene legale Ausstiegskonzepte aus dem destruktiven System vermittelt» werden. Für Einzelpersonen, Familien, Unternehmer, aber auch für ganze Gemeinden. «Auf Wunsch beginnen wir mit den ersten Schritten deines Ausstiegs gleich während der Veranstaltungen.»

Zwei Schlösser mit Spendengeldern gekauft

Anhänger der Reichsbürgerbewegung bestreiten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als legitimen und souveränen Staat und lehnen deren Rechtsordnung ab. Für den deutschen Verfassungsschutz zählt das KRD zu dieser Bewegung, wobei das KRD dies bestreitet.

In jedem Fall ist das KRD ein Sammelbecken für Esoteriker, Verschwörungstheoretiker, Rechtsradikale, Coronaleugner und Systemaussteiger aller Art. Und die Untertanen scheinen sich zu mehren. Wie der «Spiegel» im Sommer berichtete, ist der selbsternannte König von Deutschland, Peter Fitzek, auf Expansionskurs. Mit Spenden seiner Anhänger hat er bereits zwei Schlösser für 1,3 und 2,3 Millionen Euro in Sachsen gekauft und sucht nach weiteren Grundstücken für die Errichtung von autarken «Gemeinwohldörfern».

Das expandierende Königreich hat es nun bis ins Toggenburg geschafft. Veranstaltungsort des zweitägigen Ausstiegsseminars sollte das Vereinslokal AmGleis in Wattwil sein. Dort finden offenbar öfters Zusammenkünfte dieser Art statt. Anfang November konnte man dort den Event «Zeit für Wandel» besuchen, an dem gemäss einem Flyer mehrere bekannte Vertreter der Corona-Skeptikerszene anwesend waren. Darunter der Präsident der Massnahmengegner-Organisation Mass-Voll, Nicolas Rimoldi, und die St.Galler Naturheilerin Luzia Osterwalder. Im Dezember ist ein Auftritt des Satirikers Andreas Thiel geplant, einer der prominentesten Massnahmengegner des Landes.

Die Liegenschaft, in der sich das Lokal befindet, gehört der Heberlein AG, einem Textilunternehmen mit 180 Jahren Tradition in der Region. Aber diese hatte gemäss eigenen Angaben keine Kenntnis von der Veranstaltung. Am Freitag sagt Heberlein-CEO Martin Zürcher: «Wir haben erst heute von diesem Sachverhalt erfahren und werden diesen nun prüfen.»

Das Heberlein-Management distanziere sich klar vom Königreich Deutschland. Ob es Konsequenzen für den Mieter gebe, sei noch unklar. Der Mieter, der das Lokal seinerseits untervermiete, zog die Konsequenzen kurz darauf selbst und teilte Heberlein mit, dass er die Veranstaltung abgesagt habe. Gemäss Angaben Zürchers habe der Mieter auch von nichts gewusst.

Der König ist vorbestraft

Die angehenden Toggenburger Untertanen des Königs von Deutschland, Peter Fitzek, dürften wenig erfreut sein über die kurzfristige Absage. Doch vielleicht ist es besser so. Denn Fitzeks Umgang mit dem Geld seiner Anhänger war bisher keineswegs tadellos.

Das Landgericht Halle verurteilte ihn 2017 wegen Verstosses gegen das Kreditwesengesetz sowie Veruntreuung zu drei Jahren und acht Monaten Haft. Gemäss dem «Spiegel» soll er zwischen 2009 und 2013 eine sogenannte Kooperationskasse betrieben und darüber Anlagegeschäfte abgewickelt haben. Fast 600 Menschen zahlten insgesamt rund 1,7 Millionen Euro auf Sparbücher ein. Von dieser Summe soll Fitzek gemäss der Staatsanwaltschaft 1,3 Millionen für eigene Zwecke verwendet haben, schreibt der «Spiegel». «Der Verbleib des Geldes ist unklar.»

Der sächsische Verfassungsschutz warnt explizit davor, dem KRD Geld zu überweisen. Es fehlten die rechtlichen Grundlagen, dieses zurückzufordern. Wer Fitzek seine Ersparnisse anvertraue, gerate in den Strudel extremistischer Ideologien und Verschwörungstheorien, schrieb der Präsident des sächsischen Verfassungsschutzes, Dirk-Martin Christian, im März in einer Art Warnschreiben an Kommunalpolitiker.

Fitzek, auch bekannt als Peter der Grosse, liess sich 2012 bei einer pompösen Zeremonie – komplett mit Reichsapfel, Zepter, Krone und sogar einem roten Umhang mit Hermelin-Pelz, wie man ihn aus Kinder-Zeichentrickfilmen kennt – vor rund 600 Anhängern zum König von Deutschland krönen. Auf seinem Hoheitsgebiet, einem alten Krankenhausgelände, das sich in Wittenberg in Sachsen-Anhalt befindet, gelten die Gesetze der BRD nicht mehr. Zumindest laut Fitzek.

Der gelernte Koch und seine Anhänger gründeten eine eigene Bank sowie Krankenkasse, Rentenkasse, Währung und Kennzeichen und gaben sich eine eigene Verfassung. Sie garantiert unter anderem «ein dauerhaftes Verbot von Steuern» und «ein verschuldungsfreies Geldsystem ohne Zinseszinseffekt».

Totale Kontrolle und die «Reduzierung der Menschheit»

Was die Anhänger Fitzeks noch so umtreibt, ausser Steuern, zeigt ein Blick in die Seminarbeschreibung auf der Website des KRD. Dort steht, es werde immer ungemütlicher in den bestehenden Systemen. Der «geplante grosse Umbruch, hin zu einer bargeldlosen Tyrannei», werde unter dem Deckmantel angeblicher Pandemien und Krisen von den Regierenden zielgerichtet und beständig vorangetrieben. «Ziel der destruktiven Machteliten ist die bargeldlose Gesellschaft totaler Kontrolle und Abhängigkeit eines jeden, die Zerstörung von Freiheit und später die Reduzierung der Menschheit.»

Ist das Bargeld erst einmal abgeschafft, werde die Masse dann mit Hilfe künstlicher Intelligenz, 5G, automatisch vom Konto abgebuchter Steuern und mit dem geplanten und in China schon erprobten Sozialpunktesystem gesteuert und versklavt. «Alle Möglichkeiten eines Ausweichens aus der Tyrannei sind dann dahin.»

So sei es schliesslich auch in der Bibel prophezeit worden. In der Offenbarung des Johannes, Kapitel 13, um genau zu sein.

Wie man dem Untergang entrinnt, hätten die Anwesenden am zweitägigen Ausstiegsseminar in Wattwil gelernt, «beispielsweise mit der Eröffnung eines steuer- und erklärungsfreien Betriebs im Rahmen des KRD». Und das für schlappe 700 Euro.