Gummischrot als Ablenkung

bz Zeitung für die Region Basel

Zwei Jahre nach der Basel-Nazifrei-Demo sind neue Videoaufnahmen aufgetaucht, welche die Kritik an der Polizei befeuern.

Silvana Schreier

«Die Steine wären nicht geflogen, wenn wir nicht Gummi gegeben hätten.» Diese Aussage soll von einem Basler Polizisten stammen, der im November 2018 Teil des Polizeieinsatzes an der unbewilligten Basel-Nazifrei-Kundgebung war. Zusammen mit mindestens einem weiteren Polizisten filmte er vom Messeturm aus die Demonstrierenden. Als die Einsatzkräfte unten auf der Strasse Gummischrot einsetzten. Die observierenden Beamten scheinen davon überrascht zu sein. «Das ist nicht gut», sagt einer. Er finde das kein gescheites Ablenkungsmanöver. «Ja doch, damit die anderen hinten wegkommen», sagt der Kollege und meint die Teilnehmenden der Veranstaltung der rechtsextremen Partei Pnos. «Aber schau, was jetzt abgeht», sagt wiederum der erste Polizist.

Das Video wurde von der Gruppierung Basel Nazifrei in den sozialen Medien verbreitet. Es sei den Aktivisten zugespielt worden. Auf Nachfrage bestätigt die Gruppierung, dass das Material aus den Ermittlungsakten der Gerichtsverfahren stammen. Die Basler Polizei teilt auf Anfrage der bz mit, keine Stellungnahme dazu abgeben zu können, da «es sich um Verhandlungsmaterial zu laufenden Verfahren zu handeln scheint».

War der Polizeieinsatz gerechtfertigt?

Die Basel-Nazifrei-Demonstration sorgt seit Monaten für Schlagzeilen. Damals wollten Teilnehmende eine Kundgebung der Pnos verhindern. Ihre Gegendemo war jedoch nicht bewilligt. Bei den Ausschreitungen wurden mehrere Personen – unter anderem durch Gummischrot – darunter auch Polizeibeamte, verletzt. Derzeit laufen mehrere Gerichtsverfahren am Basler Strafgericht. Auch gegen die Polizei ist laut Staatsanwaltschaft eine Anzeige eingegangen. Diese sei noch hängig.

Der Basler Anwalt und SP-Grossrat Christian von Wartburg vertritt einen Demo-Teilnehmer vor Gericht. Deshalb hat er einen Zusammenschnitt des Videomaterials der Polizei erhalten, in dem es um seinen Klienten geht. Von Wartburg sagt: «Es gibt daneben noch unglaublich viel Material. Ich gehe davon aus, dass dieses Video mit dem Gespräch der beiden Polizisten echt ist.» Die Gruppierung Basel Nazifrei bestätigt auf Nachfrage, dass das besagte Material aus den Verfahrensdokumenten stammt. Von Wartburg sagt, als Verteidiger werde er im Verfahren seines Klienten «alles daransetzen, dass diese Aussagen geklärt werden».

Auf den Videos ist kurz vor dem Einsatz von Gummischrot durch die Polizei kein gewalttätiges Verhalten vonseiten der Demonstrierenden zu sehen. Scheinbar unvermittelt befiehlt der Einsatzleiter, dass Gummischrot verschossen werden solle. «Wenn diese Aktion tatsächlich zur Ablenkung stattfand, ist dies hochproblematisch und muss untersucht werden», so von Wartburg.

So schrieb die Basler Regierung in der Antwort auf eine schriftliche Anfrage 2016, dass die Polizei die ihr zur Verfügung stehenden Kollektivmittel – etwa Gummischrot und Tränengas – mit grosser Zurückhaltung und nur dann einsetze, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung stehe. Gemäss dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Die Mittel würden dabei, so die Basler Regierung, als Distanzmittel oder zur Auflösung von Ansammlungen dienen. Der Einsatz von Gummigeschossen einzig zur Ablenkung wäre deshalb «wohl klar unverhältnismässig», so von Wartburg.

«Warum hat man rund 60 Prozesse gegen Beteiligte eröffnet, aber nicht mit gleicher Akribie das Handeln der Polizei untersucht?», fragt von Wartburg. Wenn das Video bereits Teil des Materials in den Ermittlungsakten war, hätte die Staatsanwaltschaft seit längerem davon gewusst. «In diesem Fall muss geklärt werden, ob es auch eine sorgfältige Untersuchung des Polizeieinsatzes gegeben hat. Wenn nicht sind auch politische Konsequenzen gefragt.»

Die Gruppierung Basel Nazifrei plant am kommenden Samstag eine Demonstration, um auf die noch laufenden Gerichtsverfahren aufmerksam zu machen.

Wer hat angefangen? 2018 gerieten Polizei und Demonstrierende aneinander. Bild: Roland Schmid (24. November 2018)