Gitter und Psalmen

WochenZeitung

Gitter und Psalmen

1. August · Eine alte Wiese, ein neuer Steg, fröhliche Lieder und jede Menge Kontrollen – die Urschweiz in gemütlichen Ausnahmezustand.

Bettina Dyttrich

Die junge Frau mit Schweizerkreuz- T-Shirt hüpft vom Sitz hoch und winkt. Ein Mann mit dem gleichen Shirt, er sieht ein bisschen aus wie Christoph Blocher, hüpft ebenfalls und winkt zurück. Es ist kurz vor elf Uhr, der Zug hält im Bahnhof Arth-Goldau, der voller PolizistInnen in Demomontur ist, manche haben auch Gummischrotgewehre. Ein paar ältere Reisende wundern sich, bis einer von ihnen einfällt, das sei doch, weil letztes Jahr die Rede vom Sämi Schmid gestört worden war. Die zierliche alte Frau gegenüber meint, es sei gut, dass es endlich geregnet habe, und bei diesem Theater solle man den 1. August doch abschaffen. Der Zug hält in Schwyz.

In Schwyz müssen sich die JournalistInnen bei der Kantonspolizei melden. Wenn sie sich vorher per E-Mail akkreditiert haben, erhalten sie einen Badge, den sie bitte gut sichtbar tragen sollen. Die Kantonspolizei ist gut zwei Kilometer vom Bahnhof entfernt. JournalistInnen haben Autos, denkt die Kantonspolizei Schwyz.

Unbehelligte Nonnen

Der Bahnhof Brunnen sieht aus wie eine Neuauflage des Bahnhofs Fideris. Oder Landquart. Oder Zürich Altstetten. Zwei Meter hohe Metallabsperrgitter auf den Perrons, an der Unterführung, auf dem Bahnhofplatz. Der Ausgang ist einen Meter breit. Nonnen und Mütter werden unkontrolliert durchgelassen. Der junge Mann mit dem Berner Bär auf der Fahne hingegen nicht. Verdächtige, durchwegs jung, werden in den Unterführungen gefilzt, die Personalien aufgenommen. Man sieht wenig, der Bahnhof verschwindet hinter einer blauen Wand aus Berner und Aargauer PolizistInnen, die ihren Schwyzer KollegInnen zu Hilfe geeilt sind.

JournalistInnen und FotografInnen stehen gegenüber, in der vorübergehend aufgehobenen Bushaltestelle, suchen unter dem Dach Schutz vor dem Nieselregen und langweilen sich. Als sich die PolizistInnen noch enger zusammenziehen, weil sie einen jungen Glatzkopf mit Schweizerkreuz-T-Shirt näher untersuchen, versuchen die FotografInnen so nah wie möglich heranzukommen. Ein Polizist breitet seine Arme aus wie ein Vogel die Flügel und scheucht sie zurück.

Immer wieder kommen Grüppchen von PolizistInnen mit Jugendlichen, die sie im Dorf irgendwo gefunden haben, links aussehenden, rechts aussehenden, unklar aussehenden. 120 Personen seien bis Mitternacht aus Brunnen weggewiesen worden, wird die Polizei am Abend sagen. Vierzig hielten sich nicht an die Verfügung, wurden festgenommen und bekommen eine Anzeige. Ein Mannschaftswagen blockiert und kontrolliert die Hauptstrasse, verschwindet wieder. Eine Gruppe einheimischer, links aussehender Jugendlicher schimpft der Polizei hinterher, die sie schon wieder kontrolliert hat. «Komm, wir gehen Feuerwerk kaufen.» Die Polizei hat sich fein und sauber über das Dorf verteilt: hier ein Zürcher Wasserwerfer im Hinterhof, dort ein Berner Gittersperrfahrzeug vor der Garage, ein paar Mannschaftswagen auf dem öffentlichen, gesperrten Parkplatz. Die Feuerwehr, der Zivilschutz, die Securitas.

Dazwischen geht das Brunner Feiertagsleben ungestört weiter: Kinder zünden Frauenfürze, Väter bereiten den Grill vor. Ein Mann, als Wilhelm Tell verkleidet, wird von TouristInnen und Presseleuten fotografiert. Ein Dachskopf hängt an seinem Wams und starrt mit Glasaugen.

Die Wohnviertel von Brunnen sind ein planloses Gemisch aus Landigeist-Chalets, nüchternen Sechziger-Jahre-Bauten und postmodernen Türmlihäusern. Die JournalistInnen auf dem Weg zum Parkplatz gehen darin verloren und erinnern sich an ihre Kindheit, als sie selber Frauenfürze und bengalische Zündhölzer zündeten. Und nehmen, weil sie die Rütlifeier nicht verpassen wollen, schliesslich den Bus zum Fussballstadion.

Ein leeres Schiff

Wieder Gitter, zwei Korridore aus Gittern, die in Militärzelte münden. Hier werden alle, die die Sichtkontrollen im Dorf gemeistert haben, genauer untersucht. Alle müssen ihre Ausweise vorzeigen, die meisten auch ihre Rucksäcke. Einige unerlaubte Fahnen werden beschlagnahmt. Die Daten über all die kontrollierten unbescholtenen BürgerInnen seien entweder schon gelöscht oder würden jetzt dann sofort, sagt der Sprecher der Kantonspolizei am nächsten Tag.

Am Ende der Gitter wartet wieder ein Bus, der einzige Zugang zum extra für den 1. August gezimmerten Bootssteg beim Jachthafen. Er liegt etwa einen Kilometer Richtung Gersau, die Strasse ist für alle anderen gesperrt. Ziemlich leer fährt das Motorschiff Gotthard in einer grossen Schlaufe über den grünblau leuchtenden See. Beim Anlegen am Rütli fällt ein seltsames Ding auf, das wie ein Boiler aussieht und halb verborgen im Gebüsch steht. «Ist das der Bundesratsbunker?», fragt ein Jugendlicher mit Schweizerkreuz-T-Shirt. Die Luft riecht frisch nach Gras und Moos.

Die Rütliwiese erinnert an ein sehr kleines Openair. Der Infopolizist spricht von 1200 Personen, den hundertköpfigen Jugendchor und die JournalistInnen mitgezählt. Es sieht eher nach noch weniger aus. Die SVP-lerInnen sind nicht gekommen, scheint es, sie boykottieren den Festredner. Blasmusik, Fahnenschwinger, und alles erinnert die JournalistInnen wieder an die Kindheit. Auch der Jugendchor, der «Alperose» von Polo Hofer singt. Die Rütlikommission hat an alle gedacht.

Dann spricht alt Nationalrätin Judith Stamm, die Präsidentin der Rütlikommission. Sie freut sich, dass «unfriedliche Aktionen verhindert werden konnten» und dass «extremistische Gruppierungen» keinen Zutritt haben. Wie die Polizei unterscheidet sie nicht zwischen denen, die Naziparolen rufen, und denen, die das verhindern wollen. Dann singt der Kinderchor ein Lied von Patent Ochsner, ein Jugendlicher verliest den Bundesbrief. Und dann spricht Markus Rauh. Seine Worte gegen das neue Asylgesetz sind deutlich. Applaus. Nein, die SVP-lerInnen sind wirklich nicht gekommen.

Der einzige Ausweg

Anschliessend fordert der ehemalige Swisscom-Präsident mehr Kinder – und mehr Atomkraftwerke. Der einzige Ausweg, die einzige Möglichkeit angesichts von schwindenden Ölvorräten und Treibhauseffekt sei die Atomkraft. Sie sei sauber, umweltfreundlich und sicher, sagt Rauh, bekommt dafür aber viel weniger Applaus als vorher. Dann noch ein Votum für Europa, für den Weg in die EU. Schlussapplaus. Der Kinderchor singt jetzt «We Are the World». Die wenigen jungen Männer in patriotischer Aufmachung am Rand der Wiese schauen unzufrieden. Aber den Schweizerpsalm singen sie dann doch wieder mit. Manche können ihn sogar auswendig.

Am Abend sind die Gitter am Bahnhof immer noch da, nur die PolizistInnen sind jetzt weniger und aus Schwyz und unterhalten sich mit zwei linken Schwyzer Jugendlichen, Aktivisten vom Kulturzentrum «Himmel». Vier junge Männer mit Schweizer Fahne stehen ausserdem auf dem Bahnhofplatz, sehr sauber und sorgfältig gekleidet, sie predigen abwechselnd mit lauter Stimme von Jesus, und es solle dann am Jüngsten Gericht niemand sagen, er sei nicht gewarnt worden. Dazwischen singen sie den Schweizerpsalm, vierstimmig und sehr harmonisch. Sie haben offensichtlich lange geübt. ·

Von Brunnen nach Bern

Nach dem Rechtsextremen-Aufmarsch am letztjährigen 1. August wollte das Bündnis für ein buntes Brunnen am 1. August 2006 eine antifaschistische Platzkundgebung mit Strassenfest organisieren. Die Kundgebung sollte an einem zentralen Platz in Brunnen stattfinden, zum Beispiel am Quai. Der Gemeinderat weigerte sich, sie zu bewilligen, da die gewünschten Plätze «auf der allfälligen Marschroute eines rechten Aufmarsches» lägen. Offensichtlich war der Gemeinderat nicht bereit, eine Kundgebung gegen rechts mit einem Polizeiaufgebot zu schützen. Das Bündnis zog den Entscheid ans Schwyzer Verwaltungsgericht weiter, das die Bewilligung ebenfalls verweigerte, und weiter vor Bundesgericht. Dort ist die Sache immer noch hängig. Das Bündnis hat jedoch eine Bewilligung für eine Demonstration am kommenden Sonntag in Bern erhalten.

Antirassistischer Sonntagsspaziergang (bewilligt), So, 6. August, 14 Uhr, Schützenmatte Bern.

Antifaschistisches Festival mit Info- und Diskussionsveranstaltungen, Ausstellung und Konzerten vom 4. bis 6. August in der Reithalle Bern. www.antifafestival.ch