«Fan der Schweizer Demokratie»

NZZ am Sonntag: Für Frauke Petry, Parteichefin der rechtspopulistischen AfD, ist vor allem die SVP ein Vorbild

Die umstrittenste Politikerin Deutschlands hat am Samstag die Schweiz besucht. Weshalb sie und ihre Partei das hiesige Politsystem bewundern, erklärt Petry im Gespräch.

Prominenter könnte der Platz nicht sein. Als allererster Punkt, gleich nach der Präambel, ist im Programmentwurf der Alternative für Deutschland (AfD) zu lesen: Volksabstimmungen nach Schweizer Vorbild. «Ich war schon immer Fan der Schweizer Demokratie», schwärmt Parteichefin Frauke Petry im Interview. «Wir halten es für falsch, den Deutschen zu unterstellen, dass sie zu dumm für mehr direkte Demokratie sind.» Referenden auf Bundesebene sind in Deutschland bisher nicht möglich.

Was alles möglich wäre, sieht die AfD, der rechte Aufsteiger der deutschen Politik, an den Erfolgen der Schweizer Volkspartei (SVP). Mithilfe von Volksentscheiden den Bau von Minaretten zu verbieten und Ausschaffungen von Ausländern zu beschleunigen – das würde auch der AfD sehr gut gefallen. Ein deutlicher Anti-Islam-Kurs soll in das Grundsatzprogramm einfliessen, das am kommenden Wochenende verabschiedet wird.

An erster Stelle: die SVP

Die Schweiz gilt den deutschen Rechtspopulisten aber nicht nur bei der direkten Demokratie, sondern weit darüber hinaus als grosses Vorbild: von der Distanz, die die Schweiz zur EU hält, über die eigene Währung und die Asylpolitik bis zur Neutralität bewundert die AfD eigentlich alles. An erster Stelle: die SVP.

Geradezu auffällig sind die grossen Ähnlichkeiten bei den Themen und Formulierungen im neuen Programm. «Wir haben weder abgeschrieben, noch sind wir die Zwillingspartei der SVP», beteuert Petry: «Aber man orientiert sich natürlich gern an erfolgreichen Parteien. Auch das Potenzial der AfD liegt bei bis zu 30 Prozent.» Wenn sie einmal in ein Regierungsbündnis eintrete, dann «möchten wir nicht der kleine Koalitionspartner sein».

Petry bewundert besonders, wie in der Schweiz debattiert werde. «Das würde bei uns sofort im rechtsextremen Milieu verortet», klagt die aus Sachsen stammende Politikerin. «Wer in Deutschland sagt, dass wir mehr Kinder brauchen, gilt ja schon als rechtsradikal.» In der israelischen Zeitung «Yedioth Ahronoth» sagte sie jüngst sogar, dass die deutsche Politik «unter einem Schuldtrauma leidet» und eine «Denkdiktatur» entstanden sei.

Das deutsche Establishment habe die falschen Schlüsse aus der Nazi-Zeit gezogen. «Viele deutsche Politiker sind der Meinung, dass die beste Lehre aus der Vergangenheit sei, Deutschland in einem vereinigten Europa aufgehen zu lassen», kritisiert Petry. Sie aber wolle keine Europäerin, sondern Deutsche sein. «Wenn wir sagen, dass wir das nicht für den richtigen Weg halten, werden wir von allen etablierten Parteien als Nazis niedergeschrien.»

Doch die AfD hat auch selbst viel dazu beigetragen, dass sie als sehr weit rechts stehend und gefährlich für das politische Klima eingeschätzt wird. Petry sagte beispielsweise, im Notfall müsse an der Grenze auch geschossen werden, wenn Flüchtlinge versuchten, sie zu überqueren. Vizepräsident Alexander Gauland bezeichnet den Islam als «Fremdkörper» und warnte vor zu viel Mitgefühl beim Anblick von Flüchtlingen: «Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen.» Und Björn Höcke, AfD-Chef in Thüringen, schwadroniert gerne über den «lebensbejahenden afrikanischen Ausbreitungstyp» und die «tausendjährige Zukunft» für Deutschland.

Modell nicht übertragbar

Es wundert daher nicht, dass ein gewisses Misstrauen gegenüber der abstimmungsberechtigten Bevölkerung in Deutschland nie ganz verschwunden ist. Zumal die Deutschen – anders als die Schweizer, die immer zuverlässige Demokraten waren – Hitler demokratisch an die Macht wählten. Petry hält dagegen: «Man muss dabei auch das Versagen der anderen Parteien in der Weimarer Republik sehen, die eine Radikalisierung erst ermöglicht haben. Den Bürgern die Schuld in die Schuhe zu schieben und zu sagen, sie waren damals nicht demokratiefähig, greift zu kurz.» Die deutsche Geschichte habe Licht- und Schattenseiten. «Aber unsere Vergangenheit besteht nicht nur aus zwölf Jahren.»

Doch selbst wenn die heutigen Deutschen bei direkten Volksabstimmungen nicht zu Extremen neigten, ist dennoch fraglich, ob das Schweizer Modell funktionieren würde. In einem politischen System, das nicht wie das in Bern auf Konsens basiert, sondern auf Regierung und Opposition, könnten Volksentscheide zu einer Totalblockade führen. Daran aber, das räumt Petry ein, hat die AfD bisher noch nicht gedacht. «Alles andere als Volksentscheide würde ich jetzt erst einmal offen lassen», sagt sie. «Mir geht es um die Möglichkeit, die Parlamentarier dazu zu erziehen, die Öffentlichkeit stärker einzubinden.»

Auch sicherheitspolitisch strebt die AfD einen anderen Kurs an. So weit wie die neutrale Schweiz würde man zwar nicht gehen. «Wir verorten uns bisher im westlichen Militärbündnis», sagt Petry. Aber eben nur «bisher». «Wir sind mit der Ausrichtung der Nato sehr unzufrieden», so die Politikerin. «Die Nato war in den vergangenen Jahren zu häufig verlängerter Arm der geopolitischen Interessen der USA.» Deutsche Auslandseinsätze lehnt sie deshalb ab. «Die Bundeswehr muss nichts am Hindukusch oder am Horn von Afrika verteidigen.»

URS FLÃœELER / KEYSTONE

Petry in Interlaken

Diese Deutsche wird von der Auns geliebt

Grossen Beifall hat gestern Samstag in Interlaken die Vorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD), Frauke Petry, erhalten. Petry trat an der Mitgliederversammlung der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (Auns) als Hauptrednerin auf. Dabei forderte sie auch für Deutschland direktdemokratische Bürgerrechte nach Schweizer Vorbild. «Deutschland braucht schweizerische Verhältnisse», sagte Petry vor den laut Veranstaltern 900 Teilnehmern und fügte hinzu: «Bitte helfen Sie uns dabei!» Dafür erhielt sie wiederholt kräftigen Beifall.

Dem Schweizer Publikum riet Petry, sich auch weiterhin aus der EU herauszuhalten und den eigenen Weg zu gehen. Petrys wohlfeiler Rat: «Bleiben Sie standhaft!»