«Es ist gut, dass die Täter weg sind»

Der Bund

Mordfall von Allmen

Marcel von Allmen war einer von ihnen. Aber auch seine vier Kollegen, die ihn am27. Januar 2001 mit einem Rohr zu Tode schlugen und im Thunersee versenkten,gehörten dazu. Wie ist die Befindlichkeit der Jugendlichen auf dem«Bödeli»drei Jahre nach der Tat? Ein Augenschein.

Heidi Gmür Christine Brand

«Irgend einisch passiert no öppis.» Diese Angst habe sie immer gehabt, alsMarcel von Allmen mit «denen» zusammen war. Vor allem der Marcel M., dem habeman es schon zugetraut, der habe die anderen auch «mitgerissen». Die jungeFrau steht hinter der schweren Bartheke im schummrigen «Dickens», der Discodes Hotels Carlton, dort wo Interlaken aufhört und Unterseen beginnt. Es istein Samstagabend im März, man wartet auf Gäste. Sie sei befreundet gewesenmit «Vöni», sagt sie. Und: «Es ist gut, dass die Täter weg sind, das tönthart. Aber es ist das Letzte, den eigenen Kollegen umzubringen.» Sie sagt esnüchtern und erzählt doch so, als wäre es gestern erst passiert ? es seieben «gäng» noch ein Thema. Und dann sagt sie wieder: «Man schweigt lieber,um nicht alte Wunden aufzureissen.»

Das «Bödeli», gut drei Jahre nach dem Mord am 19-jährigen Marcel von Allmenaus Unterseen. Auf grausamste Weise hatte er im Januar 2001 sterben müssen.Weil er gerne plauderte ? und dabei das Schweigegelübde des «Ordens derarischen Ritter» brach. Nun stehen in Bern drei seiner früheren Kameraden vorGericht. Sie schildern, wie es damals war auf dem «Bödeli», erzählen vonden Pöbeleien, der Anmache durch die Ausländer. Vor allem «durch die Leuteaus dem Balkan», sagt der Hauptangeschuldigte Marcel M., «man hatte dasGefühl, man werde verdrängt». Es war eine Zeit, in der der Rechtsextremismusgenerell sehr präsent war. Schlagzeilen hatte damals auch der Aufmarsch derGlatzen am 1. August 2000 auf dem Rütli gemacht. Die Ordensmitglieder sahensich als Beschützer der «Bödeli»-Jugend. Und wurden schliesslich zuMördern.

Dieses Jahr feiert Unterseen sein 725-Jahr-Jubiläum. «Andere würden das nichtfeiern, aber wir feiern das», sagt Simon Margot ? so, als gälte es nochheute, den Zusammenhalt des Stedtlis zu demonstrieren, dasGemeinschaftsgefühl, das damals in seinen Grundfesten erschüttert worden war.Margot, der bodenständige Sozialdemokrat. Er hatte just im Jahr 2000 in einerKampfwahl ums Gemeindepräsidium den SVP-Kandidaten hinter sich gelassen undmusste nur wenige Wochen nach Amtsantritt hinstehen für sein Stedtli, für dassich plötzlich die ganze Schweiz interessierte. Inzwischen, sagt Margot, habedie Gemeinde aber auch verarbeitet. So, dass das Verbrechen nicht mehr dauerndpräsent sei, man aber doch stets wisse, was passiert ist. Im Festbuch«Geschichten und Geschichte um Unterseen» schreibt der 14-jährige SandroSalzano: «Viele Leute gehen nicht mehr in die Nähe der Ruine Weissenau, weildort im Januar 2001 ein Jugendlicher getötet wurde. Die Gründe dafür sindvielleicht: Respekt vor dem Ort, Furcht oder Angst vor Erinnerungen an das, waspassiert ist.»

Die Hüsi-Bar an der Postgasse in Interlaken füllt sich an diesem Samstagabendrasch mit Jugendlichen, der Töggeli-Kasten ist dauerbesetzt, eineelektronische Dartscheibe piept, ein paar Leute um die 30 jassen im«Oldies-Corner». An der Decke hängen Sporttrikots, auf Bildschirmen flimmerndie Eishockey-Play-offs ? und die Pogues spielen «Dirty Old Town», bevorwieder Mundart von Plüsch durch die Boxen schnulzt. Junge Jungs stehen vorviel Bier. Die Hüsi-Bar. Es ist letztlich ein Pub wie jedes andere auch. EinTreffpunkt der Dorfjugend. Es fällt auf, wenn jemand hereinkommt, der nichthierher gehört. Die Täter und das Opfer, Marcel von Allmen, sie hattenhierher gehört. Hier hatten sie sich zum Teil auch kennen gelernt.Und hierwurden zwei von ihnen verhaftet, es war der 23. Februar 2001, ein Freitagabend,als die Sondereinheit «Enzian» der Kantonspolizei Bern ins «Hüsi»stürmte, drei junge Männer zu Boden warf, ihnen Plastiksäcke über den Kopfstülpte und sie in Handschellen abführte. Zwei dieser Männer waren Marcel M.und Michael S.

Hinter der Theke steht Gery. Einfach nur Gery. Er trägt das Haar im Nackenetwas länger und er erinnert sich gut. Er ist der Chef des «Hüsi», das warer damals schon. Doch die Erinnerung gefällt ihm nicht besonders. Die Idee,seine Gäste zu befragen, noch weniger. Das seien neue junge Leute, diewüssten gar nicht mehr so genau, was damals passiert sei. Dafür erzählt er.Dass es «damals wirklich extrem war». Dass sich die Auseinandersetzungenzwischen einheimischen und ausländischen Jugendlichen aus dem ehemaligenJugoslawien gehäuft hätten. Da seien Jugendliche zusammengeschlagen wordenund sie hätten sich dann nicht gewagt, Anzeige zu erstatten. MitRechtsextremismus aber habe das nichts zu tun gehabt. Es sei viel über«Nazi-Zeugs» geschrieben worden, sagt Gery, «das gar nicht stimmte». DieTäter seien keine Nazi-Gruppe gewesen.

Bei der Hausdurchsuchung seiner früheren Gäste wurden nach der Tat Musik-CDsmit rechtsextremem Inhalt, Broschüren rechtsextremer Organisationen, einHakenkreuzkettenanhänger, eine Broschüre über SS-Rassenkunde, eineVideokassette «Hitlers Helfer ? Himmler der Vollstrecker», Hakenkreuzfahnenund etliches mehr gefunden. Sie planten, ein rechtsextremes Imperiumaufzubauen, Juden, Asylbewerber, Sozialdemokraten, alles, was nicht arisch undchristlich war, abzuschaffen.

Gery sagt dann, dass sich die Jungen auch heute noch schlagen würden. Und dasssie auch heute noch Leute hätten, «die eher rechtsextrem» seien. Ein grossesThema sei das auf dem «Bödeli» nicht. Aber man schaue auch nicht mehreinfach weg. Das spürten die Jugendlichen. «Sie trauen sich nicht mehr so»,bestätigt die junge Frau aus dem «Dickens». «Die Leute sind halt schongeschockt.»

Aus polizeilicher Sicht sei das «Bödeli» gegenüber vergleichbaren Regionen«nicht auffällig», sagt Peter Abelin, Pressesprecher der KantonspolizeiBern. Aus den letzten zwei Jahren seien auch keine Vorkommnisse bekannt, dieeiner rechtsextremen Szene zugeordnet werden könnten. Wie anderswo komme esaber auch in dieser Region gelegentlich zu «Raufereien» unter «Clans», diesich zum Teil «herkunftsbezogen»zusammensetzten. Konkret: Es gebe Gruppen vonPortugiesen, Kosovo-Albanern und Schweizern, wobei diese teilweise auchdurchmischt seien. Aus diesen Raufereien aber resultierten praktisch nieStrafanzeigen. Man habe die Szene im Auge, so Abelin, und engagiere sichzusammen mit der Arbeitsgruppe «Brücken» auch im präventiven Bereich; indemdas Gespräch mit den Gruppen gesucht werde; mit dem Ziel, «allfälligbestehende Konflikte zu entschärfen».

Die «Jugos», sagt ein 18-Jähriger, der sich im «Hüsi» eben ein paar Biergeleistet hat, die provozierten die Schlägereien manchmal sogar selber. Da seies auch gut möglich, dass «die Rechtsextremen» sie dann verprügelten,«aber dafür sind wir auch wieder ein paar von ihnen los». Nicht, dass erselber «so ein Ausländerfeindlicher» wäre, sagt er, als sein Freundinterveniert. Zu denen wolle er auch nicht gehören. Dass aber kahlgeschoreneJugendliche mit eindeutiger Kleidung regelmässig und auch an diesem Abend im«Hüsi» verkehren, das stört ihn nicht. Das stört auch Gery nicht.

«Es kommt vor, dass wir von Ausländern angepöbelt werden», sagt eine vonfünf 17- bis 18-jährigen Frauen, die gerade auf dem Weg ins «Hüsi» sind.«Das ist ein Problem.» Indes, räumt sie ein, es seien nicht nur dieAusländer, die sie «mit blöden Sprüchen anbaggerten». Männer, eben. Dieanderen kichern. «Angst aber haben wir keine.» Notfalls rufe man den älterenBruder. «Ich ignoriere die Ausländer einfach, wenn sie mich provozieren»,meint derweil ein 19-Jähriger, selbst «ein halber Italiener». Überhauptgeht man sich wenn möglich aus dem Weg. Im «Hüsi» trifft sich die Schweiz.Wenn sich ein Ausländer hierhin verirre, sagt einer, dann sei er schnellwieder weg. Die Ausländer, die träfen sich eher im «Black & White». Auf demWeg dahin sind auch die vier Asylsuchenden aus Jemen, vier junge Männer, diealle bereits den abschlägigen Entscheid in der Tasche haben. Probleme mitSchweizern? Sie winken ab. Und wenn, dann eher mit älteren Leuten, sagen sie,nicht mit den Jungen. Sie fühlten sich gut hier, Interlaken sei eine «guteStadt». Nur mit den Albanern, fügt einer an, da gebe es manchmal Probleme.

«Alles, was hier ist, fällt seither auf», sagt Sabina Stör von derJugendarbeit «Bödeli» und der Arbeitsgruppe «Brücken». Dabei seiJugendgewalt überall ein Schlagwort, betont sie, und «auf dem ,Bödeli? istes, wie es an allen Orten ist». Und wie andernorts auch, gebe es eben auch inUnterseen, auf dem «Bödeli» im Jugendbereich «eine angespannte Situation».Damals wie heute. Es sei vor allem die Sorge um die Zukunft, die unsicherenberuflichen Perspektiven, die vielen Jugendlichen sehr stark zu schaffenmachten. Das führe zu Unstimmigkeiten und könne letztlich Ängste undAggressionen auslösen. Klar auch, dass im Ausgang Leute aneinander gerieten,«das gibts», sagt Sabina Stör. Und dabei komme es sicher auch zu Reibereienzwischen ausländischen und einheimischen Jugendlichen. Eindeutigpolitisch-rassistisch motiviert aber seien diese nicht, glaubt sie. Vielmehrbiete sich die Herkunft halt einfach an, um sich abgrenzen zu können.

Mit Hinschauen allein, sagt sie, sei es aber nicht getan. Sie fordert auf, diedahinter stehenden Mechanismen, die Ängste der Jugendlichen zu sehen. Dazumüsste die Jugend aber an sich einen Stellenwert in der Gesellschaft, in derPolitik erhalten ?nicht nur dann, wenn sie quasi zu einem «Problem» werde.

Am Montag wird das Kreisgericht Interlaken-Oberhasli in Bern sein Urteil überdie drei älteren Täter fällen. «Hoffentlich», sagt die junge Frau hinterder Bar im «Dickens», «bekommen sie lebenslänglich.» Sagts, zündet sicheine Zigarette an und wendet sich einem anderen Gast zu. Das Thema istabgehakt.

[i] Das Urteil gegen Marcel M., Michael S. und Renato S. wird am 29. März inBern eröffnet. Der jüngste Täter wurde 2001 vom Jugendrichter wegen Mordesverurteilt.