Entsetzen über Trauerminute für einen Neonazi

Tages-Anzeiger. Der Chemnitzer FC liess zu, dass Hunderte im Stadion eines führenden Neonazis gedachten. Nach heftiger Kritik entlässt der Viertligist nun Angestellte.

Zur Trauerminute flimmerte das Bild eines stiernackigen Mannes über die Stadionleinwand, eines Hünen mit kantigem Schädel, Glatze und schweren Ohrringen: des an Krebs verstorbenen Thomas Haller. Fans des Chemnitzer FC hissten ein riesiges Spruchband, auf dem in Frakturschrift stand: «Ruhe in Frieden, Tommy». Dazu brannten Pyrofackeln. Hunderte junge und alte Anhänger hielten aus Solidarität ihre Schals in die Höhe, der Stadionsprecher ehrte den Toten mit einigen Gedenkworten. Während des Spiels gegen die VSG Altglienicke, das 4:4 ausging, führte der Chemnitzer Torschütze Daniel Frahn zu Ehren Hallers dann noch ein T-Shirt vor, auf dem stand: «Support your Local Hools».

Noch nie dagewesen

Es war eine schauerliche Aufführung, die sich am Samstagnachmittag in der drittgrössten Stadt Sachsens abgespielt hat. Eine, wie es sie nach Ansicht vonExperten im deutschen Fussball der Oberliga noch nicht gegeben hat. Eine, die noch nach Tagen die deutsche Öffentlichkeit aufwühlt.

Haller war nämlich nicht irgendein glühender Fan des Chemnitzer Fussballclubs, sondern ein weithin bekannter Hooligan und Neonazi. Er hatte in den 90er-Jahren zu den Gründern der Gruppierung «HooNaRa» gehört, die praktischerweise gleich im Titel trug, wen sie vereinte: Hooligans, Nazis und Rassisten. Mit seiner privaten Firma, in der er vor allem befreundete Rechtsextreme beschäftigte, war er jahrelang für die Sicherheit im Chemnitzer Stadion zuständig. Als «HooNaRa» sich 2007 auflöste, unterstützte Haller die Neonazi-Fanclubs «Kaotic» und «NS-Boys». Beide sind offiziell aus dem Stadion des Chemnitzer FC verbannt, werden aber inoffiziell geduldet.

Fan mit Rückhalt

Haller war im Club bekannt und beliebt, selbst die Fanbeauftragte, eine Lokalpolitikerin der SPD, beschrieb das Verhältnis mit ihm als «fair, straight, unpolitisch und herzlich». Der Club selbst verteidigte die Trauerminute zunächst als «Gebot der Mitmenschlichkeit», gleichzeitig behauptete er, es habe sich nicht um eine «offizielle» Gedenkfeier gehandelt – trotz sicht- und hörbaren Engagements von Fans, Betreuern, Spielern und Stadionsprecher.

Nach ersten lokalen Protesten prasselte mit ein, zwei Tagen Verspätung die Empörung aus ganz Deutschland über dem Club nieder. Politiker aus allen Parteien mit Ausnahme der AfD bezeichneten die Trauerminute als Schande, der Deutsche Fussball-Bund äusserte scharfe Kritik, die wichtigsten Sponsoren kündigten dem Viertligisten ihre Unterstützung auf.

Auch die Chemnitzer Stadtregierung distanzierte sich von jedem Rassismus. Im vergangenen August war es nach dem mutmasslich von Asylbewerbern verübten Mord an einem jungen Deutschen in Chemnitz bereits tagelang zu Aufmärschen von Rechtsradikalen und Neonazis gekommen, die nicht nur Deutschland aufwühlten, sondern ganz Europa alarmierten. Auch damals hatten die Hooligans von «Kaotic» zur Eskalation entscheidend beigetragen.

Torschütze Daniel Frahn führte zu Ehren Hallers ein T-Shirt vor, auf dem stand: «Support your Local Hools».

Konfrontiert mit der geballten Kritik, wechselte der Chemnitzer FC daraufhin seine Meinung und distanzierte sich nun von der Ehrung des Neonazis. Der Geschäftsführer des seit längerem von der Pleite bedrohten Clubs hatte schon am Sonntag sein Amt niedergelegt, am Montag entliess der Club die Fanverantwortliche, einen Pressemitarbeiter und den Stadionsprecher.

Der Spieler Daniel Frahn wurde mit einer Geldstrafe gebüsst. In den sozialen Medien distanzierte er sich von allen rechten Umtrieben. Er habe nicht gewusst, dass das T-Shirt mit dem «Hools»-Aufdruck «so tief in der Neonazi-Szene verankert» sei.

Seit Jahren Probleme mit Rechtsextremen

Zusätzlich reichte der Club Strafanzeige gegen unbekannt ein. Man sei vor dem Spiel bedroht worden, hiess es: Es würde zu schweren Ausschreitungen kommen, sollte die Trauerkundgebung im Stadion nicht zugelassen werden. Zudem behauptete der Verein, die Neonazis im Stadion seien vorwiegend von auswärts angereist.

Die Chemnitzer Polizei widersprach den Behauptungen umgehend. Von Drohungen sei vor dem Spiel keine Rede gewesen, vielmehr habe die Polizei ausdrücklich «Bedenken geäussert», einen Extremisten öffentlich zu würdigen.

Der Hooligan-Experte Robert Claus wies in einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» darauf hin, dass der Chemnitzer FC seit 30 Jahren ein Problem mit rechtsextremen Fans habe und keinesfalls jenes «Bollwerk gegen Rassismus» sei, als das er sich seit kurzem darstelle. Rechtsextreme Ultras gebe es zwar bei vielen Vereinen. Besonders an der Lage in Chemnitz sei, dass es zu diesen keinerlei Gegengewicht gebe – linke Ultras zum Beispiel, die sich gegen Diskriminierung einsetzten. Statt langfristig mit den Fans zu arbeiten, veranstalte der Club lieber einen Aktionsspieltag für Toleranz oder pinsle den Slogan «Chemnitz ist weder grau noch braun» auf den Mannschaftsbus. Das sei reine Symbolpolitik, die nichts nütze, so Claus.

Aktion auch in Zürich

Schliesslich wurde noch bekannt, dass es am letzten Samstag in mindestens zwei weiteren Städten zu Gedenkaktionen für Haller gekommen war: im brandenburgischen Cottbus – und in Zürich. Anhänger der Grasshoppers-Fangruppe «Blue White Bulldogs» zeigten im Letzigrund beim Spiel gegen die Berner Young Boys ein Transparent mit der Aufschrift «Ruhe in Frieden Thomas». Die Geste war bestimmt kein Zufall: Die Zürcher und die Chemnitzer Ultras sind seit Jahren befreundet und stehen einander mitunter bei Schlägereien gegen verfeindete Fangruppen bei – etwa gegen die des FC Zürich.