«Einen Gegenpol gegen Rechts bilden»

St. Galler Tagblatt

Ein Teilnehmer des vermummten Protestzuges vom vergangenen Freitagabend äussert sich zu den Absichten der Demonstranten

Flawil. «Gut, dass sich jemand wehrt und solche Dinge wie ein eingebranntes Hakenkreuz nicht schweigend hinnimmt.» Wer mit offenen Ohren durch Flawil geht, schnappt da und dort sol che Diskussionen auf.

Stefan Hauser

Das Nazi-Symbol bewegt Flawil, ebenso die Reaktion aus dem linken Lager. Doch zum positiven Grundtenor kommt bei Passanten auch oft ein negativer Aspekt hinzu: Durch die Vermummung der Demonstranten werde Verunsicherung provoziert, Angst geschürt. Und: «Die Initianten dieses Protestzuges verschanzen sich hinter ihrem Schweigen, ihren Kapuzen, in der Anonymität.» Nach Recherchen der «Wiler Zeitung» hat nun einer der beteiligten vermummten Demonstranten dieses Schweigen gebrochen: M. * erläutert in einem Telefongespräch aus einer Bahnhoftelefonzelle die Motivation und Hintergründe – besonnen und überlegt, mit klarer Stimme.

Sie haben mit rund 30 anderen Personen am Protestzug und der Ãœbermalung des Hakenkreuzes teilgenommen. Wer oder was sind Sie genau?

M.: Wir sind eine basisdemokratisch organisierte Gruppierung mit etwa 60 Mitgliedern, die sich mit Hintergrundarbeit und Aktionen gegen rechte Strömungen engagiert.

Wie nennt sich diese Gruppe?

M.: Einen eigentlichen Namen haben wir nicht – dieser wird jeweils den einzelnen Aktionen angepasst. Daher auch die Bezeichnung «MIGROS»-Team, da sich das von uns übermalte Hakenkreuz nahe einer Migros-Filiale auf einem Parkplatz befindet. Die Abkürzung steht übrigens für «Militante Initiative Gegen Rechts Ost-Schweiz».

An der Demo wurden Fahnen mit dem Kürzel «FAU» mitgetragen.

M.: «FAU» steht für «Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union». Die «FAU» ist eine anarchosyndikalistische Gewerkschaftsinitiative im ganzen deutschsprachigen Raum, das heisst, eine Organisation mit basisdemokratischem und föderalistischem Aufbau, die darauf abzielt, Faschismus und Kapitalismus zu überwinden. Und in deren Grundsätzen finden wir uns wieder.

Neben solchen Aktionen würden Sie auch Hintergrundarbeit leisten. Was heisst das konkret?

M.: Man könnte es als grosses Puzzle bezeichnen: Wir sammeln Informationen, vor allem Namen. In der ganzen Region von St.Gallen bis Wil, vom Toggenburg bis in den Thurgau gibt es Strukturen von Faschisten und Altnazis, die versuchen, ungefestigte Jugendliche für ihre Ideologie zu gewinnen. Diese operieren in der Anonymität, das macht einen wichtigen Teil ihrer Basis und ihres Einflusses aus. Können wir entsprechende Namen an die Öffentlichkeit bringen, entziehen wir ihnen die Grundlage.

Bei Taten wie dem Einbrennen dieser Hakenkreuze in Flawil stellt sich immer die Frage nach den Tätern. Haben Sie diese Puzzleteile bereits zusammen?

M.: Ehrlich gesagt: Wir können momentan nicht ganz genau belegen, wer es gewesen ist. Wir vermuten aber, dass die Urheber der Tat aus der Region kommen. Uns war auf jeden Fall wichtig, öffentlich zu zeigen, dass es hier einen aktiven Gegenpol zu rechten Aktivitäten gibt und dass solche Dinge nicht einfach hingenommen werden.

Diese Aktivitäten solcher rechter Strukturen würden sich in verschiedenen Dingen äussern, hält M. fest. Zwar zeige sich dies selten in so augenfälliger Form wie diejenige der eingebrannten Hakenkreuze, doch neben Treffen und Sitzungen komme es zu Sprayereien, zu Sachbeschädigungen und zu Übergriffen auf Ausländer und so genannt Linke. Hier genauer ins Detail zu gehen sei wenig ratsam für seine Gruppe: Es sei immer die Frage, wie weit man sich aus dem Fenster lehnen dürfe, ohne dass der Gegner auf die eigene Identität schliessen könne, so dass Folgen zu befürchten wären.

Was für Folgen befürchten Sie für sich und die Gruppierung?

M.: Gegen mehrere Mitglieder aus unseren Reihen wurde in der Vergangenheit schon öfters vehement Gewalt von Rechts ausgeübt. So wurden unter anderem vier Mitglieder brutal zusammengeschlagen. Darum auch die Vermummung bei unserer Aktion in Flawil.

Obwohl diese Vermummung bei Passanten Ängste weckt und auch der Vorwurf laut wird, Sie stünden nicht zu Ihrer Überzeugung?

M.: Das ist nicht unsere Absicht – doch in diesem Fall geht Selbstschutz vor. Angst bei der Bevölkerung ist aber unbegründet, zumal wir uns auf unserem Zug durch Flawil ja friedlich verhielten. Noch einmal: Wir wollen vor allem rechte Strömungen aufbrechen, die Drahtzieher herausschälen und das Augenmerk der Bevölkerung auf deren Aktivitäten lenken, um sie so künftig zu verunmöglichen. Wir wollen aber keine unkontrollierbare Aktions-Reaktions-Spirale provozieren.

Sind Sie vor diesem Hintergrund zufrieden mit der Flawiler Aktion?

M.: Die Aktion an sich ist so verlaufen, wie wir sie geplant haben. Doch wichtiger als der Protestzug vom Freitagabend ist nun der weitere Verlauf: Wir wollen die Reaktionen aus der Bevölkerung abwarten. Zufrieden sind wir, wenn unser Input aufgenommen wird, das heisst, wenn die Flawilerinnen und Flawiler es nicht bei einem Kopfschütteln über die Hakenkreuz-Aktion belassen, sondern die Leute sehen, dass man auch handeln kann, auch mit recht einfachen Mitteln.

Die Angelegenheit sei zurzeit bei der Polizei in guten Händen, war seitens der Flawiler Gemeindeverwaltung auf Nachfrage zu erfahren. «Sicher werden wir die beiden Vorfälle und die Hintergründe im Gemeinderat thematisieren», hielt Vize-Gemeindepräsidentin Simone Zwingli fest. «Im Moment wissen wir aber zu wenig und kaum etwas Konkretes, zumal wir erst durch den Bericht in der ?Wiler Zeitung? von diesem Vorfall erfahren haben.» Man werde jedenfalls das Gespräch mit der Flawiler Jugendberatung suchen. «Deren Mitarbeiter kennen von ihrer Arbeit her sehr viele Jugendliche. Wenn es entsprechende Szenenbildungen in Flawil gibt, wissen die Jugendberater davon.» Seitens der Polizei sei aber versichert worden, dass es in der Gemeinde Flawil keine Szene rechter oder auch linker Extremisten gebe.

* Name der Redaktion bekannt. Anonymisierungen sind bei unserer Redaktion nicht üblich. In Ausnahmefällen verzichten wir jedoch auf die Bekanntgabe der vollen Identität, um einer allfälligen Gefährdung der Person vorzubeugen.