Ein Stiefel kommt nie auf leisen Sohlen

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Da nützen alle Ausreden nichts: Mit ihrer neusten Kampagne setzt Blochers SVP die Europäische Union mit braunen und roten Diktaturen gleich.

Die heimatfrischen Rechten von der Zürcher Volkspartei glauben an den Samichlaus. Mitten in der Sommerzeit haben sie nachts den Stiefel vor die Tür gestellt – in der freudigen Erwartung, das leere Schuhwerk möge am Morgen voll sein. Die Hoffnung hat sich erfüllt, was kein Wunder ist, sondern Kalkül. Denn wer besonders böse ist, bekommt ganz bestimmt Besuch vom Samichlaus. Wirft man erst noch mit Dreck um sich, stehen die Schmutzlis im Dutzend auf der Matte.

Der neuste SVP-Fusstritt unter die Gürtellinie ist das gegen «Linke und andere heimatmüde Parteien» gerichtete Inserat, in dem ein EU-Stiefel einen CH-Stimmausweis niedertrampelt und ein tapferes Schweizerlein beinahe mitzerquetscht. Will sagen: Eidgenoss, in Europa werden deine Rechte mit Füssen getreten. Will bedeuten: Schuster, bleib bei deinem Leisten.

Die provozierte Schelte kam prompt: Die NZZ schwingt die Rute und lehnt die Publikation des Inserats ab, die Bundesratsparteien zeigen sich erwartungs ge mäss angewidert, und einige ausserkantonale SVP-Exponenten gehen zum hundertstenmal auf Distanz, dass man sich fragen muss, weshalb sie trotzdem stets am gleichen Ort bleiben.

Zum Empörungsritual, das spätestens seit dem Messerstecher-Inserat eingeübt ist, gehören auch die abwiegelnden Worte des Zeremonienmeisters: Schob Christoph Blocher einst die Schuld einem defekten Faxgerät in die Schuhe, ist diesmal die defekte Wahrnehmung dran. «Es ist gesucht, den Stiefel mit Nazi gleichzusetzen.» Man habe absichtlich kein martialisches Exemplar gewählt, sondern einen «feinen Stiefel mit Sporen». Assistiert wird der Auftraggeber vom neuen Werbebüro Gohl, das die SVP-Kampagnen in der alten Tradition von Hans Rudolf Abächerli weiterführt. «Die Interpretation macht jeder Leser selber», sagt Geschäftsführer Werner Schneider. «Wir müssen nicht darüber reden, was für ein Stiefel es ist.»

Müssen wir nicht. Tun es trotzdem.

Die Zürcher SVP hat es in Sachen politischer Symbolik zu fast schon historischer Meisterschaft gebracht. Als einzige Partei übersetzt sie Politik in Bilder, derweil ihre Konkurrenz von links bis rechts auf diesem Feld nur einen weissen Fleck zu bieten hat. Insofern ist die im Grunde antimodernistische Volkspartei die modernste aller Parteien.

Der Stil ihrer neuen Karikaturen ist so wenig Zufall wie die Tatsache, dass sie sich nicht in einem kühl-funktionalen Kongresszentrum inszeniert, sondern im historischen Schützenhaus Albisgüetli – auch dies ein Lehrstück in politischer Ästhetik.

«Bö» ist auferstanden in der SVP-Werbung. Carl Böckli, die Karikaturistenlegende des «Nebelspalters», hat den Abächerlis die Zeichnerhand geführt. Es ist der Strich vor allem der dreissiger und vierziger Jahre. Der neualte Stil beschwört den Geist eines geeinten Landes und seines wehrhaften Volkes. Der kleine Eidgenoss mit Sennenkäppi, bedroht vom grossen Stiefel, stammt eins zu eins aus «Bös» Figurenkabinett. Blocher setzt der Realität der neunziger Jahre den Mythos der Kriegsjahre entgegen.

«Nebelspalter»-Chefredaktor Iwan Raschle findet es «bezeichnend, dass Leute, die mit dem Stilmittel der Karikatur sonst nichts anzufangen wissen, auf Blut-und-Boden-Motive zurückgreifen».

Der Stiefel ist ein zentrales Element in dieser Bildsprache. Er ist eine Ikone der Diktatur, Symbol der antidemokratischen Unterdrückung, des Totalitären, wie der Lausanner Historiker Hans-Ulrich Jost erklärt. «Es ist eines der stärksten Symbole der Unterdrückung», findet auch Roland Gretler, der in seinem Zürcher «Panoptikum zur Sozialgeschichte» einen Fundus an Anschauungsmaterial bereithält.

Ihren Ursprung, sagt Hans-Ulrich Jost, hat die Stiefelsymbolik bereits im 19. Jahrhundert mit dem Beginn des Militarismus. Bis heute prägend war allerdings die Zwischen kriegszeit. Sie setzte das Bild vom roten und vom braunen Stiefel in den Köpfen fest. Blocher kann wählen, welche Gleichstellung ihm lieber ist – jene seines EU-Stiefels mit der braunen oder der roten Diktatur, mit Hitler oder Stalin.

Der karikierte Stiefel ist der Schuh des Bösen. Und vor allem ist er immer der Schuh des andern. Ein Schweizer, glaubt man der Karikatur, trägt keine Stiefel, auch der gute ausländische Soldat nicht, also der Alliierte. Der aufrechte, wehrhafte Eidgenoss hat den Nagelschuh am Fuss, allenfalls die geschnürte Sandale wie ehedem Wilhelm Tell, aber nie einen Stiefel.

Wahr freilich ist: Jeder Schweizer Offizier trug bis Ende der vierziger Jahre Stiefel. Wer etwas zu sagen hatte in diesem Land, war gestiefelt, kam also, was das Schuhwerk betrifft, justament daher wie die Herrenmenschen im Norden, nämlich in Reithose und Reitstiefeln.

Ein Reit- und nicht etwa ein Militärstiefel soll es nun auch auf dem Inserat sein, will Blocher hinterher festgehalten wissen, ein feiner dazu, also quasi ein ziviler Schuh. Doch wenn er die Sache auf diese Art in die vermeintliche Harmlosigkeit zu drehen glaubt, setzt er noch einen drauf, ohne es zu merken. Denn der Reitstiefel mit Sporen war der Paradeschuh der SS, symbolisch betrachtet ein potenzierter Knobelbecher, wie der derbe Lederstiefel der Wehrmachtssoldaten hiess.

John Heartfield, der grosse linke Grafikkünstler jener Zeit, hat diese Assoziation drastisch in der «Arbeiter-Illustrierten Zeitung» umgesetzt. Der Reitstiefel gilt, zumindest in diesem Kontext, als Inkarnation des Totalitären, sein Träger als Faschist schlechthin, der Volk und Demokratie vom hohen Ross herab mit Füssen tritt. Der schwarze SS-Stiefel ist das sinnbildliche Bajonett im Stechschritt dieser, so der Historiker Bernd Wegner, «Aristokratie des Nationalsozialismus».

Die angebliche historische Arglosigkeit, die Christoph Blocher und seine Zürcher SVP im Umgang mit Stiefeln offenbaren, ist so glaubhaft, als würde ein Zeichner Blocher im Braunhemd karikieren, die Legende «Der Führer der Zürcher SVP» hinsetzen und zu guter Letzt behaupten, das Braunhemd sei selbstverständlich nur ein gutschweizerisches Pfadihemd.

Autor: Martin Beglinger, Andreas Dietrich