«Die Kandidatur unterschätzt»

Der Bund

Erstmals zieht mit der PNOS eine Partei ins Langenthaler Parlament ein, die das politische System stürzen willTobias Hirschi, 20, Strassenbauer, Mitglied der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS), hat im Alleingang die Wahl in den Langenthaler Stadtrat geschafft. Die Reaktionen fallen in Langenthal unterschiedlich aus.

Christine Brand

In Langenthal herrscht Ernüchterung am Tag danach. «Wahrscheinlich habe ich seine Kandidatur unterschätzt», sagt SVP-Präsident Roland Christen. «Ich habe keine Freude, dass wir aus diesem Grund in den nationalen Medien erscheinen», erklärt Stadtpräsident Hans-Jürg Käser (fdp). «Ich bin richtig deprimiert, dass ich in einer Stadt lebe und in einem Stadtrat sitze, in dem dies möglich ist», sagt SP-Präsidentin und Stadträtin Karin Habegger. Für sie war der Wahlsonntag eine «mittlere Katastrophe».

Der Grund heisst Tobias Hirschi. Mit dem 20-jährigen Strassenbauer wurde erstmals in der Schweiz ein Mitglied der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) in ein Parlament gewählt. Hirschi war alleine angetreten. Mit seiner Wahl hatte niemand gerechnet, auch er selber nicht. «Zuerst war es schon sehr überraschend», sagt er. «Aber jetzt kann ich mich je länger, je mehr freuen.» Er kandidierte, weil ihm dies bei der PNOS-Demonstration am 1. Mai, nach der es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Rechtsextremen und Linksautonomen kam, in den Sinn gekommen war. Er kandidierte für die PNOS, «weil ich mich mit ihr am besten identifizieren kann, sie setzt sich für Schweizer Kultur ein, für die Jodlergruppe und so».Die Erklärung des Wahlerfolgs liefert Pascal Luethard, der sich «Stützpunktführer» der PNOS Bern nennt: «Die Leute sind unzufrieden und wollten eine Alternative.» Darum wolle die PNOS jetzt in möglichst vielen Gemeinden kandidieren. Das alternative Wahlprogramm Hirschis: Das Autonome Jugendzentrum Lakuz in Langenthal schliessen und den Ausländeranteil senken. Gewählt wurde Hirschi dank einem Restmandat. Und zwar nicht in erster Linie wegen der PNOS-Wähler: 106 Mal wurde die PNOS-Liste eingelegt. 149 Mal wurde sein Name auf die vorgedruckte SVP-Liste geschrieben ? auf der es noch vier leere Linien gab (vgl. Kasten).«Wer für eine rechtsextreme Gruppe kandidierte, konnte bislang davon ausgehen, dass er nicht gewählt wird», sagte gestern Rechtsextremismusexperte Hans Stutz in Radiointerviews und zeigte sich sehr überrascht ob der Wahl Hirschis. Der Strafrechtler und Antirassismusexperte Marcel A. Niggli wunderte sich nicht: «Das Parlament widerspiegelt die Gesellschaft.» Dass heute möglich ist, was lange unmöglich schien, begründet er mit dem veränderten politischen Stil. Dadurch, dass sich die SVP nicht gegen rechts aussen abgrenze, werde es schwierig, sich gegen Rechtsextremismus abzugrenzen. «Die SVP hat der PNOS erst gerade wieder vorexerziert, wie man Abstimmungskampagnen ausreizen kann und entsprechend Wähler gewinnt», sagt Niggli. «Die Frage ist nun, wie es sich in der Praxis bewährt, wenn Leute in Parlamenten sitzen, die die Demokratie nicht akzeptieren.»Die SP Langenthal hat noch keine Strategie, wie sie auf das neue Ratsmitglied reagieren will. «Es wird wohl vor allem an uns liegen, ein Gegengewicht zu setzen», sagt Karin Habegger. Auch die SVP will sich distanzieren vom Mitglied der PNOS. «Es wird keine Zusammenarbeit geben zwischen der SVP und der PNOS», sagt Präsident Roland Christen. Hirschi werde ein Einzelkämpfer bleiben. «Er wird isoliert sein.» Und Stadtpräsident Käser nimmt Hirschis Wahl, die er als «Zufallstreffer» bezeichnete, einigermassen gelassen. «Es gibt keine politische Bewegung der PNOS in Langenthal», erklärt er. «Und unsere Sachgeschäfte im Langenthaler Stadtrat haben wenig mit der Gesinnung der PNOS zu tun.» Sorgen bereitet ihm hingegen eine andere mögliche Wirkung, die die Wahl Hirschis haben könnte. In den letzten Jahren ist es in Langenthal mehrfach zu Auseinandersetzungen zwischen Linksautonomen und Rechtsextremen gekommen. Käser fürchtet, dass sich die Situation nun wieder zuspitzen könnte.

«National orientiert»

Die Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) bezeichnet sich als «Partei des modernen Nationalismus» und vertritt antidemokratisches, rechtsextremes Gedankengut. Die PNOS fordert eine «ethnische und kulturelle Geschlossenheit» und will sich gegen «die heuchlerischen Phrasen von Multikultur und totaler Vermischung aller Völker» wehren. Am politischen System hat die PNOS einiges auszusetzen: «Die Völker sind aufgerufen, dieses System zu stürzen», schreibt sie auf ihrer Homepage. Es sei «dümmlich und niederträchtig», die Vertreter einer natürlichen Ordnung der Völker und Kulturen als Rechtsextremisten zu bezeichnen. «Extremisten sind vielmehr die heutigen Machthaber, weil sie die gewachsenen Volks- und Rassenstrukturen beseitigen wollen und die Menschheit damit in ein zynisches Experiment stürzen», schreibt sie. «Unser Nahziel muss sein, die schlimmsten Auswirkungen des gegenwärtigen entarteten Systems zu bekämpfen.» Den Weg zur neuen «Staatsordnung» will die PNOS mit einem 20-Punkte-Programm «bahnen»: Sie will zum Beispiel die politischen Parteien abschaffen, die «zum Unsinn der parlamentarischen Scheindemokratien» gehörten. (cbb)

So wurde er gewählt

Tobias Hirschi von der PNOS erhielt auf seiner eigenen Liste 106 Stimmen. Gar besser schnitt er bei den SVP-Wählern ab: Sein Name war 149 Mal auf einer vorgedruckten SVP-Liste hinzugefügt worden. 22 Stimmen erhielt er auf SP-Listen, 20 Stimmen auf FDP-Listen, 4 Stimmen von EVP-Wählern, 4 Stimmen seitens der Jungliberalen und 2 Stimmen auf GFL-Listen. 26 Mal wurde Tobias Hirschis Name auf Listen ohne Bezeichnung aufgeschrieben. (cbb)