Die extreme Rechte in der Schweiz – was bisher geschah

Was bisher geschah: Der Rückblick zeichnet – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Geschichte der extremen Rechten in der Schweiz seit den 1980er-Jahren nach.

Vereinzelt tauchten Naziskins bereits in den 1980er-Jahren in diversen Schweizer Städten auf – oft als Schlägertrupps. Von 1987 bis 1991 erlebte das Land einen «kleinen Frontenfrühling». Neonazistische Organisationen wie die Patriotische Front suchten die Öffentlichkeit. Im August 1989 Fand in Luzern die erste öffentliche Kundgebung von Rechtsextremen nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Die rechte Szene war damals auch verantwortlich für eine ganze Reihe von Übergriffen und Anschlägen mit insgesamt sieben Todesopfern. Der «kleine Frontenfrühling» brach 1991 zusammen. Fortan waren es lokale Naziskin-Cliquen, welche die extreme Rechte prägten. Eine Organisation meldete ab 1994 ihren Führungsanspruch an: die Schweizer Hammerskins (SHS). Zwei schlagzeilenträchtige Ereignisse des Herbstes 1995 gingen auf ihr Konto: die Randale am Rande einer von Christoph Blocher angeführten Demonstration in Zürich und der Überfall auf das «Festival der Völkerfreundschaft» in Hochdorf LU – eine Gewaltaktion, die sie aber vorübergehend empfindlich schwächen sollte: Die Polizei verhaftete in der Folge über 60 Naziskins.

Neuer Schub

1996/1997 konnte sich die extreme Rechte stark ausbreiten. Die Anzahl der Rechstextremen wuchs sprunghaft auf gegen 500 an. Es kam zu zahlreichen Neugründungen, etwa die Nationale Initiative Schweiz (NIS) in Zürich oder die Nationale Offensive (NO) im Umland von Bern. Erste Internet-Auftritte, diverse Zeitschriften, mehrere Versände, aber auch ein «Nationales Info-Telefon» waren Beleg für die gefestigten Strukturen.

Ab 1997/1998 etablierte sich eine Schweizer Sektion des internationalen Neonazi-Netzwerks Blood & Honour (B&H). Gleichzeitig mutierte die Schweiz zum Konzertparadies für Rechtsrocker*innen. Rechts-Rock und das dazugehörige subkulturelle Milieu waren Nährboden für die wachsende Szene.

«Die Schande vom Rütli»

Die Auftritte in der Öffentlichkeit häuften sich und waren Indiz für das erstarkte Selbstbewusstsein der Neonazis. Am 1. August 2000 störten Neonazis die Rede des damaligen Bundesrates Villiger auf dem Rütli. Es folgte ein grosses Medienecho. Die neue Vitalität der rechten Szene manifestierte sich auch in einem frappanten Anstieg an Gewalttaten. Zwei Beispiele: Drei Naziskins feuerten Mitte Juli 2000 über hundert Schüsse auf das linke Wohnprojekt «Solterpolter» in Bern ab. Ende Januar 2001 ermordeten vier Mitglieder des rechtsextremen «Orden der arischen Ritter» in Interlaken ihren 19-jährigen ehemaligen Kameraden Marcel von Allmen.

Zugleich entdeckten die Neonazis die klassische Polit-Arbeit: Im September 2000 wurde die Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) gegründet, die sich rasch in den Vordergrund schob und  trotz hoher Kaderfluktuation eine der konstantesten Organisation der extremen Rechten war und bis heute ist. Deutlich kurzlebiger erwies sich die Nationale Ausserparlamentarische Opposition (NAPO) (2003- 2005) des Holocaust-Leugners Bernhard Schaub.

So stark wie nie

Es folgten fette Jahre für die Schweizer Neonaziszene. Nicht nur stieg die Zahl der behördlich registrierten Exponent*innen auf rund 1200 an – ein Höchststand. Die extreme Rechte konnte auch einige Mobilisierungserfolge verbuchen: Das «Sommerfest» der Hammerskins 2002 in Affoltern am Albis ZH etwa lockte rund 1200 Neonazis aus ganz Europa an. Zudem gelang es Rechtsextremist*innen patriotische Feiern für sich zu vereinnahmen. Am 1. August 2005 standen nicht weniger als 800 Anhänger*innen rechtsextremer Organisationen auf dem Rütli. In Sempach LU reihten sich die Rechtsextremen regelmässig – und von den Behörden unbehelligt – in den offiziellen Umzug der Schlachtgedenkfeier ein.

Bei lokalen Wahlen schaffte die PNOS die Überraschung und zog 2004 mit Tobias Hirschi ins Langenthaler Stadtparlament ein, im April 2005 wurde Dominic Bannholzer in den Gemeinderat von Günsberg SO gewählt. Fast gleichzeitig etablierte sich in Umfeld der PNOS die Kameradschaft Helvetische Jugend (HJ). Die HJ, in den Kantonen Bern und Luzern beheimatet, sorgte mit militanten Aktionen für Schlagzeilen: Im Oktober 2004 attackierten HJ-Aktivist*innen eine Antirassismus-Demo in Willisau LU. Im Berner Oberland formierten sich um das PNOS Kader Mario Friso mehrere Kleinstorganisationen, wie der «Bund Oberland», der «Nationale Beobachter» oder die «Freien Kräfte», die grossen Aktionismus versprühten und mit «Holywar-Rec» einen eigenen Versandhandel betrieben.

Regionale Schwerpunkte der unorganisierten Neonazi-Szene waren die kleineren Städte. In Thun, Burgdorf, Langenthal oder Frauenfeld waren sie für schwere Gewalttaten gegen Andersdenkende verantwortlich. 2003 schlugen sechs Rechtsextreme zwei Jugendliche in Frauenfeld TG so brutal zusammen, dass einer seither geistig und körperlich beeinträchtigt ist. In Thun schoss Thomas Rohrer mit einer Pistole in eine Gruppe Antifaschist*innen und verletzte eine Person schwer.

Auch die lebendige Rechtsrock-Subkultur, die sich ab 2001 in der Schweiz herausbildete, legte Zeugnis ab von der Stärke und Breite der extremen Rechten. Bands wie Dissens, Indiziert, Vargr I Veum und Amok – um nur einige der bekanntesten zu nennen – traten regelmässig an einschlägigen Konzerten im In- und Ausland auf und veröffentlichten mehrere Tonträger.

Den Zenit überschritten

Seit ungefähr 2009 konnte die extreme Rechte nicht weiter zulegen. Die PNOS, nach wie vor Taktgeberin der Szene, war stark mit sich selbst beschäftigt: Gerichtsprozesse, Rücktritte und Knatsch in den eigenen Reihen setzten der Partei zu. Zwar verteidigte die PNOS 2008 ihren Sitz im Langenthaler Stadtrat, konnte aber bei Aufmärschen und Feiern deutlich weniger Teilnehmende mobilisieren. Auch um die beiden, teils miteinander konkurrierenden, internationalen Netzwerke Hammerskins und Blood & Honour ist es stiller geworden.

Neue Impulse kamen insbesondere aus der Westschweiz: 2005 gründete sich die Jeunes Identitaires Genevois, ein Ableger der französischen Identitaires-Bewegung, aus welcher 2013 die Génération Identitaire Genève entstand. 2010 trat die Gruppe Genève Non Conforme, zu deren Vorbildern insbesondere die faschistische, italienische Organisation Casa Pound zählte und ab 2012 die Artam Brotherhood, eine von Bikerclubs inspirierte Kampftruppe, vermehrt in der Öffentlichkeit auf.

Während die Westschweizer Szene durch neue ideologische und aktionistische Impulse vitalisiert wurde, konnten die Deutschschweizer Neonazis nicht an ihren Mobilisierungserfolgen anknüpfen. Die Behörden versuchten Neonazis von den offiziellen Schlachtgedenkfeiern fernzuhalten: die Rütlifeier wird seit 2007 mit einem Ticketsystem abgeschirmt, in Sempach wurden Neonazis 2009 von den Feierlichkeiten ausgeschlossen. Fortan führten die Rechtsextremen fern der Öffentlichkeit ihre eigenen Feiern durch. Dadurch verloren die Neonazis wichtige, öffentliche Auftrittsmöglichkeiten und sie wurden weniger sichtbar.

Konzertparadies Schweiz

Die Schweiz ist seit den 1990er Jahren als Konzertparadies bei Neonazis beliebt. Gerade für B&H und die SHS eignete sich die rechtliche und die zentrale geographische Lage der Schweiz für ihre internationalen Konzerte. So war 2012 das internationale «Hammerfest» in der Schweiz geplant. 2013 fand erneut ein «ISD-Memorial» statt, 2015 das «Rock fürs Vaterland» und 2016 organisierte die SHS ein Konzert in Villarimboud FR, um einige der zahlreichen Konzerte zu nennen.

Höhepunkt dieser Entwicklung war das «Rocktoberfest», welches im Oktober 2016 mit über 5000 Neonazis aus ganz Europa in Unterwasser SG stattfand. Organisiert durch international bestens vernetzte B&H-Strukturen. Dem medialen Aufschrei folgte eine härtere Gangart der Behörden gegenüber den Organisator*innen von Nazikonzerten, welche die Räumlichkeiten meist unter einem falschen Vorwand angemietet hatten. Dadurch wurde es für die Akteur*innen schwieriger unter anderem Grossevents durchzuführen. So wurde das Unterstützungskonzert für das Parteihaus der PNOS im Januar 2017 durch einen Polizeieinsatz begleitet.

Verpasste Chancen

Der 2015 markant angestiegene Migrationsstrom nach Europa, konnte die extreme Rechte in der Schweiz nicht für ihre Agitation vereinnahmen. Dies trotz der vertieften rassistischen Ressentiments und einer Polarisierung in der Bevölkerung. Zwar konnte die PNOS ihren Aktivismus kurzzeitig erhöhen und neue Sektionen eröffnen, so z.B. in der Ostschweiz, schaffte es aber nicht, sich ausserhalb ihrer Stammregion, dem Oberaargau, zu verankern. Die neuen Sektionen beschränkten ihre Aktivitäten meist auf Blogbeiträge und vereinzelte Stammtische. Auch Versuche der PNOS, durch Kampfsportseminare mit dem Russen Denis „Nikitin“ Kapustin in der rechten Kampfsportszene Fuss zu fassen, scheiterten. Bei den nationalen Wahlen 2015 und 2019 war die PNOS weit davon entfernt, politische Ämter zu gewinnen.

Neben der PNOS versuchte sich die Direktdemokratische Partei (DPS) um Ignaz Bearth Holdener mit dem Thema Migration zu profilieren. Diese scheiterte aber genauso wie die kleine Gruppe mit Bearth Holdener und Tobias Steiger, welche nach dem Vorbild der rassistischen Massenmobilisierungen in Deutschland als PEGIDA Schweiz auftrat.

Auch andere rechte Kleinstparteien versanken in der Bedeutungslosigkeit. Die Schweizer Demokraten (SD) sind seit 2007, die Mouvement Citoyen Genevois (MCG) seit 2019 nicht mehr in der Legislative vertreten. Viele ihrer Exponent*innen sind mittlerweile bei der SVP tätig – so beispielsweise das ehemalige PNOS-Mitglied Thomas Schori. Hier sind die Karrierechancen besser und inhaltlich bestehen wenig Differenzen.

«Wahre Kämpfer*innen» und Kamerad*innen?

Das Ausüben von Kampf- und Kraftsport wird in der Naziszene immer beliebter. Seit 2010 hat sich in der Schweiz eine kleine Szene formiert, welche in eigenen Gyms, an eigenen Events und mit rechten Labels die Ideologie eines gesunden und wehrhaften Körpers vermarkten. Hier schliessen Neonazis an einen gesellschaftlichen Trend zu bewusster Ernährung und Sport an. Gerade junge Männer fühlen sich davon angezogen und können rekrutiert werden. In Genf wurde seit 2017 dreimal das rechte Kampfsportevent «Cabochard Contest» ausgetragen und im Juni 2020 war in der Deutschschweiz eine grosse Fightnight des Labels «Pride France» angekündigt, welches pandemiebedingt verschoben wurde.

Schweizer Neonazis kämpfen aber auch an regulären Events – so z.B. Nick Betschart am «International Swiss Open» 2018 in Basel. Oder der Basler Roman Portner, welcher nicht nur an offiziellen Fightnights, sondern auch am grössten Kampfsportevent der Neonazi-Szene, dem  «Kampf der Niebelungen»  im Ring stand.  Die rechte Kampfsportszene ist international vernetzt und verfügt über eine grosse Ausstrahlung. Auch die jüngst entstandene Gruppe Junge Tat definiert sich sehr stark über ihre Wehrbereitschaft und trainiert Kampfsport.

Die Kameradschaftsszene ist geprägt von kurzlebigen organisatorischen Strukturen. Die altgedienten Kameradschaften, wie die Kameradschaft Morgenstern oder der Waldstätter-Bund wurden durch neue Strukturen abgelöst. Die Kameradschaft Heimattreu (KHT), die Nationale Aktionsfront (NAF) und die Junge Tat sind die jüngsten Produkte dieser Entwicklungen. Sie sind eng verbandelt mit dem internationalen B&H-Netzwerk und machten durch Provokationen am Rande einer antirassistischen Kundgebung in Schwyz 2019 von sich reden. Mitglieder der KHT verbrannten, gekleidet in B&H Pullovern, ein vor der Demonstration entwendetes Transparent.

Unter der Führung des 20-jährigen Manuel Corchia wagte sich in Winterthur kurzzeitig eine Truppe junger Neonazis unter den Namen Eisenjugend und Nationalistische Jugend Schweiz (NJS) aufs politische Parkett. Mit Verbalradikalismus und nationalsozialistischer Ästhetik suchte sie die Konfrontation mit ihren politischen Gegner*innen und nach Anschluss in der rechten Szene.

Aufbruch im Westen?

In Genf, der Waadt und im Wallis formierte sich 2014 aus einer Abspaltung der Parti Nationalist Suisse (PNS) die Gruppe Résistance Hélvetique (RH), welche hohe politische Ansprüche formulierte und die zersplitterte Szene vereinen wollte. Die Gruppe bietet drei Generationen von Aktivist*innen eine neue Heimat und tritt als Brückenbauerin auf. Mit der Einweihung ihres Lokals «l’Aquila» im Mai 2018 in Aigle VD schuf sie einen physischen Treffpunkt, in welchem Lesungen, Vorträge und Treffen stattfinden konnten. Die RH orientiert sich politisch stark an der französischen «Neuen Rechten» und suchte aktiv Anschluss an deren Szene. Verordnet sich die RH vorwiegend im akademischen Milieu, versuchte ab 2015 Kalvingrad Patriote in Genf den vorpolitischen Raum für sich zu gewinnen. Mit einer dezidierten Bildsprache, direkten Aktionen und einem prolligen Auftreten, suchten sie die Öffentlichkeit. Nach einer intensiven Hochphase von 2017 bis 2019 verebbte die Aufbruchstimmung in der Westschweiz. Kalvingrad Patriote löste sich, wie auch die PNS, im Sommer 2020 auf und das «l’Aquila» musste seine Pforten schliessen.

Q-Anon und Corona-Rebell*innen

Nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie finden Verschwörungstheorien starken Widerhall in der extremen Rechten. Befeuert durch Soziale Medien, erreicht rechte Hetze durch diese abstrusen Theorien immer breitere Gesellschaftsschichten und werden antisemitische Narrative wieder massentauglich. Gerade die aus den USA stammende QAnon-Theorie zählt auch in der Schweiz eine wachsende Anhänger*innenschaft. Die Corona-Pandemie befeuerte den Einfluss der Verschwörungstheorien massiv und schuf ein Bündnis zwischen extrem rechten Blogger*innen, Impfgegner*innen und Esoteriker*innen. Die Bewegung der Corona-Rebell*innen ist an sich zwar nicht rechts, biedert aber mit Exponent*innen des rechten Lagers an und driftet immer stärker an den rechten Rand. Es bleibt abzuwarten, ob das Bündnis der Corona-Skeptiker*innen Bestand hat und wohin sich deren Akteur*innen politisch ausrichten.

Aus der esoterischen Szene erfahren völkisch-heidnische Gruppen wie die Anastasia Bewegung oder Urahnenerbe Germania verstärkten Zulauf. Beide Bewegungen propagieren einen rechten ökologischen Lebenswandel mit patriarchalen Familienstrukturen und einem rassistischen Weltbild. Auch hier ist die antisemitische Theorie einer «Weltverschwörung» ideologisches Bindemittel.

Internationale Szene

Zwar ist die Szene der organisierten Rechten tendenziell am Schrumpfen, doch sind deren Exponent*innen international besser vernetzt. Sie kämpfen im Sezessionskrieg in der Ukraine, nehmen an Gedenkmärschen in Ungarn teil, sind an Kundgebungen in Deutschland anzutreffen oder beteiligen sich an Aktionen der Identitären Bewegung im Mittelmeer.

Umgekehrt ziehen sich auch immer mehr Aktivist*innen aus Deutschland und Frankreich in die Schweiz zurück. Nordulf Heise entzog sich seinem Prozess in Deutschland und kommt bei Freunden im Wallis unter. Der NSU-Unterstützer Ralf Marschner betreibt in Flums SG ein Antiquitätengeschäft und Mitglieder des französischen B&H-Ablegers «Hexagone» fanden in der Westschweiz ihre neue Heimat.

Nicht nur das Internet und die gesteigerte Mobilität, sondern auch ideologische Verschiebungen ermöglichen Neonazis internationaler zusammenzuarbeiten. Der Feind sitzt nicht mehr im Nachbarland, sondern an der Grenze der EU. Es gelte ein «weisses Europa» gegen das Fremde zu verteidigen.