Deutschland Rechtsextreme mit neuer Strategie

ZüriZeitung

Neonazis setzen auf Frauen und geben sich gutbürgerlich

Deutschlands Neonazis haben eine neue Strategie. Sie geben sich gutbürgerlich, gehen gezielt in Vereine und setzen immer mehr auf Frauen.

Helmut Uwer, Blankenfelde

«Es geht um die Präsenz. Dass man da ist. Denn sobald die Leute merken, mit der oder dem kann man ja ein Gläschen trinken, schmeissen sie einen auch nicht mehr raus, wenn sie mitkriegen, dass man in der NPD ist. Und genau das ist der Punkt, an dem der Kampf um die Parlamente beginnt.» Stella Palau war mit dieser Taktik jedoch noch nicht so ganz erfolgreich. Nachdem bekannt wurde, dass sie im Vorstand der NPD sitzt und die Pressesprecherin des Rings Nationaler Frauen (RNF) ist, konnte sie ihr Kind nicht mehr ins Familienzentrum von Hohen Neuendorf nördlich von Berlin bringen. Die Betreuerinnen waren entsetzt, als sie erfuhren, wer die vermeintlich so nette junge Frau tatsächlich ist. Hohen Neuendorf liegt im Speckgürtel der deutschen Hauptstadt und ist urban geprägt. Je weiter man jedoch in ländliche Gebiete vor allem Ostdeutschlands vorstösst, desto erfolgreicher ist die Nationaldemokratische Partei Deutschland (NPD) mit ihrer Verbürgerlichungstaktik. Im 350-Seelen-Nest Gross Schauen hat es funktioniert. Steuerfachfrau Manuela Kokott hat sich im Ort engagiert und ein Kinderfest organisiert. Vor den Wahlen zum Ortsbeirat hat sie sich als NPD-Mitglied geoutet. Sie erhielt 19 Prozent der Stimmen.

Springerstiefel sind passé

Vorbei sind die Zeiten, da Glatzen und Springerstiefel das Bild der Neonazis dominierten. Die gibt es zwar immer noch zu bestimmten Anlässen. Doch in erster Linie ist die NPD seit ihrem Zusammenschluss mit Kameradschaften um ein gutbürgerliches Image bestrebt. Dazu gehören saubere weisse Hemden mit gestärktem Kragen und Krawatte statt schwarzer Lederjacke. Und immer häufiger bekennen sich Frauen zu rechtem Gedankengut. Vor allem gehört die Infiltration bürgerlicher Organisationen zum neuen Konzept.

Erfolge in ländlichen Gebieten

Besonders erfolgreich ist die NPD in strukturschwachen ländlichen Gebieten. Dort sind sie oft die Einzigen, die überhaupt noch ein Angebot machen. Der Weg an die Macht führt für den braunen Vordenker und sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel denn auch über die Dörfer: «Schon im 20. Jahrhundert haben Nationalisten auf dem Land ihre besten Ergebnisse erzielt.» Dort fallen ihre Überfremdungssprüche und ihr Widerstand gegen die Globalisierung auf fruchtbaren Boden. Dann kann es durchaus passieren, dass wie in der ostdeutschen Stadt Dessau – bekannt durch die Bauhaus-Avantgarde – ein hoher Polizeibeamter einen Mitarbeiter eines Beratungsteams gegen rechtsradikale Gewalt anzeigt, weil der einen NPD-Mann als rechtsextrem bezeichnete. Der Dessauer Vize-Polizeichef schaffte es sogar, den Befehl auszugeben, bei rechter Kriminalität «nicht immer alles zu sehen».

Gerade im Osten stossen Neonazis immer wieder auf Verständnis, weil man das Problem nicht wahrhaben will oder weil man um die Touristen fürchtet. Dabei reissen die Meldungen über rechtsextremistische Überfälle nicht ab. Zuletzt kam Halberstadt in die Schlagzeilen, wo Rechtsextreme, die Mitglieder einer Theatertruppe verprügelt hatten, von der Polizei zunächst wieder laufen gelassen wurden.