Deutscher Geheimdienst zahlte Schweizer Nazi

SonntagsZeitung

Die Gelder flossen via einen rechtsextremen V-Mann zu den «Wehrwolf Records»

VON ANDREA BLEICHER UND CLAUDIA IMFELD

ZÜRICH/SEBNITZ D – Der Skinhead Mirko H. ist ein Mann vieler Talente. Der gelernte Zimmermann aus dem deutschen Sebnitz produzierte Neonazi-Musik, verlegte das Extremistenheft «Hass Attacke» – und spitzelte für den deutschen Verfassungsschutz. «Mir kann keiner», prahlte der Sachse gern vor seinen Kameraden. Und weil Mirko H. nebst seinem Agentengehalt auch noch die Einnahmen aus dem Vertrieb von Rechtsrock-CDs einstrich, beschloss er vor rund zwei Jahren, seine Geschäftstätigkeit auszuweiten. In die Schweiz.«Wehrwolf Records» hiess das Label, das sich dank der finanziellen Aufbauhilfe aus Deutschland schnell im Markt etablierte. «Wir waren alle ein bisschen neidisch», erinnert sich ein Konkurrent. «Die kamen eines Tages an und waren gleich von null auf hundert.» Einen Geschäftsführer für seinen Schweizer Ableger hatte Mirko H. im Handumdrehen gefunden: seinen Skin-Kollegen Thomas G. aus dem zürcherischen Winkel – ein Rechtsextremer, der heute in der Armee Karriere zu machen versucht.

Thomas G. fungierte auch als Leiter der Nationalen Aufbauorganisation

Der ehemalige Siemens-Stift hatte sich schon einmal als Vertreiber rechtsextremer Musik versucht. Allerdings ohne grossen Erfolg. Im November 1999 schaltete er die Homepage des «Volkssturm Unterland Versandes» auf und schrieb in einem Grusswort an die Behörden: «Verpisst euch. Ihr könnt uns nicht aufhalten.» Bereits nach wenigen Wochen setzte die Zürcher Kantonspolizei dem braunen Treiben ein Ende und liess die Internetseite sperren. Thomas G. gab sich geläutert, werkelte aber an seiner Neonazi-Karriere weiter. «Ziemlich verbissen», sagt er, sei er damals gewesen. Am 1. August 2000 schlug schliesslich die Stunde des «jungen Patrioten» (O-Ton Wehrwolf). Zusammen mit dem vorbestraften Schläger Pascal Lobsiger marschierte Thomas G. auf dem Rütli auf. Eine Schweizer Fahne schwenkend, störte er die Rede von Bundesrat Kaspar Villiger mit lauten «Use! Use!»-Rufen. Später fungierte er als Stellvertreter Lobsigers in der Nationalen Aufbauorganisation (NAO), die vergeblich versuchte, rechtsradikale Splittergruppen in einer Dachorganisation zu einen.Mit Wehrwolf klappte es besser. «Von Anfang an stand fest», verkündete Thomas G. in fehlerhaftem Deutsch auf der «Heimseite» des Versands, «dass es keine halbpatzige Sache werden sollte.» Der Zürcher richtete ein Konto bei der Raiffeisenbank im bayrischen Roding ein. Gegen Vorabzahlung von 15 Euro bekamen Kunden fortan die Alben der Label-eigenen Extremisten-Combos frei Haus geliefert. Ausserdem veranstaltete «Wehrwolf Records» im vergangenen Jahr mindestens drei Konzerte, die als Rekrutierungsbecken für Neonazi-Nachwuchs dienten. Mehrere Hundert Skinheads feierten an den Hass-Musik-Veranstaltungen in Mels, Oberhof und Sarnen jeweils bis zum frühen Morgen.Für Mirko H. lief es mittlerweile weniger gut. Bei einer Grossrazzia im Juni 2001 wurden er und vier Mitglieder der Berliner Nazi-Kultband «Landser» verhaftet. Die «Terroristen mit E-Gitarren» (Eigenwerbung) hatten in einem Lied zum Mord an Politikern und Juden aufgerufen. Umgehend sammelte Thomas G. Geld für seinen früheren Chef. Damit sollte ein Anwalt gestellt werden.Trotz des Beistandes aus der Schweiz wurde Mirko H. im Dezember von einem Dresdner Gericht wegen Volksverhetzung zu zwei Jahren Haft verurteilt. Dass der Rechtsextremist seit geraumer Zeit als V-Mann im Dienste des Verfassungsschutzes stand, kam erst vor kurzem ans Licht und liess Innenminister Otto Schily unter Druck geraten. «Ungeheuerlich» fand das parlamentarische Kontrollgremium den Einsatz des kriminellen Informanten. Auch «Wehrwolf Records» sind die Kontakte zu dem staatlich bezahlten Spitzel peinlich. In einer Mitteilung an besorgte Kunden will man nichts mehr von einer engen Zusammenarbeit mit dem 27-Jährigen wissen und spricht von «normalen Geschäftsbeziehungen».

Ob das Bundesamt Polizei über die Aktivitäten des V-Manns informiert war, ist unklar. Laut Jürg Bühler vom Dienst für Analyse und Prävention ist man sich aber «gewisser Verbindungen zwischen den betreffenden Personen bewusst». Wie hoch das Agenten-Entgelt von Mirko H. war und wie viel davon schliesslich in die Schweiz floss – darüber schweigen sich die deutschen Behörden aus. Sicher ist, dass Mirko H. mit dem amtlich geduldeten CD-Handel mindestens 105 000 Euro verdiente. Bei der Gründung seines deutschen Labels «HA-Records» liess er sich überdies vom Bundesland Sachsen mit 7000 Euro Fördergeld unterstützen.Thomas G. behauptet, der rechten Szene Ende Dezember den Rücken gekehrt zu haben – wenige Tage nach der Verurteilung von Mirko H. «Zu dumm» seien ihm die früheren Kameraden. Dass das Bankkonto von Wehrwolf weiterhin aktiv bleibt und in der Nazi-Postille «Volkswille» ein Interview erschien, in dem breit über die politischen Absichten des Labels berichtet wurde, schiebt er «auf Feinde in der Szene». Statt mit seinen Neonazi-Freunden marschiert der Hobbygrafiker jetzt im Auftrag des Staats: Er absolviert eine Ausbildung zum Unteroffizier. Die militärische Karriere des ehemaligen Weggefährten von Mirko H. scheint aber in Gefahr. Am Freitag wurde eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet. «Wir wollen keinen Extremismus in der Armee», erklärte Felix Endrich, Sprecher des Generalstabs.

Auch seine Skin-Kollegen nehmen Thomas G. die Abkehr von «Wehrwolf Records» nicht ab. «Den Versand gibts noch, aber der Betreiber ist zurzeit in der Armee», wusste der Webmaster eines einschlägigen Forums letzten Donnerstag zu berichten.

300 Skinheads rücken pro Jahr in die Armee ein

Laut einer Studie des Militärpsychologen Karl W. Haltiner ist Extremismus in der Schweizer Armee «kein akutes Problem, muss als potenzielle Bedrohung aber ernst genommen werden». 2001 gab es gemäss Angaben der Schulkommandanten acht Fälle, in denen Soldaten durch ihre extremistische Gesinnung auffielen und die Beförderung verweigert wurde. In je einem Fall wurde eine Verwarnung ausgesprochen und eine Versetzung veranlasst. Trotz dieser geringen Anzahl von Vorfällen – gemäss einer früheren Erhebung der Universität Lausanne rücken jedes Jahr rund 300 Skinheads in die Armee ein – warnt Haltiner vor «einem falschen Gefühl der Sicherheit», denn die militärischen Schulen könnten zum Magnet für «gewaltinteressierte Elemente» werden. Er empfiehlt, verstärkt Mittel zur Früherkennung von Extremismus einzusetzen.