Der Gemeindepräsident und die rechte Horde

Luzerner Zeitung: Neonazi-Treffen · Der Wildhauser Gemeindepräsident Rolf Züllig muss derzeit aller Welt erklären, wie sein Toggenburger Dorf von Rechtsradikalen überrumpelt wurde.

Eine ungemütlichere Situation für den Gemeindepräsidenten einer Landgemeinde ist schwer vorstellbar. Seit Sonntag läutet sein Telefon ununterbrochen, ständig muss Rolf Züllig in- und ausländischen Medien erklären, wie das passieren konnte, ausgerechnet in seinem Dorf im Toggenburg. Bis zu 6000 Rechtsextreme in einer Eventhalle in Unterwasser, das grösste Neonazi-Konzert der vergangenen 20 Jahre am Samstag in Wildhaus-Alt St Johann, zu dem der Ortsteil Unterwasser gehört. Es passierte, weil «wir kalt erwischt, einfach ausgetrickst wurden», erklärt Züllig etwa gegenüber «Spiegel online». Und gesteht auch da, was er von Anfang an auch in hiesigen Medien einräumte: «Ich bin da völlig naiv herangegangen.» Und: «Als die bei uns waren, war es zu spät. Wir konnten nicht mehr eingreifen.»

Naivität in Sachen Rechtsextremismus muss sich Züllig vorwerfen lassen, doch bei der Aufarbeitung der Schande ist ihm nichts anzulasten. Statt am Tag danach in einer Schockstarre erst einmal abzuwehren – wie das andere an seiner Stelle schon getan haben –, gab sich Züllig alle Mühe, offensiv zu informieren. Und hinzustehen, Krisenmanagement im speziell schlimmen Fall. Auch wenn er bis heute nicht recht weiss, wie seiner 2600- Seelen-Gemeinde geschah – und welche strafrechtlichen Schritte möglich sind. «Learning the hard way» nennt man im Englischen, was der 56-Jährige vor Ort lernen musste. Von einem «besorgten Bürger» alarmiert, fuhr er von einem Fussballmatch zur besagten Halle. Dort verfolgte er «die ganze Nacht» fassungslos, was sich da zu Tausenden tummelte und wie «unzweifelhaft rechtsradikale Texte gesungen wurden». Den Anlass abzubrechen, war unmöglich, wie er im «Spiegel» noch einmal betont: «Wenn ich mir die Horde so angeschaut habe, denke ich, dass 500 Polizisten nicht gereicht hätten.»

«Das wollten wir nicht, und das möchten wir auch nie wieder haben», beteuert der Gemeindepräsident und sieht die Bundespolitik gefordert, «damit solche Konzerte in Zukunft nicht mehr möglich sind». Verständlich, dass er sich dagegen wehrt, dass das Toggenburg ein «Nährboden für Rechtsextremismus» sein soll. Doch dürfte dem Parteilosen, der sich zur bürgerlichen Mitte bekennt, bereits schwanen, dass in dieser Hinsicht Leute wie er wohl noch deutlicher werden müssen – mit welchen Initiativen für Gegenkräfte auch immer.

Mit Schocks umzugehen, hat der Rheintaler im strukturschwachen Toggenburg gelernt. 2009 von einem leitenden Job beim Industrieunternehmen SFS Locher ins Wildhauser Gemeindepräsidium gewählt und seither zweimal souverän bestätigt, erlebte er schon manchen Dämpfer. Zuletzt traf ihn das vom Kantonsparlament abgelehnte Klanghaus: «Eine Tragödie» in einer Region, die sich allenfalls vom Tourismus noch Impulse verspricht. Nun dürfte Züllig noch einige unruhige Tage vor sich haben. Doch wünscht man dem verheirateten Vater von drei erwachsenen Kindern bald wieder jene ruhige Hand, die er braucht für seine sportliche Leidenschaft: das Bogenschiessen. Wer in dieser Disziplin schon Europameister geworden ist, trifft auch schwieriger anzuvisierende Ziele – wie ein neonazifreies Toggenburg.