Dem «Orden der arischen Ritter» wird ab Montag der Prozess gemacht

BernerZeitung

Vier junge Männer töteten 2001 in Unterseen ihren 19-jährigen «Kollegen» Marcel von Allmen. Weil er das Schweigegelübde des «Ordens der arischen Ritter» verletzt hatte. Am Montag beginnt der Prozess.

Stefan Geissbühler

26 Tage lang bangten Marcel von Allmens Eltern, sein Bruder und seine Freundin, Freunde, Lehrer und Bekannte vor drei Jahren um das Leben des 19-jährigen Lehrlings. Er hatte am 27. Januar 2001 die Geburtstagsparty seiner Freundin in der Interlakner «Brasserie» verlassen, «um etwas zu erledigen». Danach blieb er verschwunden – bis am 22. Februar 2001 Marcel von Allmens Schicksal traurige Gewissheit wurde: Taucher der Berner Kantonspolizei bargen den misshandelten und mit einem Metallzylinder beschwerten Leichnam des 19-Jährigen in der Nähe der Schiffsanlegestelle Beatushöhlen aus dem Thunersee.

Die Trauer auf dem «Bödeli»

Die Bewohner des «Bödelis» – wie die Gegend zwischen Thuner- und Brienzersee genannt wird – waren geschockt und trauerten um Marcel von Allmen, der offensichtlich Opfer eines Tötungsdeliktes geworden war. Doch jeder Ermittlungsschritt förderte weitere schreckliche Fakten zu Tage, die dem Fall auch weit über die Kantonsgrenzen hinaus traurige Berühmtheit verschafften. Denn es waren ehemalige Schulkollegen von Marcel von Allmen, die den Mord am 19-Jährigen kurz nach der Tat in der Untersuchungshaft gestanden. Schulkollegen, die zur Tatzeit erst zwischen 17- und 22-jährig waren.

Der rechtsextreme Orden

Und: Die Öffentlichkeit musste zur Kenntnis nehmen, dass die Tat einen rechtsextremen Hintergrund hatte: Das Opfer und die Täter Marcel M. , Michael S. , Renato S. nd Alexis T. hatten den rechtsextremen «Orden der arischen Ritter» gegründet – zwecks Widerstands gegen angebliche Pöbeleien von Ausländern auf dem «Bödeli». Und dass Marcel von Allmen sterben musste, weil er das Schweigegelübde dieses «Ordens» verletzt hatte. Damit aber noch nicht genug: Die Täter hatten die Ermordung ihres ehemaligen «Kollegen» kalt geplant und die eigentliche Tötung nach dem Hollywoodfilm «Casino» von Regisseur Martin Scorsese ausgeführt. In diesem Film prügeln drei Mafiagangster ihren Boss zu Tode und vergraben ihn.

Die früheren Mordversuche

Doch noch mehr kam zum Vorschein: Die Täter wollten auf dem «Bödeli» schon vor dem Mord an Marcel von Allmen Menschen töten. Das erste Opfer, ein knapp 18-jähriger Jugoslawe, sollte Ende 1999 umgebracht werden, weil er im Ausgang jeweils Schweizer beleidigt und bedroht haben soll. Die Tat scheiterte. Auch ein 19-jähriger Schweizer stand auf der Todesliste des «Ordens der arischen Ritter». Der Schweizer sollte im Herbst 2000 sterben, weil er um die Existenz des «Ordens» wusste. Diese Tötung planten die Täter laut Untersuchungsrichter «auf zwei verschiedene Arten und setzten mehrmals zu diesem Verbrechen an». Und auch Marcel von Allmen hätte bereits einen Tag früher sterben sollen – er war aber nicht in die Falle getappt und nicht zum vereinbarten Treffpunkt gekommen – noch nicht.

Das erste Mordurteil

Die Bewohnerinnen und Bewohner des «Bödelis» versuchten, den Schock zu verarbeiten. So nahmen am 5. März 2001 mehrere hundert Personen auf dem Friedhof der 5200-Seelen-Gemeinde Unterseen Abschied von Marcel von Allmen. Und mit einem Glockenmarsch setzten wenig später über 1000 Personen auf dem «Bödeli» ein Zeichen gegen Gewalt.

Am kommenden Montag beginnt jetzt der Prozess gegen Marcel M. , Michael S. nd Renato S. Der zur Tatzeit erst 17-jährige Alexis T. wurde vom Jugendgericht bereits im Dezember 2001 wegen Mordes und unvollendet versuchten Mordes schuldig gesprochen und zu einer mindestens zwei Jahre dauernden Vollzugsmassnahme in einem Erziehungsheim und Psychotherapie verurteilt. Das Publikumsinteresse am Mordprozess ist so gross, dass das Kreisgericht Interlaken-Oberhasli aus Platzgründen nicht wie gewohnt im Schloss Interlaken tagt, sondern im Berner Amthaus.

Das Steindler-Schulhaus

Wie sieht es drei Jahre nach der Tat auf dem «Bödeli» aus, was wird vom Prozess erwartet? Die Spurensuche im Oberland führt zum Steindler-Schulhaus in Unterseen. Hier lernen sich Täter und Opfer in der Schulzeit kennen, und hier gibt Unterseens SP-Gemeindepräsident Simon Margot nach wie vor Schule. Margot kennt drei der Täter aus dem Steindler-Schulhaus, und er war Lehrer von Marcel von Allmen. «Marcel war ein sensibler, gutmütiger und flotter Bursch», sagt Margot nachdenklich. Unzählige Male habe er sich nach der Tat, «die wie eine Welle über Unterseen hereingebrochen ist», gefragt, «ob wir etwas hätten merken müssen, ob wir die Tat hätten verhindern können». Aber: «Ich habe nicht das Gefühl, dass irgendjemand irgendetwas unterlassen hat», ist Margot überzeugt. Und er vergleicht den Mordfall von Allmen mit einer Krebserkrankung: «Diese Krankheit kann leider jeden und jede treffen», sagt der Gemeindepräsident.

Margot ist froh, dass der Prozess nächsten Montag beginnt. Denn: «Viele Personen in Unterseen haben den Fall zwar nicht verdrängt, aber haben ihn noch als unerledigte Angelegenheit im Kopf – das wird der Prozess ändern. Denn damit wir verarbeiten und abschliessen können, ist der Prozess nötig. » Aber: «Ich erwarte vom Prozess keine allgemein gültigen Antworten darauf, was wir künftig anders machen könnten», gibt er zu bedenken. Und: «Vergessen werden wir nie. »

Die Ruine Weissenau

Im Steindler-Schulhaus lernen sich Opfer und Täter nicht nur kennen, hier ist auch der Ausgangspunkt für die Tötung Marcel von Allmens. Denn zum Steindler-Schulhaus locken ihn die Täter am Abend des 27. Januars 2001. Marcel von Allmen verabschiedet sich in der Interlakner «Brasserie» von seiner Freundin und verspricht, dass er um Mitternacht zurück im «Hüsi», einem Pub in Interlaken, sein will. Vom Steindler-Schulhaus wird Marcel von Allmen mit einem Auto zur Ruine Weissenau, einem beliebten Ausflugsziel am Ufer des Thunersees, gefahren. Dort schlagen ihm seine ehemaligen Ordensbrüder mit einem Metallrohr brutal den Schädel ein und traktieren ihn mit Fusstritten und Schlägen. Ob Marcel M. , Michael S. , Renato S. nd Alexis T. alle zuschlagen, wird der Prozess zeigen. Dann binden die Täter Marcel von Allmen einen schweren Metallzylinder um die Beine, hieven ihr Opfer in den Kofferraum des Autos und fahren in Richtung Thun davon. Bei der Ruine Weissenau wird eine Spaziergängerin später Marcel von Allmens Bahnabo finden – die erste Spur, welche die Polizei verfolgen kann.

Die Beatushöhlen

Kurz vor den Höhlen des heiligen Beatus halten die Täter an einer vorher ausgekundschafteten Stelle an, öffnen den Kofferraum und werfen Marcel von Allmen in den Thunersee – aus 80 Metern Höhe. Danach fliegt Renato S. wie abgemacht in die Ferien, die restlichen Täter gehen ihrer Arbeit nach – wie wenn nichts geschehen wäre. Doch die Polizei beginnt schnell damit, im Umfeld Marcel von Allmens zu ermitteln – und schlägt zu. Renato S. wird bei seiner Rückkehr aus Zypern auf dem Flughafen Kloten verhaftet, und am 23. Februar nimmt die Polizei Marcel M. nd Michael S. im «Hüsi» fest. Am gleichen Abend lockt die Polizei Alexis T. mit einer fingierten SMS an den Intelakner Westbahnhof und verhaftet auch ihn. Alle vier gestehen in der Untersuchungshaft, an der Tötung ihres «Kollegen» Marcel von Allmen beteiligt gewesen zu sein.

Der Friedhof Unterseen

Marcel von Allmen liegt im hinteren Teil des Friedhofs Unterseen, direkt am Fusse des Harders. Auf dem schlichten Holzkreuz steht: «Marcel von Allmen 1981-2001». Das Grab ist geschmückt. Am Holzkreuz hängt eine Halskette mit zwei roten Herzchen. Auf dem Grab liegen neben Blumen Schokoladeeier und ein Unihockeyball – Unihockey: Marcel von Allmens Sport.

Theo Ritz – der Pfarrer von Unterseen – leitete am 5. März 2001 die Trauerfeier für Marcel von Allmen. «Wenn es da überhaupt noch Worte zu sagen gibt, dann sind es nur Worte, die klagen – die zu Gott klagen», sagte Ritz an der Trauerfeier. «Solche Wunden können nicht verheilen – und schon gar nicht in so kurzer Zeit», stellt Pfarrer Ritz jetzt, kurz vor Prozessbeginn, fest. Vom Prozess erwartet Ritz, «dass vieles wieder aufgebrochen wird». Und das, fügt der Pfarrer an, «wird gewisse Beteiligte an oder über ihre Belastungsgrenze bringen».